Scuol-Tarasp. Es schneit. Dicke Flocken fallen vom Himmel. Wie froh bin ich, dass mich Gastgeber Rudolf Pazeller mit dem Auto am Bahnhof abholt. «Wir müssen noch kurz die Orangen abholen, bevor wir ins Schlosshotel Chastè fahren», sagt er – und so komme ich noch in den Genuss einer «historischen» Dorfführung. Rudolf Pazeller ist ein gewandter Erzähler, verankert in der Region und stolz auf dieses paradiesische Fleckchen Erde im Engadin. «Gut sechs Minuten dauert die Fahrt vom Bahnhof zu uns hinauf», erklärt mir Rudolf Pazeller. Die Zeit vergeht wie im Flug. Und dann sind wir da: beim Schlosshotel Chastè. Dass der Betrieb ursprünglich einmal ein gewöhnlicher Bauernhof war, der sich seit 500 Jahren und 21 Generationen in Besitz von Familie Pazeller befindet, ist heute kaum mehr zu glauben. Hat sich das Bauernhaus doch in den letzten Jahrzehnten durch zahlreiche Um- und Ausbauten zu einem Bijou von einem Hotelbetrieb gemausert. Ja, Rudolf und Daniela Pazeller waren umtriebig, haben stets angepackt – und noch heute trifft man die beiden im Betrieb an, auch wenn sie das Zepter inzwischen ihrem Sohn Gian-Andrea übergeben haben. Hoteliers eben durch und durch.
«Alles, was wir gebaut haben, habe ich mitunter selbst skizziert»In einer der drei Gaststuben des Betriebs angekommen, erzählt Rudolf Pazeller, wie aus dem Bauernbetrieb ein gastgewerblicher wurde. «Begonnen hat alles 1912. Damals hat mein Grossvater Anton Pazeller mit einem ‹kleinen Beizli› begonnen, 1916 folgte dann infolge des auflebenden Tourismus ein Restaurant, die heutige Schlossstube.» Den Grundstein für den heutigen Hotelbetrieb legte Rudolfs Vater Robert, der sich vom einfachen Landwirt zum Chef-Concierge im Palace in St. Moritz hochgearbeitet hatte und sein dort verdientes Geld ab 1961 in den eigenen Betrieb investierte. «1966 haben wir die ersten drei Zimmer mit fliessendem Wasser sowie Etagenbad vermietet», erinnert sich Rudolf, der in diesen Jahren gerade eine Kochlehre absolvierte. «Nicht mein erster Berufswunsch», gibt er unumwunden zu. «Eigentlich wollte ich ja Kunstmaler oder Innenarchitekt werden. Aber irgendwie passte das nicht in unsere Familienpläne. Da ich überhaupt ein wenig hin- und hergerissen war, schickte mich mein Vater mit den Worten ‹Rudolf, du weisst nicht, was du willst› ins Welschland ins Kollegium nach Saint Maurice, um Französisch zu lernen.» Dort habe er dann eines Nachts den Traum gehabt, dass er Küchenchef einer 10-Mann-Kochbrigade sei, «und da wusste ich, ich werde Koch» – sehr zur Freude seines Vaters. In Pontresina im Hotel Müller absolvierte Rudolf seine Lehre. Danach konnte er noch Erfahrungen bei Felix Real in Vaduz und Genf sammeln, einen Sprachaufenthalt in England sowie die Hotelfachschule absolvieren, bevor er 1968 in den elterlichen Betrieb einstieg. Arbeit und Erfolg
«Die ersten Jahre haben wir, meine Mutter, meine beiden Schwestern Anita und Matilda sowie ich, Fronarbeit geleistet», erinnert er sich. «Eine harte, doch schöne Zeit ist das gewesen, die Familie hat zusammengehalten», sagt Pazeller. «Sonst hätten wir heute nicht das, was wir haben. Wir hätten nie so investieren können.» Ob er in diesen Jahren nie bereut habe, nicht doch Kunstmaler geworden zu sein? «Das letzte Bild habe ich 1974 gemalt», sagt Rudolf. «Vermisst habe ich das Ganze wahrscheinlich deshalb nicht, weil ich für die Um- und Ausbauten ja weiterhin gezeichnet und skizziert habe. Alles, was wir hier gebaut haben, habe ich mitunter selbst skizziert.» Rudolf hat somit seinen Traumberuf zum Hobby gemacht.
«Es ist wichtig, den Betrieb frühzeitig zu übergeben»1979 ist für Rudolf dann auch der private Traum wahr geworden: Er hat seine Daniela geheiratet und mit ihr vier Kinder bekommen, «zwei Buben und zwei Mädchen, und zwei arbeiten heute im Betrieb», sagt er nicht ohne Stolz. Gian-Andrea sowie Maria Angela, deren Mann Denny Griep übrigens als Chef de Service den Betrieb ebenfalls tatkräftig unterstützt. Eine geregelte Nachfolge war Rudolf und Daniela stets ein Anliegen. «Das sage ich auch immer meinen Kollegen: Es ist wichtig, frühzeitig zu übergeben und alles klar zu regeln.» Pazellers haben aus diesem Grund vor zwölf Jahren eine Familien-AG gegründet. Heute amtet Gian-Andrea als Geschäftsführer im Betrieb. Klar sei es nicht immer einfach gewesen, wenn noch zwei Generationen im Betrieb involviert sind. «Jeder hat seine eigenen Ideen, Visionen», gibt Rudolf unumwunden zu, «aber irgendwie haben wir es bis heute geschafft.» Alte und neue Generation
«Doch jetzt genug erzählt: Kommen Sie, wir machen einen Rundgang durch das Haus. Das haben wir im Jahr X gebaut, das im Jahr Y», die Jahreszahlen machen schwindlig. «Ja», sagt Rudolf Pazeller nicht ohne Schmunzeln, «eigentlich haben wir immer um- oder ausgebaut. Im Frühling grössere Projekte, im Herbst jeweils eher Kosmetik.» Heute besitzt das Schlosshotel 18 grosszügige Zimmer sowie Suiten und bietet im Restaurant Platz für bis zu 60 Personen. Die grössten Umbauten im Betrieb hat Familie Pazeller in den Jahren 1970 bis 1996 durchgeführt. «Mit dem Bau der Tiefgarage wurden wir 1996 würdig, die renommierte Mitgliedschaft von ‹Relais & Châteaux› zu verdienen», erzählt er.» Ab 1997 ist Basel III eingeführt worden. Neu- und Umbauten in dieser Dimension lagen nicht mehr drin. Heute sind wir froh, haben wir alles Essenzielle in den vorhergehenden Jahren bewerkstelligt.» Wobei ganz kurz gesagt werden muss, dass Rudolf Pazeller hier doch eher bescheiden argumentiert. Denn erst im letzten Jahr hat die Familie ihren grosszügigen Wellnessbereich mit fünf Saunen komplett erneuert. «Um- und ausbauen ist eben mein Hobby», er lacht. «Zudem halten wir uns an das Motto: Tue das, was andere nicht tun.» Ausserdem habe er ja jetzt Zeit zu planen, seit er nicht mehr im operativen Geschäft eingebunden sei. Wobei: Ganz lassen kann es Senior Pazeller doch nicht, auch wenn er das Küchenzepter vor einiger Zeit an den langjährigen und von der Familie sehr geschätzten Küchenchef Andreas Heidenreich abgetreten hat. «Ihm ist zu verdanken, dass wir auf 16 Gault-Millau-Punkte aufgestiegen sind. Er macht das einfach wunderbar.» Überhaupt: Die Küche ist bei Pazellers wichtig, nicht nur im Betrieb, auch als zweites Standbein. Denn seit einigen Jahren stellt die Küche 46 Fertigprodukte her, «von Suppen über Hirschpfeffer bis hin zu Nusstorten», die in der Metzgerei Hatecke in Zürich sowie auch in St. Moritz und Scuol verkauft werden. Apropos Essen: Inzwischen ist Mittagszeit und Familie Pazeller findet sich zum gemeinsamen Mittagessen ein. Es wird gegessen und diskutiert. Und Gian-Andrea, den das operative Geschäft am Vormittag auf Trab gehalten hat, kommt auch mal kurz zur Ruhe. Ob es für ihn genauso klar war zu übernehmen? «Ja», sagt er. «Ich bin sehr gerne Gastgeber, auch wenn ich vielleicht nicht alles gleich mache wie meine Eltern und nicht überall gleicher Ansicht bin», sagt er und schmunzelt. Das gebe schon mal Reibungsverluste, aber alles in allem sei er glücklich, den Betrieb weiterzuführen und die Nachfolge zu sichern. Chapeau!