Gastronomie

Die Qual der Wahl entfällt

Cristina Bürgi – 02. August 2017
Heute möchte der Gast die Reihenfolge, Menge und Kombination der Gerichte selber wählen. Im Restaurant ist Flexibilität gefragt.

Die Zukunft gehört dem Food-Moduling, hielt die «Strategie Orange» von GastroSuisse bereits im Jahr 2007 fest. Gemeint ist damit, dass sich die klassische Menüabfolge allmählich auflösen und einer flexibleren Karte Platz machen wird. Denn der Gast von heute möchte je nach Hunger, Lust und Budget entscheiden, was auf den Teller kommt – und sich nicht mehr starr an ein vordefiniertes Menü mit Vor-, Haupt- und Nachspeise halten. Unter Food-Moduling versteht man verschiedene Komponenten oder Gerichte, die beliebig kombiniert werden können. Das hat für Restaurants den Vorteil, dass sie sich auf einzelne Komponenten konzentrieren und dem Gast dennoch eine grosse Wahlfreiheit und Abwechslung bieten können. Das Konzept wird von immer mehr Restaurants umgesetzt. Zu den ersten gehörte das «Josef» in Zürich, das vor rund 13 Jahren erstmals «small plates» anbot. Auf der Abendkarte stehen bis zu 15 Gerichte (Desserts aus­genommen), die als kleine Portion serviert werden und kombiniert eine Hauptmahlzeit ergeben. «Das Konzept ist von den spanischen Tapas inspiriert», erzählt «Josef»-Teilhaber Christian Grammer, «mit dem Unterschied, dass bei uns Schweizer Gerichte serviert werden.» So findet man auf der Karte etwa gebratene Felchenfilets mit Artischockenpüree, Hohrücken vom Jungbullen mit Lardo, Topinamburpüree und Kefen oder ein Gratin aus Tomaten, Zucchetti und Aubergine. Die Umsetzung sei für den Betrieb aufgrund der verschiedenen Komponenten zwar relativ aufwendig, komme aber bei den Gästen gut an: «Für den Gast ist das Angebot sehr abwechslungsreich, da er sich quer durch die Karte probieren kann.» Der Erfolg habe sich aber nicht über Nacht eingestellt: «Zuerst sind uns die Gäste praktisch wieder zur Tür rausgelaufen», erinnert sich Grammer schmunzelnd: «Damals haben sie sich Sorgen gemacht, dass sie nicht satt werden.» Inzwischen gehe für den Gast aber Qualität vor Quantität, und er schätze das ­Ausprobieren der verschiedenen Gerichte. Genau dieses Ausprobieren diverser Geschmäcker und Zutaten ist es, was «small plates» und Food-Moduling zu einem sozialen Erlebnis macht: Die Gäste müssen sich nicht auf einen Hauptgang beschränken, sondern können für beinahe den gleichen Preis mehrere Gerichte ausprobieren. Mit ihrer Begleitung tauschen sie sich über das Essen aus oder teilen es. Das kennt man bereits aus der asiatischen Küche: Dort werden diverse Schüsseln und Platten in die Mitte des Tisches gestellt, sodass sich jeder davon schöpfen kann. Das Teilen ist im Rahmen der ­Sharing-Economy heute zu einem Lebensstil geworden: Die Menschen teilen sich Autos, Arbeitsplätze, Wohnungen und eben auch Essen. Von diesem Gedankengut liess sich der Spitzenkoch Andreas Caminada inspirieren, als er das Konzept des Restaurants Igniv in Bad Ragaz erstellte. Das Restaurant versteht sich als «Fine Dining Sharing Experience», weil sich die Gäste von diversen Schüsseln und Platten auf dem Tisch bedienen können. «Wir möchten, dass ein bewusstes gemeinsames Esserlebnis in einer entspannten Wohlfühl-Atmosphäre entsteht», erklärt Caminada. Das gemeinsame Verkosten gleicher Speisen würde die Gäste verbinden und den Austausch fördern. Für Kinder gebe es sogar ein eigenes Menü zum Teilen, beispielsweise mit Flammkuchen und Chicken-Nuggets. Herausforderungen gibt es, wie bei jedem Konzept, auch bei den «small plates» und Gerichten zum Teilen. So wird deutlich mehr Geschirr benötigt, um die verschiedenen Komponenten in Szene zu setzen. Das verlangt unter Umständen auch grössere Wärmebehälter. Je nach Anzahl Bestellungen kann ausser- dem der Platz auf den Tischen knapp werden, was für die Gäste ungemütlich sein kann. Diese Faktoren sind im Voraus zu berücksichtigen, bevor man Tapas, Mezze oder andere «small plates» anbietet. Um gut planen und kalkulieren zu können, haben sich Sonja Balsiger und Claudia Rathgeb vom Restaurant Spina in Davos etwas Besonderes ausgedacht: Bei ihnen gibt es jeden Abend eine Tavolata, für die man im Voraus reservieren muss. «So produzieren wir nur, was auch gebraucht wird, und vermeiden Lebensmittelabfälle fast gänzlich», erklärt Sonja Balsiger. Folglich sei die Tavolata deutlich weniger aufwendig als ein normaler À-la-carte-Betrieb, da gewisse Vorbereitungen schon am Vorabend getroffen werden können. Preis und Umfang der Tavolata bleiben jeweils gleich, das Angebot wechselt jedoch täglich. Diese Vielfältigkeit sei für den Gast ein Vorteil, da er für 69 Franken mehrere Vorspeisen, Fleischgerichte, Beilagen und Desserts erhalte und sich nicht auf ein Gericht beschränken müsse. «Ausserdem werden die Gäste dank der Tavolata viel experimentierfreudiger, sprich: Sie probieren vielleicht einmal ein Kalbskopfbäggli oder Ähnliches», erzählt Balsiger. Die traditionelle Speisenabfolge wird es im Restaurant auch weiterhin ­geben, aber mit Food-Moduling oder Gerichten zum Teilen können Res- taurants ihren Gästen etwas Dynamisches bieten. Wichtig ist, dass das Preis-Leistungsverhältnis der Gerichte stimmt: Auf Online-Bewertungsportalen haben sich schon einige Gäste wegen überteuerten Mini-Portionen beschwert. Abgesehen davon nimmt die Nachfrage für kleine Portionen aber zu, was nicht zuletzt mit dem Erfolg von StreetFood-Festivals zusammenhängt: Gerade das Ausprobieren kleiner Portionen macht ihren Reiz aus.