Werden wir diesen Winter zu wenig Strom haben?

Reto E. Wild – 14. September 2023
Das GastroJournal hat die Kandersteger Casimir Platzer und Albert Rösti zum Doppelinterview im Berner-Oberländer-Bergdorf getroffen. Der Verbandspräsident und der Bundesrat über Energiesparen, steigende Strompreise, den Stau am Gotthard, Freundlichkeit im Service und die Magie der Bergluft.

Adolf Ogi, Casimir Platzer und Albert Rösti: Kandersteg hat nur 1300 Einwohner und trotzdem viele berühmte Einwohner hervorgebracht. Sind die Kandersteger aus einem speziellen Holz geschnitzt?
Albert Rösti: Wahrscheinlich ist es die Bergluft, die uns gut tut ... Spass beiseite. Das ist wohl eher ein Zufall. Wir stammen allerdings alle aus Familien, die gelernt haben, zu arbeiten. Dölf Ogi ist aus einer Försterfamilie, Casi Platzer aus der Hotellerie und ich aus einer Bauernfamilie. Wir wissen: Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir etwas leisten.

Casimir Platzer: Es ist schon speziell, dass unser Dorf gleich zwei Bundesräte hervorgebracht hat. Das gibt es wohl sonst schweizweit nirgendwo. Vielleicht ist es tatsächlich die gute Bergluft, das Wasser und die schöne Natur, die wir haben. Sie geben uns Kraft für unsere Ämter. Ich schätze sehr, dass Albert Rösti wie damals Adolf Ogi Tagungen oder Seminare nicht in Bern, sondern nach Möglichkeit hier in Kandersteg durchführt und in seinen Reden immer das Wort Kandersteg einbaut. Albert ist der wertvollste Tourismusbotschafter für unseren Ort.

Bundesrat Rösti, welchen persönlichen Bezug haben Sie zum Gastgewerbe – ausser dass Sie Mitglied der parlamentarischen Gruppe waren?
Albert Rösti: Das Gastgewerbe spielt eine bedeutende Rolle für die Bevölkerung und den Tourismus, insbesondere im Berner Oberland. Ein Ort wie Kandersteg hängt zu etwa
80 Prozent vom Tourismus und vom Gastgewerbe ab. Bereits vor rund 30 Jahren, als ich die Bergbauernschule Hondrich oberhalb von Spiez besuchte, wurde die Zusammenarbeit heimischer Produzenten mit dem Gastgewerbe unterstützt. Die Wertschätzung für regionale, nachhaltige Produkte ist seit damals noch stärker geworden. Ich persönlich schätze den Kontakt zu Menschen sehr und habe auch schon selbst das Serviertablett in den Händen gehalten, beispielsweise an einem kantonalen Musikfest.

Casimir Platzer: Das Gastgewerbe ist tatsächlich ein «People’s business», wo Menschen mit und für Menschen arbeiten. Albert Rösti war übrigens ein wertvolles Mitglied im Beirat der parlamentarischen Gruppe und hat auch im Parlament die Interessen des Tourismus und des Gastgewerbes vertreten.

Welches ist Ihr Lieblingsrestaurant und -hotel?
Albert Rösti: Die Auswahl ist hier wirklich vielfältig. Das Belle Époque Hotel Victoria in Kandersteg, wo wir uns momentan befinden, ist ein herausragendes Hotel. Obwohl ich im Dorf aufgewachsen bin, hatte ich bis jetzt noch nie die Gelegenheit, hier zu übernachten. Mein Aufenthalt hier habe ich sehr genossen.

Wann sind Sie mit einem Betrieb zufrieden?
Albert Rösti: Für mich braucht es zuallererst Freundlichkeit. Oft merke ich innerhalb von fünf Minuten, ob ich zufrieden sein werde oder nicht. Es muss eine gewisse Verbindung entstehen, wenn man zur Türe reinkommt. Ich muss mich zu Hause fühlen. Wenn aber an der Rezeption jemand nicht aufmerksam ist und «nuscht», ist es schon passiert. Stellt sich der Patron persönlich vor und erkundigt sich nach dem Wohlbefinden seiner Gäste, verzeihe ich auch mal ein Missgeschick.

Als ehemaliger Parteipräsident hatten Sie schon vor Ihrer Wahl Einblick in den Bundesrat. Was hat Sie seit Ihrem Amtsantritt trotzdem überrascht?
Albert Rösti: Der Umfang der Geschäfte und das Tempo. Immer wieder heisst es, in Bundesbern gehe alles langsamer. Das gilt für den Bundesrat nicht. Wir bewältigen eine enorme Flut von Dossiers, bei Arbeitstagen mit mehr als zehn Sitzungen. Das konnte ich mir so nicht vorstellen. Aber es ist auch ein Privileg, in diesen Geschäften arbeiten zu können. Casimir Platzer hat als Hotelier und als Verbandspräsident von GastroSuisse ebenfalls ein dichtes Programm.

Casimir Platzer: Der Unterschied ist wohl, ob du eine Sitzung leiten musst oder nur als Mitglied der Sitzung beiwohnst. Wenn ich eine leite, bin ich stärker gefordert.
Albert Rösti: Das stimmt. Ich war elf Jahre in einer nationalrätlichen Kommission. Da war ich als Nationalrat einer von 25.  Als Bundesrat sitze ich nun vorne, was entsprechend mehr Energie kostet.

Energie ist das richtige Stichwort: Werden wir diesen Winter zu wenig Strom haben?
Albert Rösti: Wir haben alles darangesetzt, dass dies nicht der Fall sein wird. Wir haben im Departement entsprechende Sicherheitsmassnahmen getroffen und beobachten die Situation laufend. Aber ein Restrisiko kann nie ausgeschlossen werden.

Was hat Ihr Departement konkret unternommen?
Albert Rösti: Der Bundesrat hat das Reservekraftwerk im aargauischen Birr bereitgestellt, das im Notfall eingeschaltet werden kann. Wir haben Verträge mit den Betreibern von Speicherkraftwerken abgeschlossen, damit diese im Frühling noch Wasser in den Stauseen führen. Wir haben alles Denkbare unternommen. Doch das Leben ist nicht ohne Risiko. Wenn sich verschiedene negative Faktoren kumulieren wie zu wenig Gas in Europa, Ausfälle bei den französischen Kernkraftwerken und ein sehr kalter Winter, dann kann es durchaus wieder kritisch werden. Dann wird der Bundesrat handeln und weitere Massnahmen ergreifen. Derzeit gehen wir nicht von einer Mangellage aus.

 

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Die beiden Kandersteger im Gespräch. (Bild: Daniel Winkler)

Wie sollen sich Restaurants und Hotels auf den Winter vorbereiten?
Albert Rösti: Sicher lohnt es sich, die Tanks mit den nötigen Brennstoffen zu füllen, egal ob Heizöl oder Holzpellets. Und es ist ratsam, sich vorzubereiten. Im Sommer kann beispielsweise die Heizung gewartet und technisch optimiert werden. So verbraucht man im Winter weniger Heizenergie. Auch beim Strom gibt es viele Sparmöglichkeiten durch technische Optimierungen. Zum Beispiel das korrekte Einstellen der Lüftung in der Restaurantküche oder Bewegungsmelder, sodass das Licht im Gang nur dann brennt, wenn jemand dort ist. Wo gespart werden kann, wissen die Betriebe selbst am besten. Und es gibt auch Beratungsangebote. Klar ist aber: Nicht jeder kann beispielsweise ein Gerät einfach so durch ein energiesparenderes ersetzen.

Soll die Schweiz die Stromsparbemühungen intensivieren?
Albert Rösti: Stromsparen ist ein laufender Prozess. Es kommen stets noch effizientere Waschmaschinen und andere Geräte auf den Markt. Strom zu sparen, ist eine Daueraufgabe für unsere wachsende Bevölkerung. Die Menschen müssen sensibilisiert sein. Schon als Kind habe ich darauf geachtet, das Licht zu löschen. Damals haben wir das aber gemacht, weil wir aufs Geld achten mussten.

Casimir Platzer, was machen Sie in Ihrem Betrieb, um Energie zu sparen?
Casimir Platzer: Wir sind beispielsweise an eine Holzschnitzelheizung angeschlossen und haben auf sparsamere LED-Lämpchen umgestellt. In Zimmern, die nicht besetzt sind, haben wir keine Geräte mehr am Netz, ansonsten fressen diese im Standby-Modus Strom. Mit Zeitschaltuhren sparen wir ebenfalls ein. Wenn wir Kühlschränke um 21 Uhr aus- und erst am nächsten Morgen wieder einschalten, ist der Weisswein für den Mittagsservice trotzdem kühl. Ich kann allen empfehlen, PEIK, die professionelle Energieberatung für KMU von EnergieSchweiz, zu beanspruchen. Die sehen das Sparpotenzial der Betriebe. Diese Energieberatung können die GastroSuisseMitglieder zu günstigen Konditionen beanspruchen. Auch wir haben das gemacht. So erreicht man mit wenig Aufwand viel.

Mit diesen Schritten sparen Sie auch Geld ein.
Casimir Platzer: Ja. Mit diesen einfachen Massnahmen konnten wir unseren Stromverbrauch um rund fünf Prozent senken, was etwa 12 500 Kilowattstunden ausmacht. Letzten Sommer bezahlten wir rund 70 Rappen pro Kilowattstunde. Vorher waren es 10 Rappen! In den Monaten Juli/August war unsere Stromrechnung so hoch wie für das gesamte Jahr 2022.

Die Mehrkosten müssen Sie auf die Gäste abwälzen.
Casimir Platzer: Wir haben rasch analysiert, wo wir bei der Energie einsparen können. In der Betriebsrechnung 2022 spürten wir nicht nur die explodierenden Energiepreise, denn die Teuerung umfasste auch Produkte im Einkauf oder höhere Löhne. Wir arbeiten mit dynamischen Preisen und haben sie leicht angepasst. Aber den Grossteil der Zusatzkosten mussten wir schlucken. 2022 hatten wir umsatzmässig das beste Jahr in der Geschichte. Aber unterm Strich war es weit weg von einem Rekord, weil die Kosten massiv gestiegen sind.

Was ein Grund mehr ist, die Preissteigerungen weiterzugeben.
Casimir Platzer: Wir bewegen uns in einem globalen Markt. Die Preissensibilität der Gäste erlaubt es uns nicht, die vollen Kosten abzuwälzen. Sonst sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Was uns entgegenkommt, ist die massiv höhere Inflation in den EU-Ländern. Wenn ich im Ausland die Getränkepreise in den Restaurants mit unseren vergleiche, sind die nicht mehr unbedingt günstiger als unsere hier.

Bundesrat Rösti, Sie haben im Abstimmungskampf das Klimaschutzgesetz zur Annahme empfohlen. Werden wir die im Gesetz gesteckten Ziele ohne Verbote und neue Steuern erreichen?
Albert Rösti: Ja, wenn es uns gelingt, in der nötigen Zeit genügend zusätzlichen Strom zu produzieren. Verbote nützen nichts. Wir können den Menschen nicht verbieten, im Winter zu heizen. So würde die Bevölkerung an Komfort einbüssen. Wir brauchen Alternativen zu den fossilen Energieträgern. Doch Energie- kommt vor Klimapolitik. Zuerst müssen wir sicherstellen, dass unser Land genügend Strom hat, bevor wir die fossile Energie ersetzen. Momentan ist mir wichtig, das Risiko einer Mangellage sehr rasch abzuwenden. Verbote sind für mich kein Thema. Das habe ich vor der Abstimmung versprochen. Daran halte ich mich. Wir müssen den Menschen ihre Freiheit lassen. Am Ende wird jedoch das Parlament entscheiden.

Casimir Platzer: Ich schätze die Haltung von Bundesrat Rösti und hoffe wirklich sehr, dass er sein Versprechen einhalten kann. Ich bezweifle aber, dass wir unseren Energiebedarf ohne fossile Energieträger decken können Das Netto-null-Ziel ohne Verbote zu erreichen, ist wohl fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Ein anderes Thema an die Adresse des Verkehrsministers: Wie gelingt es der Schweiz, die Tourismusgebiete besser an den internationalen Reiseverkehr anzubinden?
Albert Rösti: Indem wir unsere Infrastrukturen ausbauen. Der Ausbau der Schiene beispielsweise ist wichtig für die internationale Anbindung. Dazu gehört etwa die Doppelspur durch den Lötschberg oder der Tunnel zwischen Lausanne und Genf. Für die Gäste ist auch die Strasse ein wichtiger Transportweg. Aktuell wird ein zweiter Gotthard-Strassentunnel gebaut. Wir verhandeln darüber, Nachtzüge finanziell zu unterstützen, damit die Reisenden von Stadt zu Stadt den Zug statt den Flieger nehmen. Eine Vision sieht eine direkte Zugverbindung von Zürich nach London vor. Wir haben in der Schweiz generell ein hohes Niveau, dürfen aber nicht vergessen, dass wir bei diesen Projekten auf ausländische Partner angewiesen sind.

Der ständig wachsende Stau am Gotthard beschäftigt inzwischen die ganze Schweiz. Welche Massnahmen braucht es konkret vor 2027?
Albert Rösti: Einige kurzfristige Massnahmen haben wir bereits realisiert. Auf beiden Portalseiten kann man den Pannenstreifen als Ausfahrtsspur auf den Pass nutzen. Weiter schliessen wir auf der Nordseite temporär Einfahrten. Damit minimieren wir den Ausweichverkehr, damit Einheimische durchkommen. Die Kapazität können wir jedoch nicht von heute auf morgen erhöhen. Und wir müssen aufpassen, das Nadelöhr nicht auf vier Spuren zu öffnen, weil das zu Engpässen auf allen Zufahrtsstrecken führen würde. Je attraktiver wir diese Strecke machen, desto mehr Reisende locken wir an. Intelligente Systeme werden uns dabei helfen, den Verkehr zu managen.

Sie sind als UVEK-Vorsteher auch Umweltminister: Fast ein Drittel der gesamten Lebensmittelverschwendung betrifft Privathaushalte. Welche Massnahmen ergreift der Bund?
Albert Rösti: Wichtig ist für das Bundesamt für Umwelt die Sensibilisierung. Wir können Privathaushalten keine Vorschriften machen. Möglich ist, die Haltbarkeitsdaten von Lebensmitteln auszudehnen und dies zu kommunizieren: Was im Laden abgelaufen ist, muss nicht immer gleich fortgeworfen werden. Hier gilt es, Vernunft walten zu lassen. Ich bin klar dagegen, der Bevölkerung vorzuschreiben, was sie essen und trinken soll. Hingegen ist der Kampf gegen Food Waste wichtig. Lebensmittelverschwendung geht auch deshalb nicht, weil so viele Menschen in dieser Welt Hunger leiden.