Gastronomie

Wein, der zum Träumen verleitet

Caroline Goldschmid – 10. August 2018
Obwohl von Gastro-Führern wie Parker und Gault Millau ausgezeichnet und zum «ValaiStar» des ­Jahres ernannt, ruht sich ­Marie-Thérèse Chappaz nicht auf ihren Lorbeeren aus.

Einige Stunden auf dem Weingut Domaine de la Liaudisaz in Fully zu verbringen, ist ein echtes Erlebnis. Marie-Thérèse Chappaz ist hier bekannt wie ein bunter Hund – umgeben von Freunden, Kunden, Mitarbeitenden. Auf dem Gutshof, den ihr Grossonkel Maurice Troillet seinerzeit baute, läuft immer etwas. Die Winzerin-Einkellerin und Schweizer Päpstin der Biodynamie macht ihrem Ruf alle Ehre. Der Erfolg ­erfordert eine vielseitige Arbeit, doch Chappaz verliert das Wesentliche nicht aus den Augen: Die Aufmerksamkeit, die sie ihren Weinbergen und ihren Kunden entgegenbringt. Vor dem Degustieren ihrer bekannten Crus spricht GastroJournal mit der Grande Dame des Walliser Weines. GastroJournal: Marie-Thérèse Chappaz, wer sind Sie? Marie-Thérèse Chappaz: Ich arbeite seit 1988 als selbstständige Winzerin im Wallis, bin Mutter einer Tochter, die dieses Jahr 30 Jahre alt wird, und Grossmutter von zwei Enkelkindern. Ich arbeite mit Wein, seit ich 18 Jahre alt bin. Während zehn Jahren absolvierte ich meine Ausbildung hauptsächlich an der Weinhochschule Changins. Danach übernahm ich den Familienbetrieb, der damals 1,5 Hektaren gross und somit zu klein war, um davon leben zu können. Heute ist das Weingut zehnmal grösser. Zehn Jahre nach der Übernahme stellten Sie den Weinbaubetrieb nach und nach auf Biodynamie um. Worauf beruht diese Philosophie?
Beim biodynamischen Weinbau werden weder synthetische Produkte noch Herbizide verwendet. Das Vorgehen lässt sich leicht anhand der Medizin erklären. Die Heilung durch Pflanzen und ätherische Öle (Phytotherapie, Aromatherapie) kommt der biologischen Landwirtschaft gleich. Und die Biodynamie kann mit der Homöopathie verglichen werden, denn es handelt sich um spezifische Präparate, die mit Wasser vermischt und auf die Weinreben gegeben werden, um diese zu dynamisieren und um die Bodenfruchtbarkeit und die Widerstandskraft der Pflanze zu fördern. Ich ziehe auch den Mondkalender in meine Arbeit mit ein, obwohl dieser nicht zu den Grundlagen der Biodynamie gehört. Am Anfang war alles neu für Sie, Sie mussten Ihren Beruf von Grund auf erlernen … Ich belegte Kurse und beauftragte mehrere Male einen französischen Berater, der mir Ratschläge erteilte. All dies brauchte viel Zeit, motivierte mich aber sehr, denn ich lerne gerne. Und ich liebe die spirituelle Seite der Biodynamie: Die ganzheitliche Sichtweise der Welt. Es zählt nicht nur das Weingut, sondern auch die Zusammenarbeit mit den anderen. Diese Kenntnis ist mir im Allgemeinen sehr wichtig, sie trifft aber auch auf die Biodynamie zu. Unter Kollegen tauschen wir uns oft über Weinreben aus, die viel Aufmerksamkeit erfordern, gerade weil wir sie nicht überbehandeln. Haben Sie mit fast 60 Jahren das Gefühl, auch heute noch dazuzulernen? Ganz bestimmt. Zudem versuche ich mich in neuen Methoden. Letztes Jahr begann ich den Boden mit meinem Pferd zu bearbeiten. Das ist eine Entscheidung, die sich mit meiner Philosophie deckt, einerseits, um weniger Treibstoff zu verwenden und die Lärmbelästigung zu verringern, und andererseits, um insbesondere eine Verbindung zwischen Tier, uns und den Pflanzen herzustellen. Und ich habe noch ganz viel Energie und weitere Projekte! Zum Beispiel? Ich würde gerne einen Club gründen. Konkret stelle ich mir vor, dass die Mitglieder einen jährlichen Beitrag bezahlen und dann auf das Weingut kommen können, um ein Glas guten Wein zu trinken und um Käse und Terroir-Produkte zu geniessen. Die verschiedenen Ecken (der Garten, die Terrasse, die Scheune) dienen als Ort für Begegnungen, sei es um in Ruhe ein Buch zu lesen oder für berufliche Treffen. Der Club würde sich gut eignen, um auf Ihre Weine aufmerksam zu machen. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Gastronomen sie auf ihre Weinkarte setzen. Ist das der Fall? Sicher, denn das ist eine hervorragende Visitenkarte. Ich erziele etwa 30 Prozent meiner Verkäufe über die Gastronomie. Meine Weine sind schweizweit zu finden, sowohl in Sterne-Restaurants wie beispielsweise dem Restaurant Hôtel de Ville in Crissier oder bei Anne-Sophie Pic im Beau-Rivage Palace als auch in Bistros wie dem Café Mont-Fort in Sarreyer und dem Restaurant Neumarkt in Zürich. Sind die Schweizer Weine Ihrer Ansicht nach gut in einheimischen Betrieben vertreten? Grundsätzlich denke ich, dass sich die Situation verbessert hat. Doch das Verhältnis zu ausländischen Weinen bleibt ein Problem, denn die Gastronomen rentabilisieren manchmal den Preis einer italienischen oder argentinischen Weinflasche mit dem Verkauf eines einzigen Glases … Aber einige Restaurants gehen den umgekehrten Weg und setzen nur Schweizer Weine auf ihre Karte, wie etwa das Le Myo in Lausanne. Ich finde es grossartig, eine solche Politik anzuwenden. Zudem bezahlen die Schweizer mehr für einen Wein aus der Region. Und der Walliser Wein verleitet zum Träumen! Um uns ins Schwelgen zu bringen, muss unser Wein Weltruf geniessen. Der Direktor von Swiss Wine Promotion Jean-Marc Amez-Droz erklärte uns in einem früheren Interview die Wichtigkeit der Anerkennung unserer Weine im Ausland … Ganz genau. Ich unternahm viel, um im Ausland auf mich aufmerksam zu machen, insbesondere indem ich an zahlreichen Weinmessen teilnahm. Es gibt nur wenige Schweizer Winzer, die das tun, und das ist äusserst bedauernswert, denn auf diese Weise können Importeure gefunden werden. Zu Beginn war ich die einzige Schweizerin unter den Ausstellern am Salon Greniers Saint-Jean in Angers, in dem Produzenten aus der ganzen Welt ausstellen. Der Schweizer Wein könnte hohes Ansehen erlangen, denn er ist selten und weniger teuer als zum Beispiel Bordeaux-Weine, die bereits hoch im Kurs stehen. Es gibt eine Nische für uns! In einem Interview sagten Sie gegenüber der Zeitung «Le Temps», es sei wichtig, den jungen Leuten unter die Arme zu greifen. Sehen Sie sich wie Anne-Sophie Pic als Mentorin? Was die Wissensvermittlung betrifft: ja. Ich bildete jede Menge Lernende und Praktikanten aus. Und ich gebe immer Frauen den Vorrang. All jene, die hier waren, leisteten Qualitätsarbeit: Valentina Andrei, Nadine Strasser oder auch Camila Wohlers, die bei mir die Lehre zur Kellermeisterin absolvierte. Ich brachte sie auf den Geschmack der Selbstständigkeit, der Qualitätsarbeit und der Anerkennung. Wo trifft man Sie demnächst? Am 30. August bin ich im Restaurant Le Prussien in Neuenburg. Anlässlich des Abends, «Harmonie von Speisen und Weinen» unterstreichen meine Weine den köstlichen Schinken der Frères Alcala und die Küche von Chef Jean-Yves Drevet. Am darauffolgenden Tag, am 31. August, bin ich beim Marché des Producteurs von Anne-Sophie Pic im Beau-Rivage Palace dabei. Am 12. November feiern wir 50 Jahre La Charte Saint-Théodule, eine Vereinigung, die sich für die Qualitätsprodukte von Walliser Winzern und Einkellerern einsetzt. Der Anlass findet im Schloss Leuk statt, und wir laden hierzu die Gastronomen der Schweizer Gilde ein. Auch nehme ich jedes Jahr an der Veranstaltung «Les 4 Glorieuses» teil, einer Messe für Fachleute der Restauration, die jeweils im Mai in Martigny stattfindet.