Es geht auch anders

Corinne Nusskern – 27. Januar 2022
Die Branche ist voll von innovativen Gastronomen: Das Landhaus Liebefeld arbeitet mit einem Lebensmittel-3D-Drucker, in der Autohalle Andelfingen ist der Gast von Oldtimern umgeben, im aargauischen Seengen ­entsteht das erste Cabrio-Restaurant. Und der Hexer vom Entlebuch, Stefan Wiesner, startet mit dem «Haus Klar» durch: Restaurant, Hotel, Kräutergarten und ­Messerwerkstatt.

Landhaus Liebefeld, ein Name, der wie ein Versprechen klingt und wo alles ein bisschen anders ist. Auch wenn der Betrieb we­der an einem idyllischen See noch in einer pittoresken Altstadtgasse liegt, sondern in einem unspektakulären Wohn- und Gewerbequartier, erfindet man sich hier immer wieder neu.

Tom Christen (37), seit sechs Jahren Geschäftsführer und seit zwölf Jahren im Landhaus, hievt einen kleinen Koffer auf den Tisch, der einem tragbaren Plattenspieler aus den 70er-Jahren ähnelt. «By Flow, ein hammermässiger 3D-Food-Drucker aus Rotterdam für 4000 Euro», sagt er. Küchenchef Yaki Hamed Gal­lardo (38) füllt die Tonerpatrone mit Ganache. Beinahe geräuschlos beginnt die Düse eine abstrakte Schokoladenform auf das Backpapier zu spritzen. Die kann etwa mit Mousse gefüllt werden, welche der Pâtissier zeitgleich produziert. Der 3D-Drucker stellt in vier Minuten auch Meringues in Solarform her, die dann im Ofen aushärten; auch Selleriepüree oder Avocadomousse, die sich direkt auf den Teller drucken lassen.

«Obschon die Robotik gewisse Aufgaben übernimmt, braucht es den Koch und seine Rezepturen doch», sagt Christen. Die Masse, die in die Tonerpatrone gefüllt wird, muss bezüglich Temperatur und Viskosität stimmen, die Parameter müssen richtig ein­gestellt werden. «Es braucht Fachkunde. Man kann nicht Milch einfüllen, und es kommt Joghurt raus», sagt Christen.

Lebensweisheiten an der Bar und Sterne spüren

Das Landhaus Liebefeld, eine einstige Landvogtei von 1671, ist ein offenes Haus mit viel Holz und Natursteinwänden auf vier Etagen mit sechs Hotelzimmern und verschiedenen Konzepten. Gut 350 Plätze bietet das ganze Haus. Dazu kommt im Sommer der Garten mit 100 Stühlen. «Alle sind willkommen, jener, der in der Gaststube nur einen Kaffee trinkt, bis zum Geschäftsmann, der kein Problem hat, wenn nebenan ein Büezer sitzt», sagt Christen. «Gastfreundschaft ist neben Qualität das Wichtigste.» In der Rôtisserie tafeln Gäste, die es familiär und doch gehoben mögen. Dahinter befindet sich die Bar mit Fumoir. «Unsere Barmaid ist eine echte Barmaid, die sagt, wo es lang geht. Da muss keiner eine kalte Schoggi bestellen», sagt der Berner lachend. «Das hat Charme und Platz bei uns.»

Dazu kommt der Dachstock für Anlässe, Wine & Dine, Konzerte und Kulturelles. Es ist das Metier von Jacqueline Wander (57). Sie stammt aus der Wander-Familie, die auch die Ovomaltine herstellt. «Ich habe immer ein Kulturlokal gesucht, um unbekannte Künstler zu fördern», erzählt die Bernerin. «Als das Landhaus 2016 erhältlich war, spürte ich Sterne und einigte mich mit dem vorherigen Patron.» Seither ist die Absolventin der Zürcher Hotelfachschule Belvoirpark Inhaberin des Landhaus Liebefeld. Sie hat visuell einiges verändert, Impulse gegeben, aber hauptsächlich Christen machen lassen. «So entwickelten wir zusammen Schritt für Schritt Neues und haben dabei viel voneinander gelernt», sagt Wander.

Blüemliteller mit rosa Rand? Jetzt spinnt er

Und zusammen gewinnen sie 2021 auch den Milestone-Corona-Sonderpreis für ihre Vorreiterrolle im ersten Lockdown: Als Erste realisierten sie einen Zero-Waste-Hauslieferdienst auf Porzellantellern. Christen erinnert sich: «Als der Bundesrat zwei Tage vor dem Lockdown informierte, dass am Montag etwas komme, legte der Nachhaltigkeitsgedanke die Fährte.» Erst zwei Jahre zuvor hatten sie im Gewölbekeller das kleine Gourmetrestaurant Le Caveau eröffnet, in dem sie absolut nachhaltig und klimaneutral arbeiten. «Und dann zwei Tonnen Plastik für Take-away kaufen?», fragt Christen. «Das geht doch nicht! Auch preislich nicht.»

Da fällt ihm ein, dass sie noch 300 alte Teller haben, die er nie weggeben konnte. «Alle dachten, jetzt spinnt er, als ich die Blüemliteller mit dem rosa Rand aus dem Keller holte.» Das Konzept nimmt Formen an, um ein Uhr nachts hängen sie im Quartier Plakate für den neuen Lieferdienst auf. Am Montagmittag liefern sie mit Privatautos erste Bestellungen aus. Auch Jacqueline Wander fährt mit ihrem Mini Teller zu Kunden, ihr Sohn hilft ebenso mit. Christen sitzt in der Gaststube, organisiert die Tourenpläne, eine Mitarbeitende macht die Chauffeuren-Koordination, alles Mitarbeitende, via Telefon-Headset auf Kurzwelle, «Wo bist Du, Cedric?» oder «Wer macht 3006 Kirchenfeld?» Zurückgebrachte Teller stapeln sich, und die Küche ist permanent im Chaos. «Es war wie ein Basar», sagt Christen lachend. Es gibt auch Kunden, die Take-away abholen und vor dem Haus parkieren. Nachbarn rufen regelmässig die Polizei, weil sie glauben, das Restaurant habe geöffnet.

Alternativmodell für die Zukunft

Und im zweiten Lockdown sind sie so etwas von vorbereitet: An Silvester lieferen sie À-la-Carte- und Sous-vide-Menus aus – und machen 8000 Franken mehr Umsatz als im Vorjahr im Restaurant. Durch ihr nachhaltiges Modell verhindern sie Entlassungen und fangen Umsatzausfälle während der Lockdowns auf. «Im ersten Quartal 2021 schrieben wir über eine halbe Million Franken Umsatz – in einem geschlossenen Restaurant», sagt Christen. «Wir stehen nicht schlecht da.»

Der Lieferservice läuft weiter, die entsprechende Karte ist stilvoller als reguläre Karten in manch anderem Betrieb. Be­fürchtungen, dass sie sich mit dem Lieferdienst die Restaurantgäste selbst wegnehmen, sind unbegründet. Laut Christen sei dies ein anderer Kunde. Einer, der abends zu Hause bleiben will. «Ich verstehe, dass eine Schwangere aktuell nicht in ein Restaurant will oder eine Familie mit kleinen Kindern. Beim Lieferservice entfällt der Stress, die Kinder im Restaurant ruhig zu halten. So bringt ein Paar die Kinder zu Hause ins Bett und geniesst ein stilvolles Menü. Modelle, die in den nächsten zehn Jahren nicht zu unterschätzen sind.»

Ein 585 Kilo schweres Wagyu-Rind und 12 500 Flaschen Wein

Der Topseller im Landhaus ist ein Klassiker: Entrecôte im Pfännli an Kräuterbuttersauce mit Pommes Allumettes. Auf der Karte finden sich auch eine Tonka-Pastinaken-Suppe oder ein Seesaibling aus Rubigen mit Marronistock, Buttermilch-Kerbel und Rotkraut sowie hausgemachter Hackbraten oder «suuri Läberli». Die Küchencrew arbeitet mit lokalen Produkten und unterstützt regionale Lieferanten und Bauern. «Spargeln bringen wir sicher nicht im März», sagt Christen, selbst gelernter Koch, Restaurantfachmann und Hotelfachschulabsolvent. Sie nutzen die digitale Plattform «Food Save Circle», wo es um ver­­meidbaren Lebensmittelverlust geht. «Ein Bauer hat eine Tonne Zweitklasskartoffeln? Da kann ich ihm günstig einige Kilos abnehmen. Jeder kann so viel nehmen, wie er braucht, und sie werden nicht weggeworfen», sagt er. Viel Gemüse von Karotten bis Kumquats wird eingemacht. Wie bunte Trophäen stehen die grossen Gläser im Regal des Gourmetrestaurants Le Caveau. Und sie kaufen ganze oder halbe Tiere ein, wie kürzlich ein 585 Kilo schweres Wagyu-Rind, das fünfeinhalb Jahre in Bolligen auf der Weide stand. Sechs Stunden verbringen sie zu viert beim Metzger, um das Tier auseinanderzunehmen. Dabei rät der Metzger, hier zu schneiden, dieses Stück zu vakuumieren und jenes am Knochen reifen lassen.

Bei den Weinen liegt das Schwergewicht auf der Schweiz und auf Europa. 31 Seiten stark ist die Weinkarte, im Weinkeller lagern 12 500 Flaschen – Christens Domäne: «Droht ein dritter Weltkrieg, lasse ich mich hier einschliessen.» Er würde auch nicht verhungern, denn daneben lagern weitere Einmachgläser wie auch im Regal ihres kleinen Gourmetrestaurants Le Caveau im Gewölbekeller mit 14 Plätzen.

 

koch 3ddrucker web

Küchenchef Yaki Hamed Gallar­do: «Der 3D-Drucker (der Drucker zieht seine Kreise mit einer Schokoladenganache) eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten.»

Ein Kinderparadies für Köche

Im Le Caveau wird ein klimaneutral bilanziertes Menü auf hohem Niveau für 125 Franken kreiert, die vegane Option kostet 89 Franken. Hier kann sich Küchenchef Gallardo so richtig austoben, das aktuelle Menü listet verkohlte Kohlrabi-Tartlette, flambierte Ur-Rüebli oder hausgemachten Trüffelkäse. Das vegane Steak druckt er auf dem 3D-Drucker in rund sechs Minuten selbst. Gallardo ist seit vier Jahren Küchenchef im Landhaus. «Das Le Caveau ist für mich wie ein Kinderparadies, da kann ich mich kreativ ausleben.» Sogleich erklärt er, wie das Steak auf dem Drucker auf 70 Grad Celsius erhitzt wird, damit es korrekt aushärtet. Auch eine Pouletfarce wird vorgeheizt. «Bei 72 Grad gerinnt das Eiweiss. So kann ich es ablösen und in der Bratpfanne fertig garen.» Vier Monate pröbelten Christen und Gallardo herum. «Wenn ein Koch nach einem Arbeitstag bis nachts um zwei Uhr mit mir aus reiner Freude Zeugs druckt, ist das unbezahlbar!», freut sich Christen.

Teamspirit als Erfolgsmodell

Die Umstände der Pandemie haben das Team wie eine Familie zusammengeschweisst. «Und wir haben viel gelacht», sagt Christen. «Spirituelles Management», fügt Wander an. «Das Bauchgefühl ist elementar bei Grundsatzentschei­dungen. Man sollte in dieser schwierigen Zeit Mitarbeitende unterstützen und ihnen Positives mit auf den Weg geben.» So funktioniert das Landhaus. 47 Mitarbeitende, bunt gemischt und zwischen 16 bis 66 Jahren, arbeiten im Landhaus, davon 12 Lernende. «Das ist cool mit den Jungen», sagt Christen, Zukunftsträger 2015 in der Kategorie Service und dreifacher Familienvater. «Sie bringen extrem interessante Ansätze mit, denken bezüglich Werte ganz anders als wir, vor allem bei der Nachhaltigkeit.»
Diese Verbundenheit wabert wie unsichtbares Elixier durch den Raum. Jacqueline Wander lacht. «Ja, es ist eine Freude, in dieser familiären Stimmung und in diesem Rahmen miteinander zu arbeiten.» Christen nickt. Und der Fachkräftemangel? Christen schaut nach links und rechts, als ob er gleich etwas Verbotenes aussprechen würde. «Ich habe eigentlich einen Mitarbeitenden zu viel», sagt er, «aber ich bin gottenfroh!»

Seine Autogarage hat ein eigenes Restaurant

Der Oldtimerfan Thomas Meister hat sich mit einer Autohalle in Andelfingen ZH einen Traum erfüllt. Doch der Investor weiss: Es braucht auch Unternehmertum!

Ursprünglich wollte Thomas Meister mit Ehefrau Marie-Josée in Apulien eine Masseria mit Agriturismo bewirtschaften. Da dies nicht klappte, setzte der passionierte Oldtimerliebhaber seine Idee von einer Autohalle mit 100 Einstellplätzen im Industriegebiet von Andelfingen ZH um. Dabei war ihm von Beginn weg klar, dass es mehr als eine weitere unpersönliche Einstellhalle mit charmefreier Sitzecke neben einer Kaffeemaschine sein muss. «Mindestens eine Werkstatt gehört dazu», sagt Meister (64). «Und einen gemütlichen Ort, um das Zusammensein für Begegnungen sowie den Genuss zu fördern.»

Meister will das Dorf und die Region ansprechen, denn ein Restaurant erfülle auch eine soziale Aufgabe. Und nur von den Oldtimerfreunden könnte der Betrieb nicht überleben. «Mein Anspruch war, in der Region ein gutes Restaurant zu eröffnen, etwas Neues für die Region», erklärt er, «denn viele Lokale gingen im Weinland in letzter Zeit zu.»

«Ich habe viel Erfahrung als Gast!»

So entstanden die Restaurant Lucie’s Finest und Lucie’s Classics mit 110 Plätzen, in lichtem Industrial-Chic: Eichenholz, Backstein, Leder, Glas – eine Reminiszenz an die Oldtimer ist unübersehbar. Im Zentrum steht der Holzkohlegrill. Darauf landen Tomahawks, aber auch gegrillter Selleriekohl – alles strikt nach dem Konzept nachhaltig, frisch, saisonal und regional. Die Spareribs sind saftig, der geschmorte Blumenkohl auf Polenta würzig-voluminös. Das Restaurant ist abends zu 70 Prozent gebucht. Wie hat Meister dies geschafft? Der Neogastronom schmunzelt: «Ich habe einfach sehr viel Ahnung als Gast und rolle das Feld professionell von dieser Seite her auf.»

Die Autohalle ist für Meister die Vollendung eines Herzensprojekts. Neben modernster Einstellhalle und Restaurant entstanden eine Cigar-Lounge, 20 Hotelzimmer, ein Eventbereich (bis 600 Personen) – und 30 Arbeitsplätze. Auch Rallyes sind geplant. Die Oldtimer sind omnipräsent, im Restaurant oder glänzend poliert hinter dessen Scheibe. Jene der Mieter jedoch stehen gut behütet und für neugierige Augen unsichtbar auf ihren Einstellplätzen. Auf Meister sind 25 Oldtimer zugelassen, die er für Experience Drives auch vermietet. «Die Autohalle ist ein Gesamtkonzept, alle Sparten befruchten sich gegenseitig», sagt er. «Das mindert im Vergleich zu einem reinen Gastrobetrieb die Risiken.»

Und mit Risiken kennt sich Meister aus. 35 Jahre lang war er Unternehmer und führte die Andelfinger Familienfirma Meister Abrasives AG mit rund 100 Angestellten. Nach einem Herzinfarkt im Jahr 2014 beginnt er, die Nachfolge zu regeln, und verkauft drei Jahre später 90 Prozent der Firma. Doch ein Leben als Pensionär strebt er nicht an. Macher bleibt Macher? «Nein, all dies lernte mich, meiner Passion zu folgen.» Es sei ein Privileg und Luxus, wenn man dies könne. Die Oldtimer bedeuten ihm sehr viel. Der Liebste ist ihm immer jener, den er gerade fährt. «Für mich sind sie ein bisschen wie Kinder. Hat man mal eines an die Hand genommen …», sagt der Vater von drei erwachsenen Töchtern. Dabei vergisst er nie den unternehmerischen Aspekt: Die Investitionen waren hoch, und laut Businessplan soll die Autohalle (Gesamtfläche 6500 Quadratmeter) in drei Jahren eine schwarze Null schreiben.

Der Weg nach Hause

In seinem ersten Berufsleben war Thomas Meister sehr oft unterwegs und hat Andelfingen und seine Menschen etwas aus dem Blickfeld verloren. «Nun fühlt es sich ein bisschen an, wie nach Hause zu kommen, alte Freunden zu treffen, mit ihnen hier zu sitzen und zu reden. Dann werden die Autos hinter der Scheibe (fast) zur Kulisse.»

Thomas Meister Andelfingen WEB

Thomas Meister auf seinem Lieblingsplatz in der Cigar-Lounge: «Als mein Vater 2016 starb, hinterliess er diese Chesterfield-Polstergruppe. Die habe ich ein­gelagert. Und jetzt steht sie hier oben vor dem Cheminée.» (Foto: Corinne Nusskern)

Ein ganzes Restaurant auf ricardo.ch


Auf dem Eichberg in Seengen AG passiert einiges: Ein ganzes Restaurant wird auf Ricardo verkauft, daneben entsteht das erste Cabrio-Restaurant der Schweiz.

Da steht es, auf ricardo.ch in der Rubrik «Gastronomie & Hotel»: Mobiles Restau­rant mit Ausstattung, Preis 450000 Fran­ken. Verkauft wird es vom Mitinhaber des Restaurant Eichberg in Seengen AG, Eli Wengenmaier (46). Wir reden hier nicht, von einer knarzigen Holzhütte, sondern von einem vollfunktionierenden Betrieb von 660 Quadratmeter Grundfläche mit 116 Innen- und 100 Terrassenplätzen, inklusive Mobiliar und Küche Kombisteamern, Kaffeemaschinen, Induktionsherd usw.

Der hölzerne Bau dient dem Eichberg auf 600 m über Meer mit Sicht auf den Hallwilersee als Zwischenlösung. Das 150 Jahre alte Restaurant lief seit Jahren mas­siv über den Kapazitätsgrenzen. An seiner Stelle entsteht ein Neubau. Damit der Betrieb weiterläuft, entschied sich das Eichberg-Team für das Provisorium. «Es lohnte sich, ein mobiles Restaurant zu kaufen, statt zu mieten», erzählt Wengenmaier. Der Aufbau des zusammenschraubbaren Elementbaus dauerte vom leeren Kiesplatz bis zur Eröffnung 22 Arbeitstage. Dabei steht der Unterbau auf Holzpfosten und ist jedem Gelände anpassbar, alles ist unter einem Dach, ist isoliert und macht alle vier Jahreszeiten mit.

Die Rückmeldungen sind noch spärlich. «Die Zielgruppe, die eine ganze Beiz brauchen kann, ist klein», sagt Wengenmaier. «Man muss nur die richtige Person finden! Jemanden, der einen Um- oder Neubau plant – ob Gastronomie, Spi­tal oder Heim. Ideal wäre es auch für eine Skiregion.» Der Eichberg ist seit 1959 ein Familienunternehmen. Ein Kernteam von Cousins mit Familien führt den Betrieb mit dem Gemüsebau in dritter Generation. Seit April 2021 wirtschaftet die Crew des Eichbergs im mobilen Restaurant. Wengenmaier ist zufrieden: «Es ist sehr leistungsfähig, wir machen praktisch dieselben Umsätze wie im alten Betrieb.»

Erstes Cabrio-Restaurant der Schweiz

Diesen alten Betrieb gibt es nicht mehr, der Neubau befindet sich im Bau und ist alles andere als ein 08/15-Projekt. Auf dem Eichberg entsteht das erste Cabrio-Restaurant der Schweiz mit rückfahrbarem Glasdach und versenkbaren Glasfronten – so wird aus einem lichten Wintergarten eine Terrasse für 100 Gäste. Es ist eine moderne, offene Konstruktion, oben auf neun Metern trohnt ein Vordach. «Wie bei einem Mini-KKL», sagt Wengenmaier schmunzelnd.

Die Vorteile: mehr Plätze (400 total, davon 200 Bankett) und Effizienz. Plus 20 zusätzliche Arbeitsplätze. Das sind neu rund 60 Hundertprozentstellen und insgesamt 80 Mitarbeitende sowie eine Verdoppelung des Umsatzes. «Die Investion muss sich rechnen», sagt Wengenmaier.
Der Eichberg ist nicht nur für Familien- und Geschäftsanlässe bekannt, tags­über besuchen viele Ausflugsgäste das Restaurant, abends ist hauptsächlich die Region zu Gast. «Menschen, die gern gepflegt essen, ohne Punkte und Sterne, da haben wir keine Ambitionen», sagt der Eichberg-Wirt. «Wir pflegen unsere bekannte und seriöse Gilde-Qualität und bauen unsere Weinkompetenz aus.»

Was, wenn Wengenmaier bis August 2022 keinen Käufer findet? «Wird schon», sagt er optimistisch. Er streckt die Fühler auch über die Landesgrenze hinaus. Und der Preis sei verhandelbar. Wer nicht das ganze Restaurant vermag, kann auf die Alternative ausweichen. Zum Verkauf steht auch noch ein Event-Chalet: Für 170 000 Franken – und bereits abgebaut.

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Das Kernteam des Hotel Restaurant Eichberg im aargauischen Seengen: Eli Wengenmaier, Käthi Mahler, Katharina Wengenmaier-Frey, Hannes Mahler (v. l.) (Foto: ZVG)

«Wenn sie mich für ­einen Spinner hielten ...»

Stefan Wiesner, der Hexer vom Entlebuch, zwischen Kunst und Kochen, Lust und Frust: Er ist der eigenartigste Koch der Schweiz.

Text Benny Epstein
Adhumbla, die Milchreiche, die Ur-Kuh der germanischen Mythologie. Sie steht im Zentrum des ersten Menüs dieses Jahres von Stefan Wiesner. Was hat ihn da wieder geritten? Wie kommt der Sternekoch aus dem Rössli in Escholzmatt LU auf solche Ideen? Der Hexer aus dem Entlebuch scheint die Frage nicht ganz zu verstehen. Solche Einfälle – einst widmete er seinem Kleintransporter-Citroën ein Menü – sind für ihn normal. «Ich bin Koch, aber auch Künstler», erklärt er ganz unaufgeregt.

«Ich merkte schon vor 25 Jahren, dass ich anders ticke als andere Köche», erinnert sich der 60-Jährige. «Ich trug schon schwarze Hosen und Kochblusen, als alle noch strikt Weiss trugen.» Für weisse Kleidung fühlt er sich nicht rein genug. Beim Kochen trägt Wiesner seit 1994 eine ganz eigene Handschrift. Damals erhält er vom GaultMillau 12 Punkte. Seit 2008 sind es deren 17. Der Guide Michelin würdigt das Schaffen mit einem Stern. Doch verstehen die Tester und die Gäste wirklich, was im Kopf des Hexers vorgeht?

Aus der Not heraus

«In meinem Herzen schlummert ein wenig Kunst. Das ist wohl eine natürliche Gabe.» Der Innerschweizer hat Kunst nicht studiert. Ebenso wenig kommt er aus einem kunstaffinen Zuhause. «Und doch bin ich Gastdozent für Kunst an der Fachhochschule Nordwestschweiz.» Dort erzählt er, wie er denkt und tickt. «Ich brauche mich nicht zu verstellen.»

Neben der Kunstgabe ist es insbesondere die Region, die Wiesners Naturküche geprägt hat. «Die Leute von hier haben nicht viel Geld und möchten fürs Essen nicht viel ausgeben. Also musste ich auf einem viel tieferen Preislevel arbeiten als andere.» Das funktioniert, indem er Rohstoffe direkt aus der Natur holt. «Da findet man vieles gratis, sofern man den eigenen Arbeitsaufwand nicht mitrechnet.» Das Anderssein entstand also aus der Not, ehe sich der Spitzenkoch schliesslich in die Materie vertiefte und Begeisterung für die Natur und deren Abläufe entwickelte. «Mir kam entgegen, dass ich schon als Bub viel draussen war, Hütten baute, spielte, Forellen fischte. Meine Eltern hatten nicht viel Zeit für mich.»
Wiesner hat akzeptiert, dass er anders ist als andere Köche. «Es gibt wohl keinen anderen Koch, der wie ich tickt, aber ich habe aufgehört, mich zu vergleichen.» Ist er froh, ein Unikat zu sein? «Ich bin froh, wenn ich mit meiner Art, meiner Herangehensweise andere Köche aus der Schweiz, Deutschland oder Österreich begeistern kann.» Manchmal staunt er, was andere alles über ihn wissen.

Es ist ein Leben zwischen Lust und Frust. Mal überwiegt die Lust, ein Thema ebenso kunstvoll wie kulinarisch umzusetzen und die Gäste im Gasthof Rössli in Escholzmatt LU für ein paar Stunden in eine neue Welt zu verhexen. Mal dominiert der Frust, weil er sich missverstanden fühlt. Am grössten ist dieser, als 2018 seine Idee von der Kochhochschule im Kurhaus Heiligkreuz in Hasle LU scheitert. Die Verbände, die mitziehen müssten, zweifeln. Wiesner ist felsenfest von seinen Plänen überzeugt.

Neu mit Hotel, Messerwerkstatt & Co.

Umso glücklicher macht ihn, dass er 2023 sein eigenes Ding im Kurhaus Heiligkreuz durchziehen kann. Das einstige Ferienheim der Ingenbohler Schwestern wird zum «Haus Klar» umgebaut: 30 Hotelzimmer, Restaurants, Produktionsstätten, ein Kräutergarten. Eine Brauerei, eine Rösterei, eine Destillerie, eine Wurstfabrik, eine Bäckerei, eine Käserei, eine Töpferei und eine Messerwerkstatt sollen entstehen. Wiesner wird Geschäftsführer und bietet Praktika für Köche und Naturinteressierte an. Das Rössli schliesst er Ende 2022. 

Stefan Wiesner ZVG WEB

Im Entlebucher Wald ist Stefan Wiesner in seinem Element. Er kocht, was die Natur hergibt, und lässt den Gast in eine neue Welt eintauchen. (Foto: zVg)

Colasauce, Zentrifuge – wie bitte?

Ideen, die er künftig auf den Teller bringen möchte, hat Wiesner noch viele. «Im Frühling nehme ich mir Patrick Süskinds ‹Das Parfum› an. Wie dachte er? Was roch er? Was sah er? Ich werde die Gäste mit dem einen oder anderen Geschmack überraschen, den sie vielleicht von einem Apfel noch nicht kannten. Es geht einfach darum, den Gästen eine Message mit auf den Weg zu geben.»

Und wie setzt er das aktuelle Menü (das Restaurant hat bis 16. Februar Betriebspause) rund um die germanische Mythologie um? «Es geht um Adhumbla, die Ur-Kuh, von der nach der germanischen Mythologie die gesamte Menschheit stammt.» Im Zentrum stehe die Wichtigkeit der Kuh. «Aber auch die Frage, wie wir mit der Natur umgehen, Methan binden, CO₂ reduzieren. Es wird Hamburger mit Rindfleisch und Colasauce geben. Der Gast kann am Tisch mittels einer oloiden Zentrifuge Butter herstellen.» Germanische Mythologie, Methan, Colasauce und eine oloide Zentrifuge – das ist Stefan Wiesner pur. Man versteht es wohl erst, wenn man sich einen Abend im Rössli gönnt und in die Welt des Hexers eintaucht.

Spinnt der Chef?

Für das Kochhochschulprojekt war der Übername als Hexer vom Entlebuch alles andere als förderlich. «Er wurde mir zum Verhängnis. Man nahm mich nicht ernst, lachte über mich. Mittlerweile darf man mich aber wieder Hexer nennen.» Der Übername bringe keinen Druck mit sich, zumal Wiesner seinen eigenen Stil längst gefunden habe.

Und wie denken eigentlich die Mitarbeiter über ihren eigenwilligen Chef? «Wenn ich ihnen die Sache richtig erkläre, ergibt auch für sie alles einen Sinn», sagt dieser. Die Köche müssen dafür «nur» die Zusammenhänge der Natur kennenlernen. «Wenn sie mich für einen Spinner hielten, würden sie vermutlich nicht bei mir arbeiten. Aber ja, ich muss zugeben: Manchmal lachen sie schon ein wenig, wenn ich wieder mit einer neuen Idee komme.»