David Bosshart ist CEO des Gottlieb Duttweiler Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft. Der promovierte Philosoph ist Autor zahlreicher internationaler Publikationen und weltweit tätiger Referent. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Zukunft des Konsums, der gesellschaftliche Wandel, Digitalisierung, Management und Kultur, Globalisierung und politische Philosophie.
GastroJournal: Die neuen Technologien, die Digitalisierung verändern unsere Gesellschaft und unser tägliches Verhalten nachhaltig. Was bedeutet diese Entwicklung für uns Menschen im Allgemeinen, für die Branchen Gastgewerbe und Tourismus im Speziellen?
David Bosshart: Ich würde das Wort Digitalisierung vermeiden – es geht um Haltungen, um Einstellungen von Menschen zu Veränderungen und Wandel. Wir können an uns selbst ja feststellen, wie sehr etwa ein Smartphone unseren Alltag beeinflusst hat und mit immer mehr Möglichkeiten zu unserem ersten Ansprechpartner für fast alle Lebensfragen geworden ist. Auf der einfachsten Ebene geht es um Automatisierung, um Effizienzgewinne, also um Tätigkeiten, die wir früher mühsam und langwierig erledigen mussten – etwa Rechnungen in Ordner ablegen, Kopfrechnen oder Fremdwörter verstehen. Für all das braucht es heute nur noch einen Knopfdruck.
«Die Frage ist, was ist temporär und was unvermeidlich»Was sind die grossen Chancen und die Risiken des Wandels?
Für die Beherbergungs-Industrie sehe ich viele Chancen. Effizienzgewinne, vor allem mehr Zeit für wesentliche Dinge, etwa Gästebetreuung. Dann Vereinfachungen und Geschwindigkeitszuwachs bei F&B-Arbeiten, bei der Rekrutierung von Mitarbeitenden, bei Kundenanalysen, beim Auswerten direkter Feedbacks… Man muss davon ausgehen, dass die Maschinen lernfähig sind und immer schneller und immer besser werden. Die neue menschliche Haltung hat die Sharing Economy und die Plattformökonomie gross gemacht. Wie können das Gastgewerbe und der Tourismus von diesen Entwicklungen profitieren? Und welche Entwicklungen folgen noch?
Kleinbetriebe müssen sich immer überlegen, was sie selbst machen können, und wo es viel klüger ist, gemeinsam vorzugehen. Plattformen kann man nicht alleine betreiben. Ein Restaurant kann heute viel schneller Bekanntheit erreichen, kann viel schneller Erfolg haben als in der Vergangenheit, aber die Leistung muss stimmen. Wir sind nicht mehr in einer Branche, sondern in einem Ökosystem von Lebensmitteln, Anbietern aller Art, Gästen und Kunden, die alle ihre Meinung kundtun und uns beeinflussen können. Die meisten Entwicklungen kommen nicht linear, sondern schubweise: Wenn man etwas nicht erwartet, oder wenn man etwas vergisst, weil man nicht mehr daran glaubt, ist es plötzlich da. Weil die Räume für Informationen global sind, die Gäste immer besser informiert daherkommen, sind Geschwindigkeit, Flexibilität und Kenntnis der eigenen Kundschaft sehr wichtig.
«Menschen sind in der Regel sehr, sehr faul»Was erwartet der Gast in der Zukunft?
Er erwartet, dass er das bekommt, was ihm sein Smartgerät verspricht. Was das Smartgerät kann, müssen auch der Tourismus oder die Gastronomie können. Die Erwartungen leiten sich immer mehr von den Möglichkeiten der Geräte ab. Gewinnen werden immer diejenigen Angebote und Dienstleistungen, die dem Gast ein wirkliches Problem lösen und nicht ein Problem, von dem der Anbieter glaubt, dass es ein Problem des Gastes ist. Das dreht sich immer im Kern um Einfachheit, Convenience und Zuverlässigkeit. Menschen sind in der Regel sehr, sehr faul. Was die Maschine besser kann, wird der Maschine noch so gerne übergeben. Wenn ich nur noch einen Knopf bedienen muss statt zwei, wenn alles in einem Klick erreichbar ist, umso besser. In Ihrem Buch «The Age of Less» findet sich am Ende eine To-do-Liste mit 10 Punkten, zwei davon betreffen explizit auch das Gastgewerbe – «Essen Sie weniger, aber dafür besser» beziehungsweise «Essen Sie nie allein. Lieber gastlich als cocoont». Inwiefern besteht wirklich die Chance, dass hier ein gesellschaftlicher Wandel eintritt?
Menschen sind tatsächlich in erster Linie soziale Wesen, das kann die Glücksforschung am besten belegen. Wir Schweizer schätzen Qualität, etwa beim Fleisch. Hier ist es durchaus sinnvoll, davon nicht drei Mal am Tag zu essen, sondern in speziellen Momenten bessere Qualitätsstufen zu geniessen.
«Sicher ist nur, die ‹schweren› Trends werden alle sehr leicht sein»Wie schaffen wir es, dass Essen in unserer Gesellschaft wieder einen anderen Stellenwert erhält?
Es hat bereits ein Wandel stattgefunden. Neu ist allerdings die immer stärkere Spreizung zwischen einerseits Convenience-Food, also Zeitgewinnorientierung vor allem während der Arbeitszeit oder am Abend, wenn man nicht mehr kochen will, und andererseits Freizeit-Food, also mit viel Liebe und Aufwand etwas für seine Freunde oder seine Familie zu zelebrieren. Apropos Entwicklungen: Auch politisch hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges verändert. Das Gewerbe verschwindet zusehends aus der Politik. Wie verorten Sie das? Und wohin führt uns das noch?
Die Frage ist, was ist temporär und was unvermeidlich. Ich kann mir vorstellen, dass das in zehn bis 15 Jahren wieder anders ist.
«Menschen sind in erster Linie soziale Wesen»Was sind die «schweren» Trends in der Zukunft?
Das weiss ich nicht. Sicher ist nur, die «schweren» Trends werden alle sehr leicht sein: Die Welt wird heute durch «Intangibles» (Anm. d. Red.: immaterielle Werte) verändert. Das, was unsichtbar und unberührbar ist, weil es etwa in der Cloud stattfindet und von dort unser Leben einfacher organisiert. Das Entscheidende ist, mit Empathie dem Wandel zu begegnen, seine Mitarbeitenden immer gut zu informieren und weiterlernen zu wollen, gerade auch über den Austausch mit den Gästen.