«Die Mitarbeitenden realisierten, dass ich arbeiten kann»

Reto E. Wild – 09. Dezember 2022
Das Grand Hotel National in Luzern ist so etwas wie ein Transfersieger: Die Schlüsselpositionen wurden alle mit jungen, erfolg­reichen Fachkräften besetzt. Der 30-jährige Hoteldirektor Gabriel Stucki und sein Team wollen das Traditionshaus rocken.

Gabriel Stucki, Sie sind seit dem 1. April 2022 General Manager des Grand Hotels National. Das Fünfsternehotel hat aufgerüstet und ist Transfersieger.
Gabriel Stucki: Transfersieger trifft den Sachverhalt nahezu. Als ich hier startete, um unsere «Service Excellence» zu beleben, bearbeiteten wir den Markt nicht vorwiegend, um Zimmer zu verkaufen, sondern um gute Leute zu finden. Wir hatten im F&B-Bereich eine grosse Baustelle. Ein Küchenchef kann sich nur etablieren und gute Gerichte zaubern, wenn das Zusammenspiel mit dem Service funktioniert. Deshalb wusste ich, dass wir Dario Salvel benötigen, den ich seit meiner Zeit an der Hotelfachschule Luzern kenne. Er ist vom Hotel Widder in Zürich zu uns gestossen.

Wie haben Sie sich mit ihm abgestimmt?
Als Director of Operations hilft er mir, dass wir das Hotel strategisch weiterführen können. Dariane Fankhauser unterstützt uns als F&B-Assistent, Jessica van Can als Event Manager und Flurina Rathgeb als Front Office Manager. Sie sind alle anfangs 30. Zusammen haben wir ein Top-Team, mit dem wir die neuen Outlets bespielen.

Neue Outlets?
Wir starten mit den gleichen Outlets, bespielen sie aber anders. Ich mache ein Beispiel: Wir können uns vorstellen, in den oberen Stockwerken des Hotels, wo sich manchmal nicht vermietete Residenzen befinden, «Kitchen Partys» durchzuführen oder Kochkurse mit unserem Küchenchef Jeffrey van Zijl. Wir sind das einzige Hotel in Luzern mit direktem Seeanstoss. Unsere Eventräumlichkeiten sind riesig. Derzeit haben wir aber nur rund ein halbes Dutzend Anlässe pro Monat. Nächstes Jahr möchten wir praktisch jeden Tag eine Veranstaltung in unserem Hotel durchführen.

Sie sind wie Dario Salvel erst 30 Jahre alt und bereits Hoteldirektor. Weshalb haben Sie sich als junger Mann für diese Branche entschieden?
Es sind die Geschichten der Hotels, die mich immer fasziniert haben. Als ich mit meinen Eltern und meinen Brüdern in die Ferien fuhr, war mir das Hotel immer am wichtigsten. Während die Brüder an den Strand gingen, beobachtete ich im Hotel das Geschehen. In Sperlonga begrüsste uns der Hoteldirektor mit Namen – auch uns Kids. Das beeindruckte mich tief. Ich wusste bereits, bevor ich eine Lehre als Restaurationsfachmann und die Hotelfachschule absolvierte, dass ich mit 30 Hoteldirektor werden wollte.

Sie waren sogar jünger als 30, als Sie das Hotel Hey in Interlaken führten. Wie schaffen Sie sich Respekt gegenüber Angestellten, die viele Jahre älter sind als Sie?
Mit dieser Frage wurde ich das erste Mal im Hotel Ibis in Adliswil Zürich konfrontiert, welches ich leitete. In den ersten zwei Wochen haben mich einige, die 50 plus waren, nicht wirklich ernst genommen. Dann habe ich mitangepackt, ging in den Service, begrüsste die Gäste, nahm Bestellungen auf, half in der Küche aus und trug im Housekeeping die Wäsche runter. Bald realisierten die Mitarbeitenden, dass ich arbeiten kann. Meine Frage ist auch heute in Sitzungen, ob jemand von mir Unterstützung braucht. Das Team weiss, dass ich einspringe, wenn Not am Mann ist – und sei es, um das Bett neu zu beziehen oder um in der Küche beim Rüsten zu helfen.

Welche Ziele haben Sie sich beim Stellenantritt gesetzt?
Zuerst wollen wir mit unserem Geschäftsmodell erfolgreich werden. Wir setzen alles daran, dass wir für den Hotelbesitzer Raimondo Erculiani einen Gewinn erwirtschaften. Zweitens wollen wir ein Statement setzen und die Fünfsternehotellerie anders interpretieren. Fünf Sterne heisst für mich «Service Excellence» oder Non plus ultra. Es muss möglich sein, dass jeder Gast, der den Fuss auf unser Grundstück setzt, sofort will­kommen ist – nicht erst im Zimmer oder am Tisch.

Wollen Sie das National ebenfalls zum Lifestyle-Hotel umfunktionieren, wie das beim Vitznauerhof oder eben beim The Hey in Interlaken geschehen ist? Ihre Website erinnert vor allem an ein klassisches Grand Hotel.
Nein, ich bin fest davon überzeugt, dass der Stil vom National wieder voll zum Trend wird. Wir sind ein Grand Hotel, und weil wir so ein junges Team sind, haben viele jungen Kollegen keine Hemmschwelle mehr, unser Fünfsternehotel zu besuchen. Die Jungen geniessen es, sehr gediegen einen Cocktail zu trinken. Für die Generation Z ist das Essen und Trinken nach dem Bereich Mode das Wichtigste. Manchmal ist es schwieriger, einen hochpreisigen Cocktail einem älteren Publikum zu empfehlen als den Jungen.

Wie funktioniert die Absprache mit Eigentümer Raimondo Erculiani?
Sehr gut. Wir trinken von Montag bis Freitag täglich einen Kaffee zusammen. Ich informiere ihn über alles, habe aber alle nötigen Freiheiten als General Manager.

War es eine bewusste Entscheidung von Herrn Erculiani, auf Junge zu setzen?
Ja, möglicherweise schon (lächelt). Das Grand Hotel National gibt es seit 1870. 1878 kam Cäsar Ritz als 28-Jähriger von Nizza nach Luzern und holte Auguste Escoffier in die Küche des National. Schon damals wurden die Jungen gefördert. Unserem Besitzer ist die Geschichte sehr wichtig. Er kennt sie auswendig.

Welche Rolle spielt der Holländer Jeffrey van Zijl, der 2018 Europas jüngster Chef mit zwei Michelin-Sternen war?
Eine sehr entscheidende, denn mit ihm wollen wir insgesamt als Hotel weiterkommen. In der Küche sehen wir am meisten Potenzial für unsere «Service Excellence», denn dazu braucht es hervorragendes Essen, Service und Getränke. Wir haben die Speisekarte bereits per 1. November 2022 angepasst (lesen Sie mehr dazu im Beitrag auf Seite 17).

Wie viel Freiheit hat Jeffrey?
Wir kennen uns seit geraumer Zeit und wollen beide, dass unser Hotelrestaurant National top ist. Jeffrey kommt mit seinen Vorschlägen zu mir und bespricht diese. Wir bauen zu unseren Mitarbeitenden Vertrauen auf. Das ist der Grund, weshalb wir uns für Koryphäen entschieden haben. Sie können ihr Potenzial nur ausspielen, wenn sie das richtige Mass an Freiheiten haben. Unser Motto ist «Make it nice», wie das Daniel Humm jeweils zu sagen pflegt.

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Gabriel Stucki in der legendären Bar des Grand Hotels National: «Wir können uns vorstellen, in den oberen Stockwerken ‹Kitchen Partys› durchzuführen.» (Foto: Daniel Winkler)

Was erwarten Sie von 2023?
Ich rechne mit einem hervorragenden Jahr. Besucher aus praktisch allen Märkten kommen wieder zurück. Wie viele andere Luzerner Hotels haben wir bis 2019 stark auf den asiatischen Markt gesetzt und uns danach um den Schweizer Markt gekümmert. Nun haben wir eine gesunde Verteilung. Wir werden bereits 2022 besser als 2019 abschliessen. Mit dem neuen Team im Rücken können wir uns noch weiter steigern.

Was sind Ihre grössten Herausforderungen?
Falls Sie darauf angespielt haben: Es ist bei uns nicht das Personal. Wir sind alle neu hier und müssen wissen, wie die Pässe ankommen. Die Kom­munikationswege müssen stimmen. Ein Gast soll auch das Housekeeping fragen können, wenn er etwas wissen möchte. Wir sind gut unterwegs, unsere Werte allen zu vermitteln. Das heisst nichts anderes, als dass wir über alle Stufen schulen müssen.

Ist es für einen 30-jährigen Hoteldirektor einfacher, Personal zu finden?
Ja, wir sprechen die gleiche Sprache, haben eine angenehme Atmosphäre unter den Mitarbeitenden. Im Bereich HR haben wir die Mitarbeitervorteile angepasst. Wir joggen einmal pro Woche gemeinsam zum Lido und zurück. Das zählt als Arbeitszeit. Und in diesen Tagen richten wir einen «Gaming room» ein. Bei uns gilt nicht einfach, was die Häuptlinge beschliessen. Wir führen Brainstormings durch und nehmen Mitarbeiteranliegen und -ideen sehr ernst. Das spricht sich herum. Deshalb konnten wir tatsächlich jede unserer 84 Stellen besetzen.

Was muss die Branche machen, um den Fachkräftemangel ebenso erfolgreich zu beheben?
Wichtig ist es, dass die Angestellten die Wertschätzung spüren. Mitarbeitende müssen sich einbringen können. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe. Bei uns kann jeder mit einem «Life-Circle»-Modell arbeiten, etwa während einer gewissen Zeit sein Pensum erhöhen oder reduzieren. Viele Junge gehen gerne auf Reisen. Dazu ein Beispiel: Ein Angestellter wollte per Ende Jahr künden, weil er um die Welt ziehen wollte. Ich schlug vor, dass er das unbezahlt macht, den Vertrag aber behält. Das motivierte ihn bei der Arbeit zusätzlich. Und: Wir setzen die Kollegen interdisziplinär ein. Wenn jemand Unterstützung braucht, hilft jeder mit Selbstverständlichkeit mit.

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Jeffrey van Zijl, ­Gabriel Stucki und Dario Salvel (v. l.) besprechen die nächsten Prioritäten. Das Trio will 2023 mit mehreren Neuerungen in die Offensive gehen (Foto: Daniel Winkler)

Eine junge Dreierachse mit grossen Plänen

Der Hoteldirektor Gabriel Stucki, der Chefkoch Jeffrey van Zijl und ­der Betriebsleiter Dario Salvel bilden das personelle Rückgrat des Grand Hotels National in Luzern, das sehr erfolgreich unterwegs ist.

Gabriel Stucki, Hoteldirektor des Grand Hotels National Luzern, deutet es im Interview mit dem GastroJournal an: «Wir werden bereits 2022 besser als 2019 abschliessen. Mit dem neuen Team können wir uns 2023 weiter steigern.» Eine besonders wichtige Rolle spielt der talentierte Koch Jeffrey van Zijl, der seit August 2022 das Hotelrestaurant National verantwortet und erst Anfang November eine komplett neue Menükarte einführte, die seine Handschrift zeigt: gebratenes Spanferkel aus dem Entlebuch, Gemüse von der Gemüsegärtnerei Zurmühle aus Weggis LU oder der «Signature Dish» von Jeffrey van Zijl: Paella mit Schweizer Shrimps aus Rheinfelden AG sowie Zander und Felchen aus dem Vierwaldstättersee. Wie Paella richtig zubereitet wird, hat der Holländer am «Erfinderort» gelernt: in Valencia, wo er sechs Jahre arbeitete.

«Wir arbeiten sehr lokal. Das ist der einzige Weg»

«Handschrift» heisst, dass der Jungkoch mit seinem siebenköpfigen Team in die Natur eintaucht und sammelt, was sie zum Kochen hergibt: Mit den Blättern der Kastanienbäume rollt er etwa Egli ein und dämpft sie auf diese Weise. «Die Marroniblätter sorgen für eine dezente Säure und machen das Gericht saisonal», erklärt der Holländer. «Wir arbeiten sehr lokal. Es ist der einzige Weg. Dadurch sind auch die Kollegen im Team motiviert.» Er ergänzt begeistert und selbstbewusst: «Dieses Haus mit dem Erbe von Ritz und Escoffier ist eine absolute Ins­piration. Das National ist wie ein Stein, den man zum Diamanten schleifen kann. Das muss nicht ein Michelin-Stern sein. Aber klar, wir werden diesen eines Tages erhalten.»
Der Grund, weshalb van Zijl aus Valencia in die Schweiz zog: «Nach Corona waren die Arbeitsbedingungen und das -klima in Spanien nicht mehr gleich wie davor. Ich musste die Hälfte meiner Küchencrew feuern.» Was er in Valencia vom Unternehmer Ricard Camarena am meisten gelernt habe? «Wie ich mich selbst organisieren muss.»
Zur Schweiz habe er rasch eine spezielle Liebe entwickelt, weil es ihm gefalle, welchen Stellenwert die Gastronomie hier habe und wie stark die Gäste die Produkte wertschätzten. Er heuerte zuerst im Gourmetrestaurant Alpenblick in Wilderswil im Berner Oberland an, das mit einem Michelin-Stern dekoriert ist. Dort stammen die verwendeten Produkte aus der Region. Das will er am Vierwaldstättersee ebenso handhaben.
Obwohl das Grand Hotel aus nur 41 Zimmern und Suiten sowie 24 Appartements besteht, gibt es mit dem Café César, dem Klingler’s Ristorante, dem Jialu National und dem Franz mit seiner Wiener Küche weitere Restaurants, die derzeit allerdings alle verpachtet sind. Theoretisch bieten sie Potenzial, um Geschichte zu schreiben. Diese ist im National besonders lang: angefangen beim von Stucki erwähnten Erfolgsduo Cäsar Ritz aus dem Wallis und Auguste Escoffier, dem damals gefragtesten Küchenchef seiner Zeit. Sie lockten mit ihrer Philosophie selbst den Adel an, etwa den Kronprinzen Wilhelm von Preussen (den späteren deutschen Kaiser Wilhelm II.) oder den indischen Maharadscha von Baroda, der mit einer Entourage von 45 Personen einen Monat lang im National residierte. Viele Jahrzehnte später und ganze 23 Jahre lebte der legendäre Musiker Hazy Osterwald in einer Suite im National.

Das gesellschaftliche Zentrum der Zentralschweiz

Jeffrey van Zijls grösste Herausforderung: «Ein solides Team zu formen, das wirklich gerne für dieses Projekt arbeitet. Ohne Team kann ich die Ziele nicht erreichen.» Das sieht Betriebsleiter Dario Salvel ähnlich. Er, der als Servicepraktikant im Luxushotel Widder in Zürich startete und dort bis zum F&B-Manager aufgestiegen ist, habe schnell realisiert, dass der Luzerner anders ticke als der Zürcher. Im gesellschaftlichen Zentrum der Zentralschweiz sei den Gästen der Service und das Schweizerische besonders wichtig. «Wir müssen uns hier neu erfinden und werden das! Ich sehe im Markt Luzern mit seiner Agglomeration sehr viel Potenzial. Wichtig ist, dass wir die Schwellenangst gegenüber Fünfsternehäusern abbauen.» Ein Anfang ist gemacht: Im Garten zum See lässt das Grand Hotel Holzhäuser aufstellen, verkauft Glühwein und verströmt so Vorweihnachtsstimmung. 2023 soll die Terrasse zum Vierwaldstättersee das ganze Jahr bespielt werden.