Gastro Journal
Gastronomie

Über 100 Jahre lang ein heilloses Hin und Her

Peter Grunder – 01. März 2017
Bereits die Privatbahnen des 19. Jahrhunderts versuchten sich in gehobener Küche auf Rädern, und wer heutzutage mit den Rhätischen Bahnen den richtigen Zug erwischt, sieht sich in diese Epoche zurückversetzt: wertiges Mobiliar, edle Gedecke, feiner Plattenservice – ein gemächlicher Genuss halt.

Die Schweizer Privatbahnen sindweitgehend Konkurs gegangen. 1903 verstaatlichte der Bund sie zu den SBB, Gründung der Schweizerischen Speisewagengesellschaft (SSG) inklusive. Mit Blick auf die Verkehrsgastronomie herrschte fortan im Takt des Wandels von Genera-tionen und Technologien ein letztlich hektisches Hin und Her. Die eigentliche Konstante war dabei die mangelnde Rendite: Das Gastgewerbe ist ohnehin ein äusserst anspruchsvolles Geschäftsfeld, das praktisch nur dann ordentliche Gewinne erlaubt, wenn bestimmte Produktionsfaktoren ausserordentlich günstig zu gestalten sind. Die Verkehrsgastronomie hat das in den letzten Jahrzehnten namentlich dank effizienterer Produk-tionsverfahren geschafft. Der Erfolg von Take-away und die gigantischen Umsätze in Bahnhöfen (siehe oben) sind ebenso Ausdruck davon wie die teilweise erstaunliche Qualität von Menüs im Speisewagen. Aber eben: Ein Geschäft wird das im Speisewagen nimmer – sogar die lange Zeit leidlich rentabler Verpflegungsschubkarren verschwindet nun. Aber statt die ökonomischen Sachzwänge nach über 100 Jahren Praxis anzuerkennen, fährt auch die jetzige strategisch verantwortliche Generation hektisch hin und her. Natürlich ist es herausfordernd, die Übersicht nicht zu verlieren zwischen kommerziellen Anforderungen, Angeboten internationaler Biergiganten und ambitionierter Gastronomen sowie Ansprüchen technischer, politischer und ideologischer Lobbyisten. Aber eigentlich ist es auch einfach: Das Kulinarische auf Rädern rechnet sich nicht, deshalb formulieren die ohnehin nicht rentablen SBB hier politische Ziele – wie das etwa die SRG in ihrem Feld seit jeher tut. Das kann im Speisewagen nur heis-sen, jenseits kommerzieller Hetze eine schweizerische Visitenkarte abzugeben, die beeindrucken will – entsprechend dem ÖV und dem kulinarischen Erbe der Schweiz.