Hinfallen will gelernt sein

Corinne Nusskern – 05. Mai 2021
Vom 13. bis 17. Juni 2021 findet unter dem Motto «Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Neue Wege gehen.» im Hotel Schweizerhof in Grindelwald BE das Frauenforum für Frauen im Gastgewerbe statt. Zwei Präventionsexperten werden ­dort über physische und mentale Stürze und wie sie sich verhindern oder überstehen lassen referieren.

Roland Reilly, Sie referieren am Forum für Frauen im Gastgewerbe zu spannen­den Fakten und Ursachen von Stürzen. Was er­wartet die Teilnehmerinnen?
Roland Reilly: Ich referiere über den physischen Aspekt von Stürzen. Es gibt schweizweit 286 000 Stürze pro Jahr! Zwei Drittel aller Stürze passieren ebenerdig aufgrund von Stolpern – beeindruckend.

Wo ist das Sturzrisiko in der Gastronomie am höchsten?
In der Gastronomie ist der Sturz sehr präsent. Gerade im Service werden lange Gehstrecken zurückgelegt. Kommt Ermüdung oder Hektik dazu, ist es schnell passiert. Oft sind es Türschwellen, lose Teppiche oder Kabel. Ein Risiko sind Treppen, vor allem ohne Geländer. De facto ist Stürzen nichts Negatives. Es braucht Stürze, damit wir lernen, nicht zu stürzen oder uns dabei nicht zu verletzen.
Wie trainiert man richtiges Stürzen?
Wir alle sind unzählige Male gestürzt, ohne uns zu verletzen. Ohne Stürze hätten wir nie laufen gelernt! Jedes Hinfallen ist ein Lerneffekt für unseren Körper. Sportarten wie Klettern, Velofahren oder Wandern auf un­ebenem Gelände, aber auch Schlag­­zeug spielen helfen, die persönliche Koordination zu stärken und präventiv die Sturzgefahr zu mindern. Der Körper ist ständig in Veränderung, man sagt: Brauche ihn oder verliere ihn.

Wie kann ein Betrieb vorsorgen, um Mitarbeitende besser zu schützen?
Das Wichtigste ist Wertschätzung. Da gehören auch gesundheitsfördernde Massnahmen dazu. Hat jemand keine idealen Voraussetzungen, sind Ernährung, Bewegung und eine mentale Zufriedenheit wichtige Faktoren. Im Idealfall wird eine Verhaltensveränderung unterstützt. Dies alles hat einen Einfluss auf die Stabilität.

Kranke Mitarbeitende kosten den Be­trieb ja auch einiges …
Viele haben dies zu wenig auf dem Radar. Beträgt die jährliche Absenzquote in einem Betrieb mit 100 Mitarbeitenden 3 Prozent, bei einem Monatslohn von 4200 Franken, kostet dies den Betrieb bereits 151 200 Franken. Die tatsächlichen Kosten sind durch indirekte Lohnkosten – wie temporäre Mitarbeiter, Qualitätsaus­fälle und Mitarbeitende, die erkranken, da sie überlastet sind – doppelt so hoch.

Wie geht man Lösungen praktisch an?
Meist sind es einfache Lösungen, die die Arbeit erleichtern. Ein Beispiel: In einem Hotelbetrieb wurden Zustellbetten auf ei­­nem Gefährt mit kleinen Rädern transportiert. Auf dem Teppich hatten sie einen extremen Rollwiderstand, was sehr anstrengend war. Die Lösung? Grössere Räder! In der Gastronomie genügt es oft, Türen mit besseren Tür­schwel­len zu versehen, um nicht über Kanten zu stolpern. Oft braucht es nur kleine Anpassungen, um Schlimmeres zu verhindern.

Roland Reilly (51) ist Physiotherapeut, Helikoptermechaniker und hat sich im Leadership- und Changemanagement weiter­gebildet. Der Präventionsexperte arbeitet seit elf Jahren bei Swica und hat das betrieb­liche Gesundheitsmanagement aufgebaut.

 

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Roland Reilly ist Präventionsexperte bei der Swica. (Bild: zVg)

Dominic Trösch, es gibt neben physischen auch psychische Stürze. Was versteht man darunter?
Dominic Trösch: Da geht es um Resilienz, den Umgang mit Veränderungen in schwierigen Lebenssituationen: Schicksalsschläge, Herausforderungen oder Corona. Dankbarkeit spielt eine grosse Rol­le, dankbare Menschen sind resilienter.

Kann man dies lernen?
Ja. Ich erzähle am Forum von den Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit, wie etwa die sieben Resilienz-Faktoren. Pflegt man diese mit lösungsorientierten Übungen und einem Denken ausserhalb der Box, kann man sich schützen. Sehr wichtig ist Achtsamkeit. Wer immer nur im Stress ist, erkennt seine Bedürfnisse nicht. Und Netzwerkorientierung ist etwas ganz Zentrales. Wir sind soziale Wesen und brauchen den Austausch.

Wie sieht das in der Praxis aus?
Das Referat ist gespickt mit Übungen, Kniffs und Tricks, um zu wissen, wo man ansetzen kann, um zufriedener zu sein oder aufzustehen, wenn man gerade einen Tiefschlag erlebt hat. Auch wie man mit dem inneren Kritiker umgeht – «Du schaffst das nicht» – wird thematisiert. Die menschliche Psyche will langfristig gehegt sein. Ziel ist, dass es gar nicht zu einer Eskalation kommt. Oder man weiss, wie mental damit umzugehen ist.

Dominic Trösch (37) war viele Jahre als Sozial­arbeiter tätig, hat einen Bachelor of Science in Psychologie und ist seit 2019 Fachspezialist im Präventionsmanagement bei Swica.

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Dominic Trösch ist Fachspezialist im Präventionsmanagement bei Swica. (Bild: Alexander Palacios)

 

 

Forum für Frauen im Gastgewerbe

Datum: 13. bis 17. Juni 2021
Ort: Ro­mantik Hotel Schweizerhof in Grindelwald BE
Motto: «Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Neue Wege gehen.»
Das Seminar ist zu 100 Prozent L-GAV-subventioniert. Anmeldungen unter: www.fforum-gastrosuisse.ch