Gastronomie

Dominik Flammer: der Mann, der den Köchen Türen öffnet

Cristina Bürgi – 06. Februar 2018
Er setzt sich für einen höheren Stellenwert regionaler Lebensmittel ein sowie für die Zusammen­arbeit zwischen Köchen und Produzenten: ein Gespräch mit Dominik Flammer.

Dominik Flammer wurde 1966 im Kanton St. Gallen geboren. Er hat die Journalistenschule MAZ in Luzern besucht und danach Betriebswirtschaft in St. Gallen studiert. Es folgte eine Karriere als Journalist, unter anderem für die Bilanz, NZZ am Sonntag und die Nachrichtenagentur SDA. Inzwischen hat er sich mit seiner Zürcher Agentur Public History selbständig gemacht und ist unter anderem als Autor und Food Scout tätig. Bislang hat er sieben eigene Bücher herausgegeben, ­darunter «Schweizer Käse» und «Das kulinarische Erbe der ­Alpen». GastroJournal hat Dominik Flammer mit Blick auf die Hoch­genuss-Fachtagung getroffen (siehe Kasten). Dort wird er über Würste aus dem Alpenraum referieren. GastroJournal: Sie beschäftigen sich seit über 30 Jahren mit der Geschichte der Ernährung. Wie kam es dazu, dass Sie den Fokus auf regionale Produkte gelegt haben?
Dominik Flammer:
Zuallererst habe ich mich mit der Geschichte der Welternährung befasst. An einem Punkt habe ich dann gemerkt, dass ich zwar sehr viel über beispielsweise exotische Gewürze wusste, aber nur sehr wenig über die Vielfalt der Äpfel oder Tierrassen in der Schweiz. Also fing ich an, mich stärker damit zu beschäftigen, und habe den Fokus zuerst auf Käse ­gelegt. So entstand mein Buch über die Geschichte des Schweizer Käse. Und dabei habe ich wiederum ­gemerkt, dass die meisten Lebensmittel nicht an einer Grenze Halt machen – die Regionalkulinarik ist immer übernational. So ist die Küche des Puschlav beispielsweise eng mit der vom Veltlin verwandt, oder die Genfer Küche mit der von Savoyen.

Regionale Produkte machen nicht an einer Landesgrenze Halt
Heute gilt Regionalität in der Fachliteratur als Mega-Trend. Wie sehen Sie das?
Meiner Meinung nach ist Regionalkulinarik kein Trend, sondern eine langfristige Konstante. Sie ist allerdings zyklisch: Mal ist sie stärker im Fokus, mal schwächer. Aber in den bald zehn Jahren, in denen ich mich damit beschäftige, ist die Bedeutung der Regionalkulinarik immer stärker geworden. Sie etabliert sich und hat sehr viel Potenzial. Gerade in der Gastronomie hat man erkannt, dass man sich durch Regionalität profilieren muss, was unter anderem auch das Thema der Hochgenuss-Fachtagung ist. Doch es gibt noch viel zu tun. Inwiefern?
Im Moment setzen sich immer noch relativ wenige Gastro-Unternehmer mit Regionalität auseinander. Viele verstehen darunter, beim regionalen Grosshändler einzukaufen. Die Zutaten kommen dann meist aus aller Welt, und das hat für mich nichts mit Regionalität zu tun – auch wenn sie für ein typisches Berner Gericht wie «Suure Mocke» verwendet werden. Einige Köche tun sich schwer damit, sich stärker mit lokalen Produzenten und Nahrungsmitteln zu beschäftigen – da gibt es noch viel zu lernen und schulen. Welche Rolle spielen Sie dabei?
Ich verstehe mich als Übersetzer zwischen Köchen und Produzenten. Vielen Fachleuten fehlt die Zeit, um hinauszugehen und Produzenten aufzusuchen. Letztere haben wiederum eine Schwellenangst, bei Gastro-Unternehmern anzuklopfen und ihr Produkt vorzustellen. Mein Ziel ist es, vermittelnd dazwischen zu stehen und den Türöffner zu spielen. Ich bin sehr viel unterwegs und wahnsinnig gerne bei den Produzenten, weil ich dort Geschichten für meine Bücher sowie Produkte für Köche finde. Durch die Reisen entstehen Ideen, die ich sowohl an Produzenten wie auch an Köche weitergeben kann.
Ich verstehe mich als Übersetzer zwischen Köchen und Produzenten
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Im Kanton Waadt habe ich zum Beispiel gesehen, dass ein Produzent beim Herstellen von Baumnussöl den Presskuchen vermahlt und für Kuchen oder Wähen benutzt. Das konnte ich dann anderen Produzenten empfehlen, die den Presskuchen bislang den Hühnern verfüttert ­haben. Diese vermahlen den Presskuchen nun ebenfalls und verkaufen ihn in 100g-Päckchen. So entsteht ein zusätzliches Einkommen. Folglich eine Win-win-Situation für alle.
Ja, davon kann jeder profitieren. Ganz wichtig ist auch, dass Köche ihre Produzenten weiterempfehlen. Sei das an die Gäste, die dann den Hofladen besuchen, oder an andere Köche. Denn ein Produzent, der für mehrere Köche arbeitet, hat eine bessere ökonomische Basis. Und der Koch, der als Erstes mit ihm zusammenarbeitet, hat somit die Garantie einer langen Partnerschaft. Denn wenn ein Koch von einem Produzenten etwas exklusiv beziehen möchte, dann setzt er es vielleicht nur so lange auf seine Karte, bis seine Gäste es satt haben und etwas Neues wünschen. Also beendet er die Zusammenarbeit mit dem Produzenten, dessen Geschäft deswegen vielleicht zugrundegeht – er durfte ja nicht mit anderen Köchen zusammenarbeiten. Wenn jedoch mehrere Köche vom gleichen Produzenten ihre Produkte beziehen, dann ist das zyklisch: Der eine Koch steigt ein, während der andere aussteigt et cetera. Es ist also ganz wichtig, dass Köche gemeinsam an einem Netzwerk für Produzenten arbeiten. Wie definieren Sie Regionalität?
Regional heisst, das anbieten zu können, was Gäste an einem anderen Ort nicht auf diese Weise erhalten. Also ein regionales Produkt nach regionalen Grundsätzen zubereiten. Wer in einem abgeschiedenen Bergtal arbeitet, wird dort vielleicht keinen Gemüsebauern finden – dafür muss er vielleicht ins nächste oder übernächste Tal fahren. Letztlich handelt es sich aber immer noch um ein regionales Produkt. Mir geht es hauptsächlich darum, dass man die Propheten im eigenen Land nicht verkennt. Wenn man zum Beispiel einen Nachbarn hat, der Dörrbirnen in 30 Sorten anbietet, dann sollte man diese nutzen, anstatt Ananas und Mango auf seine Karte zu setzen. Nichts gegen diese Früchte, aber diese sind mittlerweile überall erhältlich. Ein Koch sollte der Vielfalt in seiner eigenen Umgebung den gleichen Stellenwert geben.
Es ist ganz wichtig, dass Köche ihre Produzenten weiterempfehlen
In Ihren Büchern haben Sie aufgezeigt, welche Vielfalt in der Schweiz existiert. Finden Sie, dass das Land sich dies­bezüglich genügend vermarktet?
Nein, in keiner Art und Weise. Das liegt daran, dass die Schweiz schon früh Touristen angelockt hat und ihre Küche deswegen international ausgerichtet hat. Auf vielen Speisekarten findet man noch heute ­französische Klassiker wie Foie Gras und Meeresfrüchte, das Regionale wird aber gerne vernachlässigt. Marketingmässig liegt also noch viel drin, vor allem, was Storytelling angeht. Man muss den Produzenten ein Gesicht geben und zu den Produkten eine Geschichte erzählen. Wir stehen da noch relativ am Anfang, aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Vor allem die jüngere Generation der Köche gibt unglaublich Gas und hat erkannt, dass man sich über Regionalität profilieren kann.
Ein Koch sollte die Propheten im eigenen Land nicht verkennen
Das ist auch das Thema der Hoch­genuss-Fachtagung, die GastroSuisse ins Leben gerufen hat. Welches Ziel verfolgt der Event?
GastroSuisse hat erkannt, dass Gastro-Unternehmer in der Schweiz mehr Unterstützung brauchen in Fragen der Regionalität. Und die Hochgenuss-Fachtagung zeigt die Vielfalt auf, die in unserem Land vorhanden ist. Ausserdem kommen sehr viele Köche und Produzenten zu Wort, die aufzeigen, wie erfolgreich man aufgrund einer engen Zusammenarbeit sein kann. Sie selbst werden beim nächsten Hochgenuss eine regionale Spezialität präsentieren, nämlich Würste aus dem Alpenraum. Warum gerade die Wurst?
Weil sie im ganzen Alpenraum bekannt ist, aber von allen unterbewertet wird. Dabei gibt es für Gastro-Unternehmer hierzu grosse Chancen, denn die Wurst weist eine unglaubliche Vielfalt und sehr interessante Geschichte auf. So streckte man die Würste früher je nach Schweizer Region mit Kartoffeln, Randen, Kraut, Brot oder Getreide. Dabei sind tolle Spezialitäten entstanden, die sich auch heute gut verkaufen würden. Warum bieten Köche ihren Gästen nicht drei verschiedene Würste mit einem selbstgemachten Senf und Kartoffelsalat an? Das ist nichts Teures, sondern etwas Gutes, das zudem die Warenkosten senkt. Wie gesagt – man sollte die Propheten im eigenen Land nicht verkennen. Lieblingsrestaurant
Gamper2
Dominik Flammer hat zurzeit in ­Zürich zwei Lieblingslokale: Das ­Restaurant Gamper (Foto) und das Gasthaus Rosi: «Beide sind grandios und leben Gastro-Konzepte der Zukunft», schwärmt er. Beide setzen den Fokus auf eine kleine Karte und wenige Produkte. Die Gerichte können am Tisch geteilt werden. ; www.rosi.restaurant Hochgenuss 2018
ABC Hochgenuss
Bereits 2017 hat GastroSuisse die Fachtagung «Hochgenuss» lanciert, ein Gipfeltreffen für Gastronomie und Genussbotschafter. Das Kompetenzzentrum «Kulinarisches Erbe der ­Alpen» ist ein wichtiger Partner. Die zweite Austragung des Events findet heuer unter dem Motto «Wild und Fräch» am 19. und 20. März in ­Emmen statt. Programm unter: www.hochgenuss-gastrosuisse.ch
ABC Hochgenuss2