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Spargelmesser statt Kochbluse und Pinzette

Benny Epstein – 23. April 2020
Gastronomen wie Silvio Germann und Dennis Mazza helfen derzeit auf Landwirtschaftsbetrieben bei der Ernte mit. Damit ersetzen sie nicht nur die fehlenden Saisonniers, sondern investieren gleichzeitig in die eigene Zukunft.

Es ist kalt, das Thermometer zeigt noch keine zehn Grad Celsius an, die Sonne hält sich zurück. Auf den ersten Blick zeigt sich ein ähnliches Bild wie in jedem Jahr zu dieser Zeit auf dem Spargelhof Risch in Fläsch GR. Erntezeit, die Spargelstecher sind ab 6.30 Uhr unterwegs. Sie heben die Plastikdecke, die über den Spargeln liegt, weg, suchen kniend nach Spitzen, die aus der lockeren Erde ragen. Mit der blossen Hand buddeln sie Löcher in die Erde und stechen den reifen, weissen Spargel. Rund zwanzig Zentimeter lang soll er sein. «Man muss beim Stechen vorsichtig sein, um keine anderen Spargeln zu verletzen, die noch unreif sind», erklärt Christian Risch.
Es sind mehr Spargelstecher als in anderen Jahren, andere Gesichter. Wo sonst zumeist polnische Saisonniers die Arbeit verrichten, sind es nun Leute aus der Umgebung. Wegen der Coronakrise dürfen viele jahrelange Erntehelfer gar nicht aus ihren Ländern ausreisen. Die Einreise in die Schweiz mit einer Arbeitsbewilligung war bis zum 26. März gestattet. Spargelmesser statt Pinzette
Auf dem Spargelhof Risch ist nur eine Polin zugegen. Sie arbeitet so effizient wie fünf andere Spargelstecher zusammen. Die meisten stechen zum ersten Mal. Sie gehen sonst anderen Berufen nach. So auch Silvio Germann (30), Küchenchef im Restaurant Igniv by Andreas Caminada im Grand Resort Bad Ragaz. Sein Betrieb ist geschlossen. «Da viele Gastarbeiter nicht einreisen durften, war für mich klar, dass ich meine Hilfe unseren Produzenten anbot», erklärt der Zweisternekoch. «Die Familie Risch zeigte sich sehr dankbar.» Windjacke statt Kochbluse, das gebogene Spargelmesser statt der Pinzette. «Es ist eine ganz andere Arbeit», so Germann. «Körperlich ist sie sicher anstrengender, da man viel gebückt arbeitet.» Und das frühe Aufstehen gehöre nicht zu seinen Stärken. Fünf Tage arbeitet Germann mit, vorerst. «Ich bin aber gerne bereit, noch länger auszuhelfen.» Betrachtet man die Zahlen des Staatssekretariats für Migration aus dem Jahr 2019, so dürfte der Spargelhof Risch wohl gerne weiter auf die Mitarbeit des Kochs zählen: Im Sektor Forst- und Landwirtschaft leisteten 18 205 Saisonarbeiter im vergangenen Jahr insgesamt 984 839 Arbeitstage. «Kann diese Arbeit jedem empfehlen»
Neben Germann helfen noch weitere Gastronomen in Fläsch mit. Auch Roman Hermann sticht Spargel. Er kennt die Arbeit auf dem Feld bestens, allerdings im Rebberg: Seine Fläscher Weine kennt man über die Kantonsgrenzen hinaus bestens. Germann: «Ich finde es unglaublich cool, wie alle zusammenspannen und an einem Strang ziehen.» Der Igniv-Küchenchef bezieht seit vier Jahren Spargeln von Christian und Ines Risch. «Das Produkt ist fantastisch. Aber gerade jetzt merke ich, dass ich noch längst nicht alles darüber weiss.» Germann ist wissensdurstig, fragt nach den Unterschieden zwischen den Sorten, nach der optimalen Dicke, schaut beim Waschen, Zuschneiden und Sortieren zu. Und gönnt sich zum Ende des intensiven Vormittags ein Kilogramm Spargeln, die er sich am Abend zu Hause zubereiten möchte.
«Ich kann diese Arbeit jedem aus der Gastronomie nur weiterempfehlen. Einerseits haben viele jetzt Zeit, und wir haben die Möglichkeit, die Menschen dahinter kennenzulernen und sie in einer Notlage zu unterstützen. Anderseits ist mein Bezug zum Produkt nun ein ganz anderer.» Wer selber erlebt hat, wie viel Arbeit hinter einem solchen Gewächs steckt, wird gewiss noch sorgfältiger darauf achten, dass möglichst wenig Food Waste in der Küche entsteht. Zudem hat er dem Gast eine spannende Geschichte zu erzählen. Welche Gastronomen helfen bei der Ernte?
Landwirtschaftsbetriebe und Gastronomen finden derzeit vielfach auf der Online-Plattform Coople zueinander. «Bis vor Ostern konnten wir rund sechzig Tagesschichten vermitteln», berichtet Coople-Projektleiterin Desirée Denzler. «Aktuell haben wir diverse weitere Einsätze, die in den nächsten Tagen starten werden.» Die Erntesaison für viele Gemüse- und Obstsorten beginnt aber erst gegen Ende April. Dann dürfte die Nachfrage seitens der Landwirtschaftsbetriebe steigen.
Doch welche Personen aus der Gastronomiebranche sind es, die bereit sind, als Erntehelfer für rund 15 Franken pro Stunde einzuspringen? Denzler: «Wir haben das bisher noch nicht detailliert ausgewertet. Für eine Zwischenbilanz ist es noch etwas früh, da die Erntesaison erst startet. Für die ersten Jobs konnten wir aber beispielsweise Küchenchefs und Betriebsleiter von Restaurants vermitteln, die aushelfen wollten und so den Anfang ihrer Lieferkette kennenlernen. Das Interesse der Arbeitnehmer an den ersten Einsätzen war sehr gross.» Grosser Respekt für Landwirte und deren Produkte
Einer, der durch Coople den Weg aufs Feld findet, ist Dennis Mazza (35). Ohne das Coronavirus würde er jetzt an der Zürcher Bahnhofstrasse Bankern und Anwälten das Mittagessen zubereiten oder Paaren ein mediterran angehauchtes Dinner kochen. Er ist erst seit Kurzem Küchenchef im Restaurant Aurora. Mazza packt auf dem Betrieb der Max Schwarz AG im aargauischen Villigen mit an. «Toni Suter ist der Bereichsleiter. Er führt uns täglich durch unsere Aufgaben.» Mit Mazza arbeiten weitere Gastronomen auf dem Feld: Laura Arcuri, Betriebsleiterin im Restaurant Nooba in Laax GR, Simon Rusch, Sous Chef Golfrestaurant Gladys in Bad Ragaz SG, sowie Silvan Riniker, Sous Chef im Cube in Zürich-Altstetten.
Mazza erntet Lauch und Gurken, setzt Zucchetti und Lauch für die neue Ernte. Arbeitsbeginn ist um sieben in der Früh, der Tag endet um 18 Uhr. «Die Tage sind sehr anstrengend. Die Abläufe und die körperliche Betätigung sind ganz anders als in der Küche.» Wie Germann betont auch er die gebückte Haltung, die in den Rücken gehe. «Mein Respekt für die Leute, die diese Arbeit für uns verrichten, ist riesig. Ich möchte den Landwirten und den Mitarbeitern meinen Dank aussprechen.»
Der gebürtige Dortmunder arbeitet gar drei bis vier Wochen auf dem Feld mit. «Aus Solidarität für die Landwirtschaft», erklärt er. «Als Koch sehe ich es als meine Pflicht, sich gegenseitig zu unterstützen. Ich sehe es auch als meinen Beitrag für die Gesellschaft an.» Den Nutzen für seine eigene berufliche Zukunft beurteilt er ähnlich wie Germann und betont: «Ich werde kaum mehr etwas leichtsinnig wegschmeissen.» Nicht nur starke Männer und Frauen sind gefragt
Mancher Arbeitskraft aus der Gastronomie dürften die Tage als Erntehelfer auch als sinnvoller Zeitvertrieb entgegen kommen. Sich körperlich betätigen, sich gedanklich von den Sorgen um die Zukunft lösen und am Abend müde aber erfüllt ins Bett fallen – eine gute Übergangslösung und eine kostenlose Investition in die eigene Karriere.
Spargelbauer Christian Risch hält fest, dass «nicht nur starke Männer und Frauen gesucht» seien. «Eine Frau wollte mittun, aber auf dem Feld hätte sie uns nicht geholfen. Es ging körperlich nicht. Wir konnten sie anderweitig einsetzen und sind sehr froh um sie.» Seine Spargeln verkauft Risch an Gastro­nomen und an Privatkunden ab Hof. Gegen Mittag, gerade als sich die Erntehelfer zum verdienten Kaffee und Konfibrot hinsetzen, bildet sich beim Hofladen eine lange Menschenschlange. Sie alle wollen sich das eine oder andere Kilogramm der frischen, weissen Stängel ergattern. Weil sie vorschriftsgemäss Abstand halten, wirkt die Schlange noch viel länger. Tortelli mit Spargeln und Burrata
«Ein gutes Gefühl», findet Germann schmunzelnd. Wohlwissend, dass ein Bund Spargeln für ihn bereit liegt. Dann fährt er nach Hause, um für sich und seine Freundin Monja zu kochen: Tortelli mit Spargeln und Burrata. Den Teig bereitet er frisch zu. Dann brät er die in Würfel geschnittenen Spargeln mit Zwiebeln, Zitronensaft und -zeste in der Pfanne an. Dies vermengt er mit einer Burrata und Petersilie und belegt die Teigviertel gleichmässig. Dann verschliesst er die Taschen gekonnt. Die Spargelspitzen brät er mit Butter in der Pfanne an und gibt schliesslich für einen kurzen Moment die Tortelli dazu. Ein wenig Burrata zum Anrichten – fertig ist das simple Gericht, das Seele und Gaumen erfüllt und in jenem Moment besser schmeckt als jedes andere Spargelgericht zuvor. Vom Boden bis in den Mund aus einer Hand.