Gastronomie

Pâtissière des Jahres: zu alt, um etwas zu erreichen

– 26. Februar 2022
Die Geschichte der Felicia Ludwig klingt fast zu schön, um wahr zu sein – eine Tellerwäscherkarriere wie aus dem Bilderbuch. Mit 27 Jahren erst entschied sich die Rumänin für die Gastronomie. 2021 gab sie eigentlich auf. Und nun wird sie gekrönt und gefeiert.

«Feli ist unsere Prinzessin», sagt Antonio Colaianni über seine Pâtissière. Der Chef des Zürcher Sternerestaurants Ornellaia erklärt: «Sie ist die einzige Frau in der Küche und jeder weiss: Wer sich mit ihr anlegt, kriegt es mit mir zu tun.» Sie? Das ist Felicia Ludwig. Die 39-Jährige ist amtierende Gault-Millau-Pâtissière des Jahres. Nach vier männlichen Berufskollegen ist sie die erste Frau, die den Titel trägt. Dabei ist es erst ein Jahr her, als sich Ludwig eigentlich entschied, den Pâtisserie-Job zu räumen und gegen den Kochlöffel einzutauschen. Nach vielen gemeinsamen Jahren mit Colaianni trat sie die Stelle als Souschef im neuen Restaurant Sablier am Zürcher Flughafen an. «Ich wollte wieder kochen, es fehlte mir», erinnert sich die gebürtige Rumänin. «Aber ich merkte schnell, dass der Schritt ein Fehler war.»

Colaianni lacht über die Episode. «Ich wusste, dass sie bald schon zurück will.» Er liess Ludwig nicht bettelnd ankriechen, sondern breitete seine Arme aus und hiess sie, ohne zu zögern wieder willkommen. Schliesslich weiss er genau, was er an Feli hat: «Ich kenne niemanden, der so genau, gewissenhaft und schnell arbeitet.»

Eine Forderung aber stellt er. Ludwig erzählt: «Er rief mich an, fragte, wie es mir geht, und bot mir die Stelle wieder an. Aber er meinte: ‹Wenn du zurückkommst, musst du ein bisschen Gas geben. Du wirst Pâtissière des Jahres›.» Ein Machtspiel des Chefs? Mitnichten. «Antonio kennt mich. Er wollte mich damit nicht unter Druck setzen, sondern motivieren. Dass es dann so schnell aufgehen würde, hätten wir beide nicht gedacht.»

Mutlose Dessertkreationen?

Ludwigs Desserts sind klassisch. Während viele Spitzenpâtissiers durch die Kombination scheinbar unpassender Komponenten und die Integration von Gemüse, Wurzeln und Kräutern verblüffen, erscheint der Abschluss eines Menüs im Ornellaia nahezu mutlos. Schokoladenbaumstamm, Mousse, Birne, Karamell. Schokolade, Mango, Passionsfrucht. Marroni, Meringue, Blutorange, Vanilleglace. Reicht dies, um Pâtissière des Jahres zu werden? Ludwig selbst lächelt verlegen: «Es gibt so viele talentierte Pâtissiers. Ich kann es selbst immer noch kaum glauben.» Ihr Chef winkt ab: «Nein, sie hat diesen Titel so was von verdient. Ich habe in vielen Dreisternerestaurants gegessen und selten war ein Dessert so gut wie jene von Feli.»

Ja, die Kombinationen seien recht klassisch. Doch die Präzision und die Kreativität der Gerichte betitelt Colaianni als brillant. Und die Gäste feiern die Desserts: Kaum einer, der hier ohne süssen Abschluss die Rechnung verlangt. Kein Dessertteller, der nicht leer in die Küche zurückkommt. Und spätestens wenn die Friandises zum Kaffee serviert werden, gerät auch der kritischste Gast ins Schwärmen. Die Mini-Sfogliatelle mit der herrlichen, nie zu süssen Vanillefüllung sind ein knuspriger Abschluss, den alle bald wieder wollen.

Colaianni: «Gemüse im Dessert – das kann lecker sein. Zu meiner Küche passt es aber nicht.» Wer ins Ornellaia kommt, erwartet vertraute Gerichte in Perfektion. Wie die Orecchiette, die Colaiannis Mutter produziert. Wie die Bouillabaisse, für die der Chef weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt ist. Bekannte Gerichte besser als die anderen zuzubereiten, ist eben eine Spitzenleistung, die mindestens so viel Respekt verdient wie die Kreation genialer, unerwarteter Kombination.

Ein motivierender Schlag ins Gesicht

Es sind die glücklichen Gesichter der Gäste, die Ludwig – wenn sie denn mal Zeit für den Blick in den Gast hat – in der offenen Küche des Restaurants Tag für Tag motivieren. Und es sind die Worte eines früheren Küchenchefs, der ihr beim Abschlussgespräch sagte: «Du bist einfach zu alt, um noch was zu erreichen.» 27 Jahre alt war sie, als die gelernte Informatikerin von Rumänien nach Deutschland zog, um ihr Küchentalent zum Beruf zu machen. Ohne Deutschkenntnisse als Abwascherin. Die Pâtisserieausbildung bezahlte sie mit Ach und Krach. Und dank ihrer Vermieterin, die ihr entgegenkam und den Mietzins erst einforderte, als Ludwig bezahlen konnte. «Die Worte, ich sei zu alt, habe ich bis heute im Kopf. Sie taten weh und spornten mich gleichzeitig an.»

Als Vorbild nennt die amtierende Pâtissière des Jahres Julien Duvernay, den genialen Berufskollegen aus Tanja Grandits’ Restaurant Stucki. «Seine Herangehensweise inspiriert mich.» Und so träumt auch sie vom eigenen Buch, obwohl dafür gerade keine Zeit sei. Ludwig weiss, dass sie für ein Buch auch in ein, zwei Jahren noch nicht zu alt ist.