Als Kinder langweilten wir uns zu Tode. Wir sollten im Restaurant anständig am Tisch sitzen und den Grossen, während sie sich unterhielten, nicht reinreden. Das offerierte Malset war meist schon ramponiert, bevor wir es in die Finger bekamen. Wir quengelten, um Aufmerksamkeit zu generieren – und wurden trotzdem ignoriert. Tempi passati? Im Restaurant Toggi’s in Gossau SG auf jeden Fall. Die hochsommerlichen 30 Grad im Spielzimmer unterm Dach lassen Vera (6), ihre Schwester Barbara (9) und deren Freundin Olivia (9) kalt. Sie zeichnen eine Sonne mit Meteorit und Regenbogen sowie ein lustiges Männchen an die meterlange Wandtafel. Alles andere ist im Moment egal; auch, dass die Erwachsenen unten im Restaurant sitzen.
Ein Idealfall. Das alte Toggenburger Haus wurde sanft renoviert, dunkles Holz changiert mit dem Weiss der Wände und strahlt eine stilvolle Gemütlichkeit aus. Nicole Rüttimann (44), seit 17 Jahren Pächterin des Toggi’s, richtete vor vier Jahren im Rahmen des Umbaus mit dem Saal im ersten, gleich im zweiten Stock ein Spielzimmer mit ein. «Kinder sind auch mal gern unter sich. Sie spielen zusammen, und die Erwachsenen können derweil ungestört essen», sagt sie. «Ab und an geht ein Elternteil vorbei und schaut, ob alles in Ordnung ist.»
Olivia, Barbara und Vera im Spielzimmer des Restaurant Toggi's
Foto: Daniel Winkler
Lärmende und Ruhe liebende in einem Raum?
Geht es um Kinder in Restaurants, wird der Gastraum oft zur ungewollten Streitzone. Der Spagat, kinderlose Gäste, Eltern und Kinder gleichzeitig zufriedenzustellen, scheitert vielfach. Dabei ist nicht von sich nicht mögenden Fraktionen die Rede, sondern von einem simplen Wunsch: Gäste wollen generell nicht von anderen Gästen gestört werden. Versöhnlichkeit schafft in grösseren Betrieben ein Spielzimmer, in kleineren eine Spielecke, die etwas abgetrennt oder akustisch geschützt liegt, damit sich die Gäste durch die Kinder nicht belästigt fühlen könnten. Rita (49), die Mutter der spielenden Mädchen, kennt die Situation. Sie sagt: «Als Familie suchen wir Restaurants stets danach aus, ob es eine Spielecke gibt.» Und wenn sich jemand mit Kindern auskennt, dann Rita – sie ist neunfache Mutter, aber auch erwachsene Person und Gast. «Man möchte sich auch mal unter Erwachsenen in Ruhe unterhalten können. Ein Restaurant mit Spielecke ist gemütlicher für alle.»
Dem stimmen die Gastronomen Pia und Pirmin Fallegger vom Hotel Kreuz in Malters LU, selbst Eltern von inzwischen erwachsenen Kindern, zu. «Wie unsere Kinder noch klein waren, merkten wir, wie schwierig es ist, mit ihnen auswärts essen zu gehen.» Als die Pilatusbahnen vor gut 20 Jahren ihre Gondeln ersetzten und die alten verkauften, hatten die Falleggers die Idee der Kidsworld im eigenen Betrieb: Seither stehen bei ihnen eine Märli-, eine Mali- und zwei Nintendo-Gondeln plus ein Legohaus auf der Terrasse. «Da es im Winter zu kalt ist, zügeln wir den Inhalt der Gondeln in den ersten Stock des Hotels, über dem Restaurant», sagen Falleggers. Ein kleines Paradies für gut zwölf Kinder und weit genug entfernt für lärmempfindliche Gäste. Die Investition lohnte sich. Das Kidsworld lockt mehr Familien an und wirkt sich positiv auf den Umsatz aus. Bekommen die kleinen Racker Hunger, können sie im Restaurant von der Kinder- oder der normalen Menükarte wählen.
«S Frölein schimpft!»
Kinder senden auch positive Signale aus: Sichten potenzielle Gäste in einem Restaurant spielende Kinder oder davor stehende Kinderwägen, deuten sie dies als Zeichen eines freundlichen und sicheren Betriebs. Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Léger fühlen sich 79 Prozent der Gäste von Kindern nicht gestört. Kinder sind Kinder und sollen mit ins Restaurant oder ins Hotel dürfen. Das Problem sind jene Eltern, die ihrem Nachwuchs alles erlauben und kaum verstehen, dass nicht alle Menschen ihre Kinder so toll finden wie sie selbst. Auch wenn der Gast König ist: Er soll sich benehmen. Interessant: Wird der Lärm nicht vom eigenen Kind generiert, nerven sich die meisten Eltern genauso wie Kinderlose.
Rüttimann ist im Toggi’s sehr tolerant. Es braucht viel, bis sie etwas stört. «Ein Restaurant muss leben, steife Sachen sind gar nicht mein Ding!», sagt sie. Trotzdem hat sie in letzter Zeit festgestellt, dass Eltern glauben, weil sie ja bezahlen, dürften die Kinder machen, was sie wollten. «Dies geht natürlich nicht.» Kürzlich ertappte sie ein Mädchen, wie es am Buffet ein Schöggeli stibitzte. «Dann sage ich auch etwas», erklärt Rüttimann. «Oder was ich oft von Müttern höre, die Ihr Kind zurechtweisen: ‹s’ Frölein schimpft›.» Sie lacht. Rita stimmt ihr zu: «So etwas liegt ganz klar in der Verantwortung der Eltern.» Sie sollen mit ihren Kindern ein Restaurant wählen, wo sich auch die Knirpse wohlfühlen. Sinnvoller ist es, sie auf den Restaurantbesuch vorzubereiten und ihnen bewusst zu machen, dass ein Restaurant kein Abenteuerspielplatz ist – und den Eltern, dass ein Gasthaus kein Kinderhort ist und die Mitarbeitenden nicht zur Kinderbetreuung angestellt sind. Es braucht nicht viel, nur etwas Toleranz auf beiden Seiten. Auch Ritas Erwartungen als Mutter sind absolut bodenständig. «Es reicht, wenn man freundlich zu uns ist. Egal, ob es sich um ein Kind oder eine erwachsene Person handelt», sagt sie. «Und ein gewisses Verständnis Kindern gegenüber zu haben, wenn mal ein Malheur passiert.»
Von Chicken Nuggets und Gourmetmenüs
Rüttimann hat diese absolute Gelassenheit Kindern gegenüber. Man merkt, dass sie die kleinen Gäste mag. «Es gibt doch so viele wunderschöne Momente mit Kindern», sagt die Gastgeberin. «Oft ist es für sie das Grösste, im Restaurant essen zu dürfen.» Kaum gesagt, lugen Vera, Barbara und Olivia in den Gastraum. Sie haben Hunger. Im Toggi’s gibt es die klassischen Kinderteller wie Chicken Nuggets oder Schnipo, doch die Kinder können auch alles von der Karte in halben Portionen haben. «Davon wird rege Gebrauch gemacht», sagt Rüttimann, «vor allem bei Spätzli oder Pouletgeschnetzeltem an Rahmsauce.»
Barbara fuchtelt aufgeregt mit den Armen. «Das Schönste in einem Restaurant ist das Essen, vor allem Pizza.» Freundin Olivia ruft: «Nein, Spaghetti bolognese.» Sie lachen, und am Ende verspeisen sie einen grossen Salatteller zusammen. Zum Dessert gibt es ein Erdbeer-Frappé und einen Coupe. Vera bevorzugt anderes: «Am liebsten esse ich im Restaurant Erdbeeren und Gipfeli!» Den Sirup gibt es für alle gratis dazu.
Vera liebt Erdbeeren! Foto: Daniel Winkler
Auch Tobias Buholzer (39), Chef des Restaurants Die Rose in Rüschlikon ZH (1 Michelin-Stern, 16 Gault-Millau-Punkte), isst gern mit seinem kleinen Sohn auswärts: «Kinder zu dulden oder Kinder willkommen zu heissen ist ein grosser Unterschied», sagt er. Einst bestellte sein Sohn in einem Betrieb eine Buchstabensuppe. «Er durfte von einem Tablett alle möglichen Buchstaben auswählen und die Brunoise dazugeben, ehe die Consommé aufgegossen wurde. Da kümmerte man sich richtig um meinen Sohn», schwärmt Buholzer. In der Taverna Rosa können die Kleinen von der Kinderkarte wählen, dazu gibt es gratis ein Getränk von der Sirup-Bar. «Wir hatten allerdings auch schon Acht- oder Neunjährige, die das volle Gourmet-Menü gegessen haben. Das freut mich besonders», sagt Buholzer.
Man kann Kinder durchaus gastronomisch integrieren und ernst nehmen. Dies empfiehlt auch Tanja Grandits, Chefin des Restaurant Stucki in Basel und selbst Mutter (Emma, 13). Trotz zweier Michelin-Sterne und 18 Gault-Millau-Punkten sind Kinder bei ihr von Herzen willkommen. «Wir haben etwa einmal pro Woche eine Familie zu Gast», erzählt Grandits. Die Küche reagiert auf die Wünsche der Kids spontan. Manche essen einen Teil des Menüs, aber der Favorit ist Pasta. Zum Dessert dürfen sie in der Pâtisserie ihr Glacé selber bestellen. Das kommt an.
«Es ist auch unsere Aufgabe, die Kultur des gemeinsamen Essens zu pflegen. Diesen sozialen Aspekt muss man als Kind lernen, und dass es schön ist, zusammen am Tisch zu sitzen, zu reden und sich übers Essen auszutauschen», führt Grandits aus. «Essen ist doch so viel mehr, als nur satt zu werden! Wenn Kinder da mitgenommen und eingeführt werden, dann finde ich das wunderbar!»
Nicht immer optimal verläuft es mit Gästen, die Säuglinge mitbringen. «Die Situation kommt selten vor: Aber nehmen sich junge Eltern am Samstagabend einen Babysitter, um sich einen schönen Abend zu machen, und am Nebentisch sitzt ein Paar mit einem Säugling, der den ganzen Abend brüllt, ist das für niemanden angenehm. Da hat jeder seine eigene Auffassung und muss das für sich entscheiden», sagt die Sterneköchin.
Finanziell ist das Spielzimmer ein Gewinn
Zurück im Toggi’s: Vera, Barbara und Olivia sind bereits wieder im Spielzimmer verschwunden. Rüttimann hat bewusst keine iPads und keine Videos dort oben. «Und es fehlt ihnen auch nicht! Sobald ein paar Kinder zusammen sind, wissen sie sich zu verweilen. Ihre Fantasie ist unglaublich, man muss sie nur lassen», sagt sie. Finanziell war die Anschaffung des Spielzimmers kein grosser Posten. Rüttimann bekam viele Spielsachen von Gästen geschenkt, weil sie diese nicht mehr brauchten. «Dazu kaufte ich weitere Spielsachen und holte einige Kindermöbel beim Selbstbedienungs-Möbelhändler, richtete die Wandtafel ein und liess die andere Wand bemalen», erzählt sie. Der Unterhalt des Spielzimmers sowie Kaputtes zu ersetzen halte sich absolut im Rahmen. Sie ist sich bewusst, dass sie gesegnet ist mit so viel Platz. «In kleinen Betrieben fehlt der Platz für ein Extra-Spielzimmer. Da muss oft eine Spielecke reichen. Das ist auch schön, aber natürlich nicht dasselbe.»
Auch bei ihr wirkt sich das Spielzimmer positiv auf den Umsatz aus. Klar, die positive Steigerung ergibt sich aus der glücklichen Kombination mit dem Saal, der vermehrt grosse Gesellschaften anlockt. «Am Samstag jedoch kommt stets eine grosse Gruppe nach dem Va-Ki-Turnen zu uns. Das sind zehn Männer und fünfzehn Kinder. Clever, denn so können die Väter in Ruhe im Gastraum sitzen und plaudern und die Kids sind oben im Spielzimmer!», erzählt sie.
Ein Spielzimmer oder eine Kinderecke ist eine freiwillige Dienstleistung für die Kunden. Wer langfristig denkt, weiss aber, dass all diese spielenden Kinder irgendwann gefirmt oder konfirmiert werden, bzw. Hochzeit, Taufen und runde Geburtstage feiern wollen. Gut, wenn sie dann schöne Erinnerungen an den Betrieb ihrer Kindheit haben. Denn viele von ihnen halten dem Betrieb ihrer Kindheit oft auch als Erwachsene die Treue.
Oben im Toggi’s spielen die drei Mädchen noch immer selbstvergessen im Spielzimmer. Was kommt bei ihnen am besten an? Barbara und Olivia antworten im Chor: «Die grosse Wandtafel!» Und die kleine Vera ergänzt: «Dass ich nicht alleine spielen muss.» Rita denkt allmählich an den Aufbruch. Dabei muss sie die Kinder fast aus dem Spielzimmer zerren. «Das ist ganz normal bei uns», sagt Nicole Rüttimann, lacht und arrangiert neben einem Tisch zwei Schachteln neu. Was ist denn da drin? Lesebrillen in verschiedenen Stärken, inklusive Reinigungsset! Das Toggi’s bietet für alle Altersklassen etwas – sogar für vergessliche, weitsichtige Gäste.
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★ Nicole Rüttimann, Gastgeberin
Sie wollte bereits als Kind ein eigenes Restaurant. «Meine Gotte führte das Restaurant Tannenberg in Waldkirch SG, wo ich sonntags schon als Erstklässlerin servierte», sagt die 44-jährige Fürstenländerin. «Später habe ich die Servicelehre gemacht, wie dies damals hiess». Vor 17 Jahren wurde ihr Traum wahr: Sie pachtete das Restaurant Toggi’s in Gossau SG mit 80 Plätzen im Gastraum und 40 auf der Terrasse. Vor vier Jahren wurde umgebaut und ein Saal (50 Plätze) sowie ein Spielzimmer angelegt. Das Toggi-Team (3 Mitarbeitende, plus Aushilfen) verwöhnt die Gäste mit viel Fröhlichkeit und einem grossen Herz für Kinder und Familien. Gastronomisch widmet Rüttimann die Karte allmonatlich einer anderen Länderküche.
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Tipps und Anregungen für mehr Kinderfreundlichkeit
SpielZimmer / Spielecke• Die Lage eines Betriebs bedenken: In einem Wohnquartier, wo Familien leben, lohnt sich eine Kinderecke mehr als in der Umgebung von Firmen.
• Sich überlegen, wie und wo eine Spielecke von den Räum- lichkeiten und dem Ambiente her zum Betrieb passt. • Eine Spielecke muss aufgeräumt und gereinigt werden, Spielsachen gehen kaputt und müssen ersetzt werden. Ist dafür genügend Kapazität vorhanden?
• Feste Installationen wie eine grosse Wandtafel benötigen wenig Aufwand im Unterhalt.
• Holz- statt Plastikspielzeug anschaffen – das ist robuster.
• Keine lärmenden und piepsenden Spielsachen!
• Für den Tisch im Gastraum: Malbücher und Knobelhefte nach Altersklassen sowie Karten und Brettspiele in Kleinformat bereithalten.
• Eine Kiste mit Klein-Spielsachen (Gummitiere/-monster/ -dinosaurier, Barbiepuppen mit etwas Zubehör, kleine Modellflugzeuge, Büechli, Malsachen usw.) für den Tisch im Gastraum kommen immer gut an.
• Falls der Platz es erlaubt: Familien dort platzieren, wo mehr Platz zwischen den Tischen ist. Essen
• Vorgefertigte und frittierte Nuggets, Fischstäbli, Schnitzel & Co. sind ungesund. Frisch Paniertes aus echten Zutaten und in der Pfanne gebraten schmeckt allen besser – und macht auch die Eltern glücklich.
• Spaghetti Napoli hinterlassen nicht nur grosszügige Flecken auf dem T-Shirt des Kindes, sondern auch auf Tischtüchern, Stoffstühlen und Vorhängen. Alternative: Leicht essbare Pastaform mit Butter, Parmesan und ausgestochenen Gemüse-Tierli oder Fleischbällchen anbieten.
• Schön und verspielt Angerichtetes wird auch von Kindern geschätzt – da darf sogar Gesundes wie Gemüse oder Salat auf den Teller. • Kinder von der regulären Menükarte wählen lassen und die Gerichte in halben Portionen servieren. Viele Kinder wol- len keinen Kinderteller – wenn man ihnen Optionen gibt.
• Kinder einbinden: sie am Buffet selber das Dressing über den Salat geben lassen, sie animieren, die Beeren für den Dessert selbst auszusuchen, und so weiter ...
• Der Gratissirup ist ein zeitloser Renner und kostet wenig.
• Gewisse Getränke für Kinder im Offenausschank in ver- schiedenen Gläsergrössen anbieten.