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Luma: «Die Metzger nannten sie Bärte»

Corinne Nusskern – 16. April 2021
Seit gut zehn Jahren ist Schimmel ihr Geschäft. Lucas Oechs­lin und Marco Tessaro, die Gründer von Luma-Delikatessen, öffneten der Gastronomie mit Fleisch, das durch Edel­schimmel­pilz reift, ein neues Feld. Und: Corona gab ihnen nochmals Schub.

Schimmelpilz hört sich nicht besonders sexy an, auch wenn ein «Edel» davorsteht. Doch wie Lucas Oechslin (38) und Marco Tessaro (39) damit in ihrem Unternehmen Luma-Delikatessen seit über zehn Jahren Fleisch veredeln, ist nicht nur in der Gastronomie bekannt. Vor dem Pandemiestart im März 2020 liefern sie etwa 80 Prozent der jährlichen Produktion (rund 200 Tonnen) an Gastronomen. Aktuell sind es 25 Prozent.

Was ihnen erst Sorgen bereitet, können sie verlagern, nein, gar steigern – mit privaten Kunden via dem bereits bestehenden Online-Shop. Während des Lockdowns stellen sie 15 Mitarbeitende zusätzlich ein und bauen den Produk­tionsstandort in Neuhausen am Rheinfall SH aus, um die Spit­zen abzufangen. Nun haben sie für die Fleischverarbeitung, das Dry Aging und die «Lumifizierung» – wie sie das Veredeln von Fleisch durch den natürlichen Schimmelpilz nennen – 1500 Quadrat­me­ter zur Verfügung, davon sind etwa 300 Quadrat­meter Kühlräume. Und dort liegen sie, die reifenden Fleischstücke. Es riecht moosig-erdig und ein wenig nach Baumnüssen.

Sie sind weltweit die ersten

Es lief nicht immer so gut. Zu Beginn steht das Ziel, Fleisch auf ein höheres Niveau zu setzen. Ihr Handicap: Sie haben zwar eine Passion fürs Essen, aber stammen weder aus der Gastro- noch Metzgerbranche – sie sind Polymechaniker. Die damaligen Endzwanziger fragen sich: Warum ist ein Filet zart, ein Entrecôte nicht?
Als Oechslin Biotechnologie studiert, kommen sie auf den Edelpilz, das Abenteuer beginnt: Mit Unterstützung der ZHAW Wädenswil ZH starten die Expe­rimente. Nach zwei Jahren finden sie «ih­ren» Pilz. Sie sind weltweit die ersten, die ihn auf Fleisch ansetzen, lassen ihr Verfahren 2010 patentieren und gründen mit je 10 000 Franken eine GmbH. Nach drei Monaten haben sie das Okay vom BAG, kurz darauf jenes von der kantonalen Lebensmittelbehörde.
Doch der Start verläuft extrem harzig. Die Fleischlandschaft ist damals eingefahren. «Es war schwierig, Fleisch­liefe­ran­­ten zu finden», erzählt Tessaro. Zu­dem gibt es Neider, sogar Anfeindungen. «Wir hatten die Idee, uns über die Spitzengastronomie zu etablieren.» Und es klappt. Sie treffen in Locarno TI einen Freund, der ihnen vorschlägt, ihr Fleisch einem Chefkoch zu präsentieren. «Es ist Ivo Adam, der dann pro Woche 60 Kilogramm Huft wollte», erzählt Tessaro. Kurz darauf holen sie die Spitzenköche André Jäger und Marcus G. Lindner ins Boot.

Zartfeuchter Pilzflaum

Eigentlich haben sie eine alte Tradition rehabilitiert: Bevor es Kühlräume gab, wuchsen auf Fleisch immer Schimmelpilze. «Die Metzger nannten sie Bärte», sagt Tessaro. «Vor dem Verkauf wurden diese abgeschnitten, darunter war immer das beste Fleisch!»
Bei Luma wird der Edelschimmelpilz in flüssiger Form auf das Fleisch gesprüht. Mit einer Dichte von drei Milliarden Sporen pro Quadratzentimeter ist er dort Alleinherrscher. Die Fleischstücke la­gern bei 0 bis 3 °C Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 95 bis 98 Prozent. Nach etwa zehn Tagen ist der Pilzflaum sichtbar. Er ist ganz weich und extrem feucht. Der Pilz setzt sich auf dem Muskel ab, durchwächst das Fleisch und ernährt sich von Collagen. Bis zur Reife dauert es je nach Fleischsorte und -teil 14 bis 56 Tage.

Ob lumifiziertes Fleisch durch den geringeren Collagengehalt gesünder ist, sei wissenschaftlich nicht erwiesen. Aber der Geschmack! Durch den Flüssigkeitsverlust – 50 Prozent bei der Schimmelveredelung – des­wegen ist Luma-Fleisch auch nicht günstig. Dafür konzentrieren sich die Aromen. Kalbfleisch erhält eine nussige Note, Rindfleisch schmeckt nussig-erdig und leicht würzig und Schweinefleisch nach Cognac, Macadamia und Foie gras. Theoretisch sind alle Fleischstücke veredelbar, doch ist es nicht überall wirtschaftlich sinnvoll. Geflügel et­wa reift durch Dry Aged und verleiht dem Fleisch eine kompakt-zarte Konsistenz, es schmeckt nach gerösteten Mandeln.

Ein Baum pro Fleischpaket

Den beiden Unternehmern ist das Tierwohl extrem wichtig. «Es muss nicht zwingend bio sein, aber es muss den Tieren gut gehen», ergänzt Tessaro. Sie kennen alle ihre Produzenten, sie haben jeden besucht. 80 Prozent ihres Fleisches kommt aus der Schweiz. Heute pflegen sie einen engen Austausch mit den Grossen der Fleischindustrie. «Das ist spannend», sagt Tessaro. «Sie lernen von unseren Vermarktungsmethoden und wir lernen von ihnen vieles über die Fleischindustrie.»

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Die zwei Freunde Lucas Oechslin (38, l.) und Marco Tessaro (39, r.) gründeten 2010 Luma-Delikatessen in Neuhausen am Rheinfall SH. (Foto: allink AG)

Der allgemeine Trend geht dazu, ganze Tiere zu konsumieren, nicht nur Edelstücke. «Absolut. Bei Luma verkaufen wir längst nicht mehr nur Edelstücke», führt Tessaro aus. Sein aktuelles Lieblingsstück: Das eher günstige Bavette mit intensivem Rindgeschmack. Ein Schlachter oder Bauer verwende immer das ganze Tier, es hapere eher beim Konsumenten.
Zudem stagniert der Fleischkonsum auf sehr hohem Niveau, 2020 stieg der Konsum sogar um 1,5 Prozent an. Sinnvoll wäre es, weniger, dafür besseres Fleisch zu konsumieren. Dass die Produktion von Fleisch mitverantwortlich für den Verbrauch von Ressourcen und vom CO2-Ausstoss ist, lässt auch die Luma-Macher agieren. Für jedes ausgelieferte Paket Fleisch lassen sie durch die Organisation OneTreePlanted einen Baum anpflanzen.

Um die konstante Qualität auch nach der Auslieferung zu garantieren und durch die längere Haltbarkeit Food Waste zu vermeiden setzt Luma auf Schockfrosten. «Sobald das Fleisch den perfekten Reifegrad erreicht, wird es bei -80 °C Grad schockgefrostet», erklärt Tessaro. «Es besteht kein geschmacklicher und qualitativer Unterschied zum nicht gefrorenen Produkt.»

Demnächst: Eine neue Entwicklung
Luma beliefert heute mit dem breiten Sortiment in der Schweiz und in Europa Gastronomen aller Art, ob Beizer oder Gourmetchef. Die Bestseller sind die Luma-, Wagyu- und Eringer-Burger. Aber auch die Schweizer 2nd Cuts, deren Namen – Secret Cuts, Chain-Steak, Chuck Flap – sie selbst erfunden haben, laufen sehr gut.
In-vitro-Fleisch und Fleischersatz­bur­ger sind für Luma kein Thema. «Da isst man besser eine gute Tomate!», winkt Tessaro ab. Bei Luma wird aktuell an etwas ganz anderem gearbeitet: Sie entwickeln im Bereich Charcuterie/Trockenfleisch eine neuartige Reifemethode. In zwei bis drei Monaten kommen sie damit auf den Markt. «Das wird cool», freut sich Tessaro.

https://luma-delikatessen.ch

Tipps vom Profi:

  1. Frisch oder gefroren? Schockgefrorenes Luma-Fleisch hat den perfekten Reifegrad und garantiert eine konstante Qualität. Zudem ist es länger haltbar und verhindert Lebensmittelverschwendung.
  2. Lagerung: Im Tiefkühler bis zu 12 Monate lagerbar. Aufgetaut ist es immer noch 2 bis 3 Wochen im Kühlschrank haltbar.
  3. Kochmethode: Um das Optimum herauszuholen, raten die Spezialisten, lumifiziertes Fleisch klassisch in der Pfanne zu braten. Aber nicht zu lange. Die maximale Garstufe ist medium.
  4. Neues ausprobieren. Schweizer 2nd Cuts, Secret Cuts, Chain-Steaks oder Chuck Flap sind kostengünstige Optionen für die Gastronomie, dabei zart und oft besser als ein Entrecôte.