Gastronomie

Grosser Pinot aus Winterthur

Reto E. Wild – 17. April 2019
Die für das Publikum offenen Degustationen von Gerstl Weinselektionen sind ein sicherer Wert, weil die Qualität der zu verkostenden Tropfen sehr hoch ist.

Als vor Wochen im Zürcher Volkshaus Weine aus Österreich und der Schweiz entkorkt wurden, kam es zu begeisternden Begegnungen wie mit den Sauvignon Blancs vom Sattlerhof in der Steiermark, den Pinots der Von Tscharners aus Reichenau GR, dem Ermitage von Gérald Besse aus Martigny VS oder dem Orizzonte (Merlot) von Christian Zündel aus dem Tessin. Das sind alles Namen von grossen Weingütern. Wirklich überraschend waren jedoch die Weine des Winzers Stephan Herter (38) aus Hettlingen ZH. Man kann es kaum glauben, dass solche Pinot Noirs,  Sauvignon Blancs und Chardonnays in der Nähe von Winterthur wachsen. Bemerkenswert dabei: Herter absolvierte zuerst eine Kochlehre bei der Traube in Dietingen TG und ist ein Newcomer. «Wir hatten damals viele Bankette, die wir im Weinkeller vorbereiteten. Mich faszinierten beim Weintesten die Aromen», erzählt der Winzer. Er bildete sich bei der Weinkellerei Paul Gasser in Ellikon an der Thur ZH weiter, mit Aufenthalten im Burgund, in der Loire und im Rheingau und holte die landwirtschaftliche Ausbildung in Wädenswil ZH nach. 2012, als Stephan Herter bei Michael Broger Weinbau arbeitete, kam es zur Premiere mit seinem ersten Jahrgang. Der Jungwinzer träumte den Traum vom grossen Burgunder. «Ich stamme aus einer kleinen Gärtnerfamilie. Das nötige Kleingeld für dieses Burgunder-Projekt fehlte. Aber mir hat es den Ärmel mit diesem eigenen Wein reingezogen.» Deshalb schaute er sich mit einem Geologen Lagen und Hügel in der Region Winterthur an – und wurde fündig: «Die kalkigen und buntsandsteinigen Böden des Taggenbergs sind ausgezerrt und waren einst Teil eines Rückzugsgletschers. Das ist schweizweit einmalig», schwärmt Herter. Auch die Südsüdwestausrichtung sei optimal. Auf den 2,7 Hektar führt Herter Wein vier Terroirs mit gegen 40 Jahre alten Rebstöcken bei jährlich 12 000 bis 15 000 Flaschen. Der Winzer arbeitet nach den Schriften von Rudolf Steiner und verzichtet auf chemische und synthetische Produkte. Am Rand des Rebbergs hat er bewusst Hecken stehen lassen und züchtet Schafe und Ziegen. Herters Ziel: «Ich möchte Weine, bei denen man den Jahrgang und den Boden schmeckt.» 80 bis 85 Prozent seiner Tropfen setzt er im Handel und in der Gastronomie ab. Am 15. und 16. Juni wird er sich erstmals dem Publikum öffnen, wenn der Zwei-Mann-Betrieb (seit ein paar Monaten ist ein Lernender aus den Marken dazugekommen) den Barriquekeller einweiht. Als «Meilenstein» hat Gerstl den 100-prozentigen Pinot Noir «Ruprecht» 2017 bezeichnet. Tatsächlich beeindruckt der Wein mit Aromen von reifen Waldbeeren, Himbeeren, überreifen Früchten. Er wirkt elegant und komplex und ist noch etwas opulenter als der Jahrgang 2016 – mit mehr Struktur, aber auch mehr Gerbstoffen. Den Wein kann man bis 2034 lagern. Überzeugt hat auch der fruchtig-trockene Sauvignon Blanc «Rufus» im Stil der Loire mit Noten von Passionsfrucht, Stachelbeeren und frischer Grapefruit. Wie bei dieser Traubensorte meist der Fall, ist es angezeigt, den Wein jung zu geniessen, also bis 2023. Dumm nur, dass die Weine wahrscheinlich sowieso vorher schon ausgetrunken sein werden. 2017 Ruprecht, 100% Pinot Noir, 18/20 Punkten, Preis ⚫⚫⚫⚫ 
2018 Rufus, 100% Sauv. Blanc, 17/20 Punkten, Preis ⚫⚫⚫  __________________________________________________________________________________________ Preisskala:
⚫ bis 10 Franken
⚫⚫ 11 bis 20 Franken
⚫⚫⚫ 21 bis 30 Franken
⚫⚫⚫⚫ 31 bis 40 Franken
⚫⚫⚫⚫⚫ 41 bis 60 Franken
⚫⚫⚫⚫⚫⚫ 61 Franken und mehr Punkteskala: 
20–19 perfekt 
18–17 Spitzenwein 
16–15 überdurchschnittlich 
14–13 mit Abstrichen 
12–0 unterdurchschnittlich, Fehler ★ Reto E. Wild ist Chefredaktor des GastroJournals, Weinliebhaber und Ehrenmitglied des Sommelierverbands Deutschschweiz SVS.