Gastronomie

«Statt auf Quote setze ich lieber auf Diversität»

Corinne Nusskern – 28. Februar 2023
Franziska Kuhn ist seit Januar Leiterin Betriebe Gemeinschaftsgastronomie Schweiz bei der SV Group. In dieser Kaderposition ist sie für 300 Restaurants und rund 2400 Mitarbeitende, davon 86 Lernende, verantwortlich. Sie ist alleinerziehende Mutter. Ja, das sei möglich. Und zwar nicht nur sehr gut, sondern mit Freude.

Franziska Kuhn, wie schneidere ich mir eine Karriere in die höchsten Etagen?

Franziska Kuhn: Eine gute Frage für eine gelernte Damenschneiderin (lacht). Ich habe nie geplant, in zehn Jahren diesen oder jenen Karrierestatus zu erreichen. Ich bin eine Person, die macht, was ihr Spass macht. Konkret schneidert man sich eine Kaderposition aus einer guten Grundeinstellung und Fachkompetenz, ergänzt mit der nötigen Führungserfahrung.

Hatten Sie auf Ihrem Weg Förderer oder war es eher ein einsamer Kampf?

Es gab im Laufe meiner Karriere immer wieder Menschen, die mich förderten, weil sie meine erbrachte Leistung wahrgenommen hatten. Ich bin seit 2007 bei der SV Group – und wie so viele in unserem Unternehmen eine langjährige Mitarbeiterin. Denn neben dem sozialen Engagement und einer offenen Kultur sind hier die notwendigen Gefässe und Tools vorhanden, um Mitarbeitende mit Potenzial zu fördern. Dies schafft Loyalität.

Ist eine Kaderposition als alleinerziehende Mutter in der Systemgastronomie eher möglich, weil das Hauptgeschäft fast ausnahmslos mittags stattfindet?

Absolut. Die Institutionen und Kindertagesstätten sind nicht darauf ausgerichtet, dass man die Kinder abends abgeben kann. Klar, es gäbe bestimmt auch da Lösungen. Jede Familie organisiert sich anders, je nach Umfeld. Meine Tochter ist zweieinhalb Jahre alt und vier Tage pro Woche in der Kita. Ich habe glücklicherweise viele Freiheiten in der Agendagestaltung. Dies gibt mir die Flexibilität, um zum Beispiel fast immer mit ihr frühstücken zu können.

Gibt es Momente, wo Sie zwischen Berufsanforderung und Kind hadern –  jetzt bin ich da, müsste aber dort sein?

Jede Mutter, die sagt, diese habe sie nie, macht sich etwas vor. Selbstverständlich gibt es diese Momente. Was, wenn das Kind krank ist? Dann komme ich als alleinerziehende Mutter sehr schnell in eine herausfordernde Situation.

Wie findet man da die Balance?

Mein wichtigster Job als Mutter ist, dass es meiner Tochter gut geht. In der Kita fühlt sie sich wohl, dort läuft immer etwas, zu Hause wäre ihr viel langweiliger (lacht). Und ganz ehrlich: Wäre ich nur zu Hause, ich wäre keine gute Mutter.

Wie meinen Sie das?

Ich kann nur eine gute Mutter sein, wenn es mir selbst gut geht. Ich arbeite sehr gern bei der SV Group, ohne würde mir etwas fehlen. Drei Tage pro Woche bin ich bei und mit meiner Tochter. Da bin ich im Reinen mit mir und habe keine Konflikte. Diese Mischung aus Karriere und Kind ist etwas Wunderschönes, beides tut sich gegenseitig gut. Es eröffnet im Geschäftsalltag andere Sichtweisen. Komme ich nach einem anstrengenden Tag nach Hause, erhalte ich durch meine Tochter sofort einen geistigen Break und schalte ab. All dies macht mich leistungsfähiger und fokussierter.

Wirtschaftlich gesehen ist dies in einer Kaderposition gut machbar. Für Alleinerziehende in unteren Einkommensklassen ist es schwieriger. Was braucht es, damit auch sie es leichter hätten?

Es bräuchte noch viel mehr dem Einkommen angepasste Kitaplätze und Betreuungsmöglichkeiten. Besserverdienende könnten sich teurere Plätze leisten, denn dann gäbe es mehr Plätze für Kinder von Eltern in unteren Einkommensklassen. Das muss noch stärker gefördert werden.

Wie wichtig sind für Sie Chancengleichheit und Quote?

Jede Unternehmensleitung ist dafür verantwortlich, die Chancengleichheit sicherzustellen. Statt auf Quote setze ich bei der Teambildung lieber auf Diversität. Ein Team funktioniert nur, wenn es aus verschiedenen Charakteren mit einer Mischung von Herkunft, Alter oder Erfahrung besteht. Da spielt das Geschlecht keine Rolle.

Noch immer gibt es mehr Männer als Frauen in Kaderpositionen. Wie lässt sich dies ändern?

Vergleiche ich die Situation mit nordischen Ländern, sind wir in der Schweiz diesbezüglich etwas traditionell unterwegs. Jede Familie entscheidet individuell, wer arbeiten geht und wer zu Hause bleibt. Es ist nichts Negatives daran, wenn die Frau zu Hause bleibt, viele möchten dies so. Natürlich auch Männer. Heute haben wir alle Freiheiten, es gibt keine geschlechter­spezifischen Einschränkungen. Aber ganz klar: Es gibt weniger Frauen, die sich auf Kaderpositionen bewerben. Bei der Vergabe jedoch, ist das Geschlecht dann irrelevant.

Eigentlich müssig, dass man diese Frau-Mann-Thematik noch diskutieren muss.

Völlig. Doch wer treibt die Diskussion an? Wir sprechen zurzeit oft über Personalmangel. Gehen zu wenige Frauen arbeiten? Darüber sollte man reden und sich darum kümmern, was man tun kann, um den Fachkräftemangel zu beheben. Dies betrifft nicht nur die Gastronomie, sondern das ganze Wirtschaftsland Schweiz. Es geht primär darum, wie man die richtigen Leute an den richtigen Arbeitsplatz bringen kann. Würde diese Diskussion geschlechterneutral geführt, wäre diese Thematik längst erledigt!

------------------

★ Starke Frauen bei der SV Group

Franziska Kuhn (41) ist seit Januar Leiterin Betriebe Gemeinschaftsgastronomie Schweiz der SV Group, bei der sie seit 2007 arbeitet. Seit 2021 ist sie Mitglied der Geschäftsleitung der SV Schweiz. Die gelernte Damenschneiderin absolvierte die Hotelfachschule Luzern und hält einen Executive Master of Business Administration (Fachhochschule Nordwestschweiz). Die Aargauerin lebt in Habsburg AG und ist alleinerziehende Mutter einer Tochter (2½).

Die Geschichte der SV Group ist von starken Frauen geprägt. Die Gastronmie- und Hotelmanagement-Gruppe mit heute über 6400 Mitarbeitenden wurde 1914 von Else Züblin-Spiller als Non-Profit-Organisation «Schweizer Verband Soldatenwohl» gegründet. Züblin-Spiller hat Wege geebnet, engagierte sich in der Frauenbewegung und liess sich von Widerständen nie aufhalten.