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Hier dürfen die Gäste in der Küche mitarbeiten

Benny Epstein – 12. März 2020
Einen Tag lang Koch sein – im Wiener Palais Coburg ist dies möglich. Und dann erst noch mit dem Zweisternekoch Silvio Nickol. Eine Idee, die sich auch in der Schweiz umsetzen liesse?

Es ist still, fast andächtig ruhig. Eine Kirche? Nein, die Küche des Palais Coburg. Sieben Köche arbeiten an ihren Posten, hie und da hört man einen lustigen Spruch, die meisten Mitarbeiter tragen hier offenbar Spitznamen. Nicht alle sind jugendfrei. «In zwei Minuten brauche ich den Fisch», sagt Küchenchef Silvio Nickol (45). Das prompte «Ja, Chef» folgt unverzüglich. Silvio Nickol ist einer der besten Köche Wiens. Seit 2011 führt er das Gourmetrestaurant im Fünfsternehotel. Vom Guide Michelin gab es auf Anhieb zwei Sterne, seit 2017 verleiht ihm GaultMillau die Höchstwertung von 19 Punkten. Kein Wunder, schliesslich lernte der in der ehemaligen DDR geborene Nickol sein Handwerk bei einem der grössten Köche: Harald Wohlfahrt hielt in der Traube Tonbach im Schwarzwald während 25 Jahre drei Michelin-Sterne – länger als jedes andere Restaurant in Deutschland. Heute arbeitet ein Amateur mit 
Was kein Gast merkt: Heute arbeitet in der Küche des Palais Coburg ein Amateur mit! Michael kocht zwar gerne zu Hause am Herd, aber da mag er es einfach. Spaghetti, Lasagne oder ein Rindsfilet, das kriegt er gut hin. Damit hat es sich aber. «Ich esse sehr gerne gut und bewundere die Arbeit der Spitzenköche», erzählt er. Im Palais Coburg hat Michael einmal gegessen, es sei eines der besten Dinners seines Lebens gewesen. Michael ist einer von vielen, der von Nickols Angebot Gebrauch macht: Seit 2018 kann man in seiner Küche «Chef for a day» sein – Koch für einen Tag. «Ich wurde oft gefragt, ob man uns bei der Arbeit über die Schulter blicken könne», erzählt Nickol. «Da reifte diese Idee.» Und so beschreibt der Zweisternekoch die Arbeit für den «Chef for a day»: «Dienstantritt, rein in die Kochjacke, Tagesplanung, Passzuteilung, Warenannahme, Mis en Place, Pause, sieden, dampfen, Musik hören, garen, braten, backen, rühren, vakuumieren, gemeinsames Personalessen, Line-up, schicken, Gäste verabschieden, Reinigung, Nachbesprechung, auch Feierabendbier genannt.» Als Zeichen der Anerkennung wird dem Amateurkoch möglicherweise im Lauf des Tages vom Team ein eigener Küchen-Spitzname verliehen. Als Erinnerung darf der Gast seine Kochschürze behalten und kriegt ein Arbeitszeugnis. Das Erlebnis kostet 495 Euro – inklusive einem Gutschein für ein Siebengang-Gourmetmenü mit Weinbegleitung im Palais Coburg. Dieses würde ansonsten alleine schon 280 Euro kosten. Kein Zuckerschlecken
Der Tag als Gast in der Küche mache zwar Spass, sei aber intensiv, findet Michael. Dienstantritt ist um 14 Uhr. Kurz vor Mitternacht wird er nach Hause gehen. Nickol grinst spitzbübisch und klopft ihm auf die Schulter: «Ich habe nie gesagt, dass das hier ein Zuckerschlecken ist. Aber Michael macht es gut. Er ist sehr engagiert und interessiert.» Dann konzentriert sich Michael wieder darauf, die Schokoladenblätter zu Baumstämmen zu rollen. Sie gehören in ein Gericht, das mit Pilzen, Kräutern und Blüten wie ein Wald aussehen – ein herrliches Spiel von Süsse, Säure und Umami sowie unterschiedlichen Texturen im Gaumen. Amateure in der Küche gibt es bei Nickol jeweils am Mittwoch und Donnerstag, am Dienstag auf Anfrage. Der Ansturm auf das Angebot sei gross. «Es sind halt sehr exklusive Einblicke, die einem da gewährt werden», so Nickol. «Viele Gäste möchten wissen, was hinter den Kulissen abgeht, ehe die schönen Gerichte vor ihnen auf dem Tisch stehen.» Pro Abend nimmt er nur einen Gast in der Küche auf. Rechtlich sei die Sache abgeklärt, zudem stehe der Gast stets unter Aufsicht. Der Gast kaufe sich mit dem Gutschein ein Erlebnis, die Versicherung sei damit seine Sache. «Je nach seinen Fähigkeiten teilen wir ihm andere Arbeiten zu. Jeder kann irgendwie beschäftigt werden.» Eine Idee für die Schweiz?
«Chef for a day» – eine Businessidee auch für Schweizer Restaurants? «Ein, zwei Mal pro Jahr habe ich auch Gäste, die in der Küche helfen», erzählt Tobias Funke. Sein Restaurant Incantare im Gasthaus zur Fernsicht in Heiden AR ist neu mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. «Das sind dann Stammgäste, die bei der Vorbereitung anpacken, um danach im Restaurant zu essen.» Viele Liebhaber seines Kochstils buchen allerdings einen Kochkurs bei ihm. Für 320 Franken kann mit dem Sternechef gekocht werden, dazu gibt es zahlreiche Tipps und Tricks für zu Hause mit auf den Weg, die Rezepturen, eine Schürze sowie den Genuss des zubereiteten Viergangmenüs inklusive Getränken. «Wir verstellen uns nicht» 
Damit das Integrieren einer küchenfremden Person nicht zum Fiasko wird, sei Ordnung in der Küche das A und O, mahnt Nickol. «Schreien und unsauber arbeiten geht nicht. Aber das gibt es heute kaum mehr. Wir verstellen uns nicht, nur weil ein Fremder in der Küche ist. So was würde nicht funktionieren.» Das sieht auch Stefan Heilemann so. Der Koch des Zürcher Zweisternerestaurants Ecco gewährt auch schon mal Stammgästen solche exklusive Einblicke: «Wer will, kann auch mittun. Das sind dann natürlich Stammgäste, die sehr interessiert sind. In der Küche entwickelt sich das Verständnis für unsere Arbeit. Ich will das allerdings nicht als Erlebnistag anbieten. Das würde falsche Erwartungen wecken.»  --------------------------------------- ★ Silvio Nickol 
Entenleber, Jakobsmuschel, Carabinero, Taube – es mangelt nicht an Luxusprodukten auf der Speisekarte im Palais Coburg. Doch Silvio Nickol weiss diese gekonnt einzusetzen. Mit vielen regionalen Elementen, der Beachtung von Saisonalitäten und der von Harald Wohlfahrt geprägten Handschrift gilt er als einer der besten Köche in Wien.