Gastronomie

Die Seele einer Gemeinde

Cristina Bürgi – 10. Mai 2017
Im Kanton Schaffhausen hat praktisch jede Gemeinde ihr eigenes Restaurant. Eine Tradition, die sich historisch entwickelt hat.

Ein Gasthaus gehört zur Basisausstattung eines Dorfes: eine Aussage, die in der Schweiz bereits im Mittelalter galt. Gemäss dem Historischen Lexikon der Schweiz kann ab dem 13. Jahrhundert urkundlich belegt werden, dass Restaurants Teil der gewerblichen Infrastruktur und somit in der Hand des Stadtherrn waren. Sie besassen eine öffentliche Funktion und mussten daher immer mit ausreichenden Vorräten ver­sehen sein, damit sie Menschen auswärts und auf Reisen Unterkunft und Speise bieten konnten. Auch wenn Gasthäuser im 19. Jahrhundert ihre gesellschaftliche Funktion allmählich verloren haben, findet man heute noch viele Betriebe, die sich in öffentlicher Hand befinden. Diese Tradition der Gemeinderestaurants ist teils historisch gewachsen, teils ein strategischer Entscheid der Behörden, um das Dorfleben zu erhalten. Denn wie sagt man so schön: Ein Dorf ohne Restaurant ist ein Dorf ohne Seele. Ein Gasthaus ist nämlich nicht nur ein Ort der Entspannung und des Genusses, sondern es ­fördert auch den Austausch zwischen den Anwohnern – und ist somit wichtig für den Zusammenhalt in der Gemeinde. Besonders ausgeprägt ist diese Tradition im Kanton Schaffhausen: Hier besitzt praktisch jedes Dorf sein eigenes Gemeinderestaurant. Gertrud Neukomm, ehemalige Präsidentin von GastroSchaffhausen, führte beispielsweise jahrelang die Restaurants Gemeindehaus und Mühle in Hallau, die sich in öffentlicher Hand befinden. Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde habe stets gut funktioniert, ganz wie bei einem normalen Pachtbetrieb. Schwierigkeiten habe es hingegen beim Unterhalt gegeben. «Da das Restaurant quasi jedem in der Gemeinde gehört, möchte auch jeder mitentscheiden können.» So musste stets die Versammlung über grös- sere Investitionen bestimmen, was manchmal in langwierige Verhandlungen mündete. Zudem gab es immer auch kritische Stimmen, die ein Restaurant nicht als Auf­gabe einer Gemeinde betrachteten. «Aber ohne Restaurant wäre das Dorfleben verloren», ist Neukomm überzeugt. Im Kanton Schaffhausen sehen sich die Gemeinderestaurants überdies mit dem Problem der nahen Grenze konfrontiert: Dass viele Menschen für den Restaurantbesuch ins günstigere Ausland fahren, sei seit dem Frankenschock stärker spürbar. ­Einige Gemeindehäuser wie jenes in Wilchingen mussten denn auch ihre Pforten schliessen. Andere haben kürzlich neu eröffnet, wie beispielsweise das Gemeindehaus in ­Thayngen. Trotz Fluktuation wird diese Tradition also nicht aussterben, denn bei den geschichtsträchtigen Bauten handelt es sich um mehr als nur ein Restaurant: Sie sind Treffpunkt und Seele des Dorfes.