Gastronomie

Sie setzen auf eine durchgehend geöffnete Küche – und es funktioniert

Caroline Goldschmid – 20. Februar 2019
Zwei Gastronomen, die seit mehreren Jahren einen Nonstop-Betrieb führen, erzählen von ihren Erfahrungen und verraten, weshalb sie ihre Entscheidung keinesfalls bereuen.

Sich den veränderten Lebensgewohnheiten potenzieller Kunden anzupassen, ist gemäss Fachleuten in der Branche und Experten eine Notwendigkeit. Zu den namhaftesten Veränderungen des Alltags gehören unregelmässige Arbeitszeiten, die nach einer breiteren Zeitspanne für das Mittag- und das Abendessen verlangen. Weitere Feststellung: In unserem hektischen Leben bleibt nicht viel Zeit für die Zubereitung einer Mahlzeit. Aus diesen Gründen breiten sich Take-aways mit Höchstgeschwindigkeit aus und der Lieferservice gewinnt an Gewicht. Ein Restaurant, das durchgehend geöffnet ist, bietet eine Dienstleistung, die diesen neuen Bedürfnissen entspricht. Doch eignet sich dieses Konzept nicht für alle Restaurateure. Damit ein Nonstop-Betrieb funktioniert, müssen zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden, wie beispielsweise der Standort und das Angebot. Denn je nach interner Organisation muss mit zusätzlichen Lohnkosten gerechnet werden, wie Christine Demen Meier im Interview erklärt. Zwei Gastgeber sagen uns, weshalb sie sich für diese Marktnische entschieden haben und warum sie nicht bereit sind, von ihrem Modell abzulassen. Am Nachmittag sind die Touristen in der Überzahl
Die Brasserie J5 ist sieben Tage die Woche geöffnet und bietet seit ihrer Eröffnung am 15. Juli 2015 einen Nonstop-Service an. Der Betrieb in Montreux warb in den lokalen Medien, im Internet und auf den sozialen Netzwerken für sein Konzept. «Für Montreux ist es eine Bereicherung, denn nebst unserem Betrieb gibt es hier einzig zwei Pizzerien, die durchgehend geöffnet sind», sagt Bogdan Popa, stellvertretender Geschäftsführer im zugehörigen Hotel J5 Helvétie. Das ideal gelegene Restaurant – im Stadtzentrum und nur einen Katzensprung vom Casino entfernt – bietet von 11.30 Uhr bis 22 Uhr alle Gerichte auf der Menükarte an. «Eine Ausnahme bildet die Jagdsaison, in der Wildgerichte ausschliesslich am Mittag und am Abend erhältlich sind», präzisiert Popa. Welche Beweggründe brachten die Inhaber dazu, eine durchgehend warme Küche anzubieten? «Zuallererst, weil Montreux eine sehr touristische Stadt ist. Zahlreiche Touristen sind am Vormittag auf Stadtführung und die Besichtigungen überschreiten oftmals die Mittagszeit. So haben sie doch die Möglichkeit, am Nachmittag bei uns etwas zu essen. Auch hilft es, dass wir uns von den anderen lokalen Betrieben differenzieren. Zudem gehört unser Restaurant zum Hotel Helvétie, in dem Seminare stattfinden, was dem Hotel erlaubt, seine Gäste zu jeder Zeit zu uns zu schicken. Nicht zu vergessen unsere lokalen Gäste mit unregelmässigen Arbeitszeiten, wie Mitarbeitende der Hotellerie und Restauration. Einige arbeiten in der Nacht, stehen um 13 Uhr auf und wollen beispielsweise um 15 Uhr etwas essen», erklärt Popa. Grosse Küchenbrigade für Speiselokal mit 80 Plätzen
Das Restaurant an der Avenue du Casino setzt alles daran, um zu jeder Tageszeit die gleiche Qualität zu gewährleisten. Diese Konstanz ist dank der Schichtarbeit des rund 20-köpfigen Teams möglich. Die Küchenbrigade steht unter der Leitung von Antonin Guex. «Ich lasse nie einen Commis den Nachmittagsdienst alleine übernehmen», sagt der Chef, der bereits mit Philippe Rochat und Edgard Bovier zusammenarbeitete. «Falls ich nicht da bin, übernimmt der Souschef.» Während im Restaurant J5 für den Mittags- und den Abendservice die gesamte Küchenmannschaft im Einsatz steht, hat zwischen 14.30 Uhr und 18 Uhr ein einziger Koch Pikettdienst. «Bei speziellen Anlässen, wie während des Weihnachtsmarkts, stehen sogar zwei Köche im Bereitschaftsdienst», führt Popa aus. Der stellvertretende Geschäftsführer will keinesfalls etwas an den Restaurationszeiten ändern. «Wir werden an diesem Modell festhalten, denn es funktioniert, und wir können unsere Ausgaben decken, auch wenn sie höher ausfallen als bei einem Betrieb mit klassischen Öffnungszeiten.» Das Image des Restaurants wird bewahrt. «Wir kommunizierten viel und warben für unser Angebot; nun wird die Mund-zu-Mund-Propaganda Früchte tragen. Wir müssen weitermachen, um glaubwürdig zu sein», sagt Bogdan Popa abschliessend. Durchgehend warme Küche seit vierzig Jahren
Konstanz zu bewahren, ist ebenfalls Motivation für Christian und Jennifer Suter, Inhaber des Café Romand. Sie übernahmen die Geschäftsführung dieser Lausanner Institution 2011 von Christiane Péclat. «Das Café Romand wurde von Louis Péclat am 22. Oktober 1951 eröffnet», erzählt Christian Suter. «1973 übernahm Christiane den Betrieb von ihrem Papa, während ihre Schwester Geneviève die Brasserie Bavaria führte, die derzeit renoviert wird. Um 1979 erkannten sie, dass eine Marktnische für einen Nonstop-Betrieb besteht und versuchten sich im neuen Modell, das seither so besteht.» Die heutigen Gastgeber dieses historischen Cafés auf dem Place Saint-François lassen die Tradition und den Geist dieses Betriebs sowie die bürgerliche Küche fortbestehen. «Alle wissen, dass das Café Romand von 11.45 Uhr bis 22.45 Uhr eine durchgehend warme Küche bietet. Das erlaubt, eine Stammkundschaft aufzubauen, was uns übrigens gut gelingt.» Einheimische, Geschäftsleute und Touristen
Einheimische, Geschäftsleute und Touristen Am Nachmittag treffen in dieser Waadtländer Wirtschaft Familien aus Lausanne, Leute, die im Stadtzentrum arbeiten, und Touristen aufeinander. «Am Samstag stehen die Familien später auf, sie gehen auf dem Markt einkaufen und kommen gegen 13.30 Uhr zu uns, um etwas zu essen», sagt Christian Suter. «Das ist für unsere Küche wirklich ein wichtiger Tag.» Das Konzept richtet sich auch auf Touristen aus, die sich zum Teil durch die Reklametafel auf dem Trottoir angesprochen fühlen. «Wir stehen zudem in regelmässigem Kontakt zu den umliegenden Hotels, und wir erinnern sie an unseren Nonstop- Service, damit sie daran denken, ihren Gästen unseren Betrieb weiterzuempfehlen», erklärt Christian Suter. Zwischen 14 Uhr und 18 Uhr finden sich auch Arbeitnehmer mit unregelmässigen Arbeitszeiten oder Geschäftsleute ein, die nach den Pausen ihrer Mitarbeitenden essen, um den stressigen Mittagsservice zu umgehen und in Ruhe ihre Mahlzeit geniessen zu können. Im Herbst und im Winter gewinnbringend
Das Café Romand wird im Sommer anders organisiert als im Winter. Während der warmen Jahreszeit kommt am Nachmittag eine reduzierte Menükarte zum Einsatz. «Im Sommer steht am Nachmittag ein einziger Koch im Dienst», erzählt Christian Suter. «Seine Schicht beginnt um 12 Uhr und endet gegen 22 Uhr. Während um 14 Uhr ein Grossteil der Küchenbrigade ihre Arbeit beendet, beginnt der diensthabende Koch mit dem Mise en Place, er köchelt Gerichte, bereitet das Sauerkraut zu, das alles mit mehreren Pausen. Von Oktober bis Ende Februar stehen zwei Köche in Einsatzbereitschaft. Der Gästeandrang nimmt während des Weihnachtsmarkts zu.»Der Gastgeber gibt zu, dass das Nonstop-Angebot für sein Restaurant nur im Herbst und im Winter gewinnbringend ist, diese Monate allerdings das ganze Jahr kompensieren. «Wir haben uns schon oft gefragt, ob wir die Küche im Sommer durchgehend geöffnet haben wollen. Aber wir geben nicht nach, denn zu diesem Zeitpunkt hat es am meisten Touristen und zudem steht die Eröffnung unserer Terrasse bevor. Seit fünf Jahren arbeiten wir an diesem Projekt und diesen Sommer wird es sich, sofern alles gut geht, endlich verwirklichen. Dank der Terrasse sind wir für die Gäste sichtbarer und können unser Angebot einer durchgehend warmen Küche weiter fördern.»Wie alle Gastronomen haben auch Christian und Jennifer mit den Veränderungen der Gesellschaft zu kämpfen. «Die Leute haben nicht mehr Zeit um vorbeizukommen, Kontakte zu pflegen, morgens einen Kaffee zu trinken und die Zeitung zu lesen», bedauern die Gastgeber. «Das Angebot der durchgehend geöffneten Küche ist auch eine Möglichkeit, um Tradition und Authentizität Fortbestand zu geben und um zu zeigen, dass im Café Romand gekocht wird! Es liegt an uns, uns neu zu erfinden und uns an die Gästebedürfnisse anzupassen.»