«Nachhaltigkeit ist heute ein Standard»

Nicole Steffen – 22. Februar 2024
Kann ein Fünfsternehotel nachhaltig sein? Und lassen sich die hohen Ansprüche der Gäste mit einem ­respektvollen Umgang mit der Natur verbinden? Das Cervo Mountain Resort in Zermatt VS hält Lösungen bereit und bindet dabei seine Mitarbeitenden aktiv ein.

Wer mit dem E-Tuk-Tuk am Bahnhof in Zermatt VS abgeholt und durch die autofreien Strassen ins Hotel gefahren wird, realisiert schnell, dass das «Cervo» kein typisches Fünfsternehotel ist. Bei der Ankunft präsentiert sich die Lobby klein und heimelig, das Personal ist mit den Gästen per Du, und das Willkommensgetränk ist ein hausgemachter Eistee. Weit weg von Kronleuchtern, roten Teppichen und uniformiertem Personal, bietet das «Cervo» eine neue Form von Luxus. Diese besticht durch eine hohe Produkt- und Servicequalität, nah an Mensch und Natur, authentisch und ohne viel Firlefanz. Die hohe Qualität sei gerade bei dieser lockeren Interpretation von Luxus und dem jungen Personal sehr wichtig, erklärt General Manager Benjamin Dietsche (33). «Nur weil wir jung sind, keine traditionellen Uniform tragen und mit den Gästen per Du sind, heisst das noch lange nicht, dass wir nicht auch einen Topservice und Topqualität bieten», erklärt er stolz.

Ein nachhaltiges Ökoresort

Das Cervo Mountain Resort bietet den Gästen seit der Eröffnung im Jahr 2009 neben einem Restaurant auch fünf Chalets zum Übernachten an. Es hat sich seit der Gründung der Nachhaltigkeit verschrieben und präsentiert sich nach einem umfassenden Um- und Neubau im Jahr 2020 als nachhaltiges Ökoresort. Das Hotel wurde dabei um 17 zusätzliche Zimmer und ein Spa erweitert. «Durch die grossen Investitionen im Jahr 2020 konnten wir nochmals wachsen und unseren Umsatz fast verdoppeln», sagt der Hotelier Daniel F. Lauber (44).

Das Resort umfasst heute 54 Zimmer und Suiten im Vier- und Fünfsternesegment, 120 Betten, drei Restaurants und einen Spa. Das Restaurant Bazaar ist inspiriert von den lebhaften Märkten im Orient und bietet mehrheitlich vegetarische Gerichte an. Das «Madre Nostra» serviert authentische italienische Gerichte: von hausgemachter Pasta bis hin zu Fleisch und Fisch vom Grill, und im «Ferdinand» kommen ausschliesslich Schweizer Produkte in den Topf, die meisten sogar aus dem Wallis.

Für den Hotelier ist Nachhaltigkeit heutzutage ein Standard, der dem Gast nicht permanent auf die Nase gebunden werden muss. Trotzdem sei die Frage, ob Reisen überhaupt nachhaltig sein kann, schwierig zu beantworten, so Lauber. Wenn Menschen ganz aufhörten zu reisen und der kulturelle Austausch nicht mehr stattfinde, dann sei das auch schwierig. «Wir müssen schauen, dass wir uns nicht alles verbieten. Wir müssen doch auch noch leben», sagt der Hotelier. Das «Cervo» verzeichnet pro Jahr rund 30 000 Logiernächte. Rund 50 Prozent der Gäste reisen aus der Schweiz an. Die restlichen 50 Prozent teilen sich Nordamerika, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Asien, Brasilien und viele weitere Länder untereinander auf.

Die Cervo-Familie

Seraina Lauber (42) führt gemeinsam mit Daniel F. Lauber das Hotel im Hintergrund und ist vor allem für Personalthemen zuständig. Den beiden Hoteliers ist es enorm wichtig, dass das Hotel als Gesamtprodukt funktioniert, unabhängig von ihnen oder einzelnen Mitarbeitenden. Das sei die Grundvoraussetzung für eine wirtschaftliche Stabilität und Unabhängigkeit. Das Kaderteam im «Cervo» ist zwischen 24 und 33 Jahre alt. Neben Benjamin Dietsche (General Manager) sind auch Max Cotting (Culture & Experience Manager), Lara van Donkersgoed (Rooms Division Manager) und Thomas Dietrich (F&B Manager) in der erweiterten Geschäftsleitung.

Rund 120 Angestellte arbeiten während der Hochsaison viele Stunden, um für die Gäste ein unvergessliches Erlebnis zu schaffen. «Dabei wird vom gesamten Team viel gefordert», sagt Benjamin Dietsche. «Wir versuchen, das mit tollen Aktivitäten und Nebenleistungen teilweise zu kompensieren», führt er aus. So können Mitarbeitende in ihrer Freizeit auch die Annehmlichkeiten des Hotels nutzen. Es könne durchaus vorkommen, dass ein Mitarbeiter während seiner Zimmerstunde neben den Gästen auf der Yogamatte sitzt. Die vielfältigen Aktivitäten und Vorteile zielen vor allem darauf ab, dass die Teammitglieder das Resort als Produkt kennen- und schätzen lernen.

Ebenso haben die Mitarbeitenden die Möglichkeit, ihre privaten Interessen und Fähigkeiten im Betrieb einzubringen. So wird die Yogastunde von Jana geleitet, die als Assistentin von Culture & Experience Manager Max Cotting im Hotel tätig ist. Sie hat auf einer privaten Reise nach Indien die Ausbildung als Yogalehrerin gemacht und unterrichtet nun auch im Hotel. Das «Cervo» setzt auf seine Mitarbeitenden und bindet sie, wann immer möglich, mit ein. So auch beim hauseigenen Nachhaltigkeitsprogramm.

«Green Guardians»-Programm

Einzelne Mitarbeitende können auf Wunsch ein «Green Guardian» werden – und sich in ihrer Abteilung für die eigenen Herzensthemen in punkto Nachhaltigkeit einsetzen. Jede und jeder «Green Guardian» ist dabei für spezifische Nachhaltigkeitsaufgaben zuständig. Durch einen engen und intensiven Austausch untereinander wird das kollektive Wir-Gefühl gestärkt und die gemeinsame Verantwortung verinnerlicht, ganz im Sinn von «Gemeinsam können wir mehr erreichen», erklärt der General Manager.

Mirco Weiss (27), Leiter Technik, ist beispielsweise für sämtliche Initiativen zur Abfallreduzierung und -trennung im gesamten Hotel zuständig. Ebenso sensibilisiert er die Mitarbeitenden über Energiesparmassnahmen im gesamten Hotel. Seine Arbeitskollegin Désirée Gächter (22), Rezeptionistin, ist für die Nachhaltigkeit im Bereich der Rezeption und in den Gästezimmern verantwortlich. Sie arbeitet eng mit dem Housekeepingteam zusammen. Dieses schult sie regelmässig zu nachhaltigen Reinigungsmethoden, energiesparenden Massnahmen und zur Verwendung von umweltfreundlichen Produkten. Und Andreas Perry Heinrich (33), Sustainability Development Manager, orchestriert das ganze Programm.

Alle «Green Guardians», es sind sechs Stück, rapportieren ihre Massnahmen und Erfolge direkt an den Sustainability Development Manager. Er «überwacht» sämtliche Massnahmen und stellt sicher, dass alle Initiativen ineinandergreifen und auf die Erreichung der hoteleigenen Nachhaltigkeitsziele einzahlen. Das «Green Guardians»-Programm bringt eine diverse Gruppe Mitarbeitende zusammen, in der jede/jeder für ihre/seine eigenen Aufgaben zuständig ist. Durch die Zusammenarbeit zahlen all diese Massnahmen auf die Reduktion von Abfall, einen respektvollen Umgang mit den Ressourcen, die Energieeinsparung und ein gemeinschaftliches Engagement ein.

Wie nachhaltig ist die Küche?

Bei der Reduktion von Abfall ist vor allem die Küche stark gefordert. Heinrich kontrolliert hier die Lebensmittelverschwendung in allen Bereichen, sprich in der Küche, in den Restaurants und im Bankettservice. Gemeinsam mit dem Team werden Strategien und Kontrollmechanismen entwickelt, um die Lebensmittelverschwendung weitgehendst zu vermeiden. Max Vetter (31), Küchenchef im orientalischen Restaurant Bazaar, hat mit dem Service beispielsweise ein offenes Feedback eingeführt: Das Team im Service macht die Küche darauf aufmerksam, wenn einzelne Komponenten im Teller häufig liegen bleiben. Diese Komponenten werden in der Folge im Menü ausgetauscht oder ganz gestrichen. Das «Bazaar» war das erste vegetarische und vegane Restaurant in Zermatt. «Wir haben damit einen grossen Einfluss auf das Bewusstsein der Menschen und zeigen auf, wie eine gesunde Ernährung ohne Fleisch aussehen kann», so der Küchenchef. Auf der Karte seien noch drei Fleischgerichte aufgeführt, die das «Cervo» zur Kompensation mit einer hauseigenen Fleischsteuer belegt hat. Alle anderen Zutaten stammen aus einem Umkreis von 150 Kilometer. Und alles, was von weiter herkommt, ist mit dem EU-Biosiegel zertifiziert.

Was passiert hinter den Kulissen?

Auch hinter den Kulissen engagiert sich das «Cervo» für die Nachhaltigkeit – mit einem umfassenden Energiekonzept. Noch in der Saison 2019/2020 wurde das Haupthaus ausschliesslich mit Öl beheizt. Die Lodges wurden bereits damals über eine Luftwärmepumpe versorgt. Inzwischen werden 99 Prozent der benötigten Energie des gesamten Hotels durch eine Wärmepumpe und ein System zur Wärmerückgewinnung aus dem hoteleigenen Abwasser generiert. Seit der Umstellung konnten so jährlich 53,1 Tonnen C02 eingespart werden. «Das rechnet sich langfristig auch finanziell, weil wir so Energie einsparen können», erklärt Daniel Lauber. Seit dem 1. Januar 2023 bezieht das Haus zudem 100 Prozent Wasserenergie aus Zermatt. Auch beim Trinkwasser setzt das «Cervo» auf Zermatt. 100 Prozent des verkauften Trinkwassers stammt aus dem Dorf und wird durch ein Filtersystem aufbereitet. Dadurch fallen Transportwege, ebenso wie die Produktion von Trinkflaschen weg, was zusätzlich C02 einspart.

«Auch unsere Gäste tragen eine Verantwortung»

Auch die Gäste können im «Cervo» Gutes tun. Durch eine Partnerschaft mit der Stiftung MyClimate wird ihnen ermöglicht, die Übernachtung durch einen kleinen Aufpreis zu kompensieren und so C02 neutral zu gestalten. «So können auch unsere Gäste einen Beitrag leisten. Im letzten Jahr haben sie auf diesem Wege einen fünfstelligen Betrag kompensiert. Und wir haben den Betrag noch verdoppelt», erklärt Lauber. Das Geld fliesse zum einen in interne Massnahmen zur Verringerung von Emissionen und zum anderen in ein Klimaschutzprojekt in Nepal, das Abfallberge in Biodünger verwandelt, führt er weiter aus.

Am Ende ist und bleibt das «Cervo» ein Fünfsternehotel, das Gäste und Mitarbeitende aus der ganzen Welt nach Zermatt lockt und dabei Ressourcen verbraucht und eine entsprechende Infrastruktur benötigt. Dies geschieht jedoch in einem äusserst respektvollen Umgang mit Mensch und Natur und mit einer klaren Vision. Um es mit den Worten des Hoteliers selbst zu sagen: «Das «Cervo» ist viel mehr als ein Hotel, es ist ein Lebensgefühl. Wir möchten mit unserem Hotel einen Begegnungsort für Menschen aus aller Welt schaffen – für die Mitarbeitenden genauso wie für die Gäste.»

Eine schöne Vision, die sich in Zermatt, am Fuss des Matterhorns durchaus umsetzen lässt. So hat der Berg, als beliebte Touristenattraktion, seit jeher Entdecker und Pioniere aus der ganzen Welt nach Zermatt gebracht.