Gastronomie

«Ich lasse den Schnickschnack weg»

Romain Wanner – 05. April 2017
Claude Legras ist nicht der Einzige, der dem Druck der Klassifizierung den Rücken kehrte und sich wieder dem Vergnügen am Kochen zu­wendet. Heute vollziehen immer mehr Spitzenköche, die nichts mehr beweisen müssen, eine Kehrtwende. Legras, zweifacher Sternekoch in seinem Restaurant Le Floris in Anières bei Genf, setzt heute auf Bistronomie.

GastroJournal: Was bedeutet Bistro­nomie für Sie?
Claude Legras
: Bistronomisch zu kochen, heisst für mich, ausschliesslich Saisonprodukte zu verwenden, denn, wenn die Lebensmittel Saison haben, bekommt man sie auch zum besten Preis. Diese Vorgehensweise versuche ich in meinem Restaurant umzusetzen. Ich habe zwar der Gourmet-Küche entsagt, verkaufe aber mit Vergnügen beispielsweise Hummer. Aber ich werde ihn ausschliesslich im Juni servieren, wenn er Saison hat und die Preise dafür am tiefsten sind. So kann ich den Teller zu ungefähr 55 Franken anbieten, anstelle von 85 Franken wie früher. Auch versuche ich, mit weniger noblen und ausgefeilten Produkten zu arbeiten. Diesen Winter bot ich zum Beispiel Blutwurst mit Äpfeln an. Das ist ein grossartiges Gericht, das wir völlig neu umsetzten. Früher hätte ich allerdings niemals gewagt, diese Speise auf die Karte zu setzen – vielleicht zu Unrecht! Warum haben Sie diesen Konzeptwechsel vollzogen?
Ich nahm von der Klassifizierung Abstand, weil diese Art zu kochen aus wirtschaftlicher Sicht schwer umzusetzen war. Und zudem erreichte ich ein Alter, in dem ich keine Lust mehr hatte auf den Druck der Restaurantführer, die über meine Küche und mein Restaurant urteilten. «Die Bistronomie darf nicht mit einer Kantine ­verwechselt werden» Konnten Sie die Rentabilität ihres Restaurants steigern, seit Sie auf das bistronomische Konzept umgestiegen sind?
Zweifelsohne. Sogar nach drei Monaten sehe ich den Unterschied. Ein Gourmet-Restaurant kostet sehr viel Geld. Alle Details sind äusserst teuer: Allein der jährliche Kostenpunkt für die Wäscherei ist erheblich. Seit ich mein Konzept geändert habe, entfallen die Kosten für die Tischwäsche. Auch konnte ich mein Personal abbauen. In meinem bistronomischen Restaurant brauche ich nicht mehr zwingend einen oder zwei Maître d’hôtel und auch keinen Sommelier. Doch an Ausgaben einzusparen, bedeutet auch, seinen Schraubenzieher zur Hand zu nehmen und den Staubsauger, bei dem das Kabel nicht mehr funktioniert, selber zu reparieren. Das werde ich gleich danach machen und so wahrscheinlich 300 Franken sparen… Und wie zeigt sich die Bistronomie auf Ihren angerichteten Tellern?
Meine Gerichte sind immer das Resultat einer intensiven Recherche. Aber ich werde nicht mehr eine Pinzette verwenden, um ein Stückchen Kerbel auf die Püree-Spitze zu geben. Ich lasse den Schnickschnack weg. Doch das Geschmackserlebnis bleibt das gleiche. Die Bistronomie darf nicht mit einer Kantine verwechselt werden.