Die Branche fördert die Integration

Reto E. Wild – 05. Mai 2023
Statt über den viel zitierten Fachkräftemangel zu lamentieren, suchten Maik Pfister und Michel Péclard nach Lösungen. Sie führten Gespräche mit der Hotelfachschule Zürich von GastroSuisse und kreierten eine eigene Ausbildung für angehende Köche der Péclard-Betriebe. Das Echo ist enorm. Allerdings äussern Brancheninsider auch Kritik.

Die Kurzausbildung nennt sich «academy of cooks & pans» und fand von Oktober 2022 bis Februar 2023 im Ausbildungszentrum Wädenswil ZH der Hotel & Gastro formation sowie an der Hotelfachschule in Zürich statt. Neun Mitarbeitende, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, und ein deutschsprachiger Lehrling wurden ausgewählt und in einem halben Jahr zu Köchen ausgebildet. «Wir wurden an der Hotelfachschule mit offenen Armen empfangen. Am Anfang standen unsere Angestellten voller Ehrfurcht in der Schulküche. Doch am Schluss der Ausbildung kochte jeder einen Dreigänger und bereitete ihn pünktlich zu», sagt Maik Pfister (41), der seit 2006 für die Pumpstation Gastro GmbH und damit für die 17 Betriebe von Michel Péclard (54) arbeitet.
Das Unternehmen erzielt einen Jahresumsatz von 45 Millionen Franken und beschäftigt gegen 500 Mitarbeitende. Einer von ihnen ist Moussa Gueye (41), der im Senegal eine Hotelfachschule absolvierte, seit vier Jahren für die Péclard-Betriebe arbeitet und für die Ausbildung ausgewählt wurde. Der mit einer Schweizerin verheiratete Senegalese hat die «academy of cooks & pans» erfolgreich abgeschlossen und arbeitet seit dem 2. Mai 2023 in der Badi Küsnacht als Souschef. «Der Kurs war interessant und dank Videos easy», sagt Gueye. Ihm gelang es erfolgreich, den Dreigänger nach der Vorgabe von Pfister vorzubereiten: eine vegetarische Vorspeise, zum Hauptgang geschmortes Huhn sowie ein Dessert aus Äpfeln. Um 9 Uhr wurde gestartet, um 11.30 Uhr die erste Vorspeise serviert, eine Stunde später der Hauptgang.

Eine Investition von 250 000 Franken

Zuvor lernten die Kursteilnehmenden während eines halben Jahres intensiv. Pfister, der eine Kochlehre bei der legendären Mövenpick Grüt Farm in Adliswil ZH absolvierte, zum Hotel Belvoir in Rüschlikon ZH wechselte und als Souschef im Péclard-Betrieb Coco Grill & Bar vor gut 16 Jahren startete, hat mit seinem Team ein umfangreiches Ausbildungsangebot ausgearbeitet. Dazu investierte die Pumpstation inklusive Löhnen (die Kursverantwortung war für Pfister teilweise wie ein 100-Prozent-Job), Vorbereitungen, Computerprogramm, Ausflüge und Kursräume laut eigenen Angaben rund eine Viertel Million Franken. «Das macht 25 000 Franken pro Student. Wenn er fünf Jahre bleibt, haben wir gewonnen», rechnet Michel Péclard vor. Allein die Benützung der Kursräume in Wädenswil kostete 1800 Franken pro Tag. Als Lernplattform nutzten die angehenden Köche Global Swiss Learning. «Das war in der Theorie ein wichtiger Bestandteil, unterstützt durch Patrick Diethelm und Marco Mehr», betont Pfister.

Verbände helfen Wettbewerbsfähigkeit der Branche

Sabrina Camenzind, Direktorin Hotel & Gastro formation Schweiz, sagt dazu: «Jede Idee, Menschen für unsere Branche zu begeistern, ist eine gute Idee. Doch können in einem solchen Kurs nicht die gleichen Inhalte vermittelt werden wie in einer dreijährigen Grundausbildung, welche gesamtschweizerisch geregelt ist.» Hotel & Gastro formation Schweiz, eine Organisation der drei Verbände GastroSuisse, HotellerieSuisse und Hotel & Gastro Union, biete ein gutes und rege genutztes Angebot an Bildungsmöglichkeiten an. «Damit leisten die Verbände sozialpartnerschaftlich einen wesentlichen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Branche.»
Branchenprofi Pfister weiss hingegen, was für die Ausbildung in den Péclard-Betrieben relevant ist: «Wir haben dafür gesorgt, das Basiswissen eines Kochs auf einfachste Art zu vermitteln. Dazu besuchten wir Betriebe wie die Milchmanufaktur Einsiedeln, Bianchi zum Thema Krusten-, Schalen- und Weichtiere, Metzgereien, das Recycling-Center in Volketswil ZH oder ernteten wir Nüsslisalat auf dem Feld, damit die Kursteilnehmer lernen, weshalb das Kilogramm so viel kostet.» Und in seinem Lehrgang wurde viel zubereitet: Gemüsefond, Basilikumpesto, Tahini, Vinaigrette, Kürbischutney, blanchierter Spinat, gedünstete Rüebli, geschmorter Fenchel, Hummus, Gazpacho, Shawarma, Salat-Wraps, Dorade in der Salzkruste, Trüffelfondue, Apfelküchlein, Crèmeschnitte und vieles mehr. Zu Hause mussten die Teilnehmer üben und Aufgaben lösen. Die schriftliche Prüfung bestand aus 100 Fragen, die sie auf dem Tablet beantworteten. «Auf dem Tablet waren auch sämtliche Rezepte. Das ist die Zukunft und nicht Rezeptordner», betont Pfister.
Die Ausbildung hat inner- und ausserhalb der Péclard-Betriebe für grosses Aufsehen gesorgt. Mitbewerber hätten angefragt, ob sie ihre Angestellten ebenfalls in die Ausbildung schicken dürften, nachdem die Branchenleute vom Angebot gehört hatten.

 

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Eine Win-win-Situation: Moussa Gueye, Fred Heinzelmann, Alfred Ayemien, Michel Péclard und Maik Pfister (v. l.) in der Schulküche der Hotelfachschule Zürich (Foto: Daniel Winkler)

Anrufe von verzweifelten Sterneköchen

Péclard freut sich: «Personell sieht es nun bei uns gut aus, weil wir durch diese Ausbildung Mitarbeitende nachziehen können. In der Küche haben wir gegen 30 offene Stellen, im Service wohl 80, doch das wird kein Problem sein, weil es sich oft um Sommerjobs handelt, die wir mit Studierenden besetzen.» Bewerbungen für eine Kochlehre erhalte er aber keine mehr. Der Fachkräftemangel sei in der Branche riesig. «Mich rufen Sterneköche an, die verzweifelt auf Personalsuche sind. Andere sagen, sie würden lieber auf Sterne verzichten, weil es so schwierig sei, Mitarbeitende zu finden.»
In den Péclard-Restaurants gibt es zum Kaffee einen Zuckerbeutel mit Aufschriften wie «Wir sollten uns bei einem Kaffee besser kennenlernen». Oder «Ergreife die Chance, bevor sie sich in Kaffee auflöst». Dies mit einem Hinweis auf Jobs unter peclard.net. «Zusätzlich haben wir im Service alles auf Umsatzlöhne umgestellt – mit riesigem Erfolg. Plötzlich ist niemand mehr krank oder verunfallt. Viele Gastronomen konzentrieren sich darauf, wie sie sparen können, und nicht da­rauf, wie sie besseres Personal finden», sagt der umtriebige Gastronom mit 20 Jahren Dozentenerfahrung an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern. Sein Unternehmen erhalte Bewerbungen aus ganz Europa, etwa von der Sansibar auf Sylt.

Ein Küchenchef verdient bei Péclard 7500 Franken

Alfred Ayemien (49) arbeitet seit fünf Jahren für Péclard, zuerst im Restaurant Pumpstation am Zürichsee und nun im Mönchhof am See im Bereich Grill und Küche. «In der Hafenbeiz im Mönchhof habe ich keinen einzigen gelernten Koch. Manchmal stellen wir einem Abwascher eine Kiste Cherrytomaten hin und schauen, ob er damit umgehen kann», erzählt Péclard. Ayemien hat seine Chance gepackt und die «academy of cooks & pans» ebenfalls erfolgreich abgeschlossen. Per Ende April 2023 erhielt er ein Péclard-Diplom und wie alle anderen eine Lohnerhöhung von 200 Franken pro Monat. Das Diplom ist jedoch kein offizieller Titel. «Ich kam als politischer Flüchtling 1998 aus Nigeria in die Schweiz und habe viele Berufe ausprobiert, einen Computerkurs gemacht. Michel Péclard hat uns eine Chance gegeben, zusätzlich zu lernen. Für mich war das die beste Zeit des Jahres. Es war sehr interessant. Und wenn man Lust und Interesse an einem Job hat, geht es einfacher», sagt Ayemien. Menschen wie er seien, so Péclard, weniger eingebildet und wollten sich nicht verwirklichen. Sie seien sehr dankbar, treue Angestellte und würden zur Not auch mal 13 Stunden arbeiten. Ein Küchenchef verdiene bei ihm monatlich 7500 Franken – egal ob er Schweizer oder ein Asylant ist.
Doch weshalb entschied sich das Management der Pumpstation Gastro GmbH nicht für offizielle Kursangebote, etwa Progresso von Hotel & Gastro formation (Details im Kasten auf Seite 16)? «Die von uns ausgewählten Studenten können kaum Deutsch. Sie müssen arbeiten können. Und sie müssen Gerichte und Techniken anwenden, die es heute braucht: Sous-Vide oder Fermentation. Köche müssen eine Jus beherrschen, weil das der Gast schmeckt, oder wissen, wie ein Wiener Schnitzel zubereitet wird. Rezepte wie Kaiserinnenreis braucht niemand mehr», begründet Péclard.

Kontroverse um Reis Kaiserinnenart

Brancheninsider kritisieren, dass es eine vollumfängliche Ausbildung braucht, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dazu gehören Sprachen und eine gute Allgemeinbildung. Camenzind von Hotel & Gastro formation wirbt: «Progresso-Lehrgänge sind offiziell anerkannte Lehrgänge, deren Abschlüsse für die grundlegenden Kompetenzen sorgen und darüber hinaus ein Weiterkommen im Schweizer Bildungssystem ermöglichen. An die Abschlüsse sind auch höhere Mindestlöhne geknüpft. Die Rezepte reduzieren sich keineswegs nur auf Reis Kaiserinnenart.» Ein Kurs, der schweizweit anerkannt und auch angeboten wird, habe die unterschiedlichsten Formen der Gastronomie im Blick. «Mitarbeitenden, die vorgängig ihre Deutschkenntnisse verbessern möchten, steht der zertifizierte Fide-Sprachkurs Gastronomie/Hotellerie zur Verfügung.»
Fred Heinzelmann (64), Direktor der Hotelfachschule Zürich, bezeichnet die Zusammenarbeit mit Péclard als Win-­win-Situation: «Im vorderen Teil unserer Küche bilden wir die Studierenden der Hotelfachschule aus. Den hinteren Teil benützen wir nur für Grossanlässe. Wir haben die perfekte Infrastruktur inklusive aller Kochutensilien.» Irrtümlicherweise wurde angenommen, dass mit der Schliessung des Restaurants Belvoirpark auch die Hotelfachschule geschlossen werde. «Die Hotelfachschule beweist mit dieser Kooperation im Gegenteil, dass sie eine moderne Institution ist und in der Ausbildungslandschaft eine wichtige Rolle spielt», sagt Heinzelmann. «Wir klären nun ab, was die nächsten Schritte sind. Die Zusammenarbeit hat uns noch näher an die Bedürfnisse der Gastronomen herangeführt.»

Alternative Progresso
Der Lehrgang «Progresso» von Hotel & Gastro formation Schweiz ist die einzige schweizweit anerkannte Basisausbildung für Mitarbeitende ohne Berufsabschluss im Gastgewerbe. Sie wird angeboten für die Fachbereiche Küche, Service, Hauswirtschaft und Systemgastronomie und dauert fünf Wochen. Progresso wird finanziert durch das seit 2010 existierende Aus- und Weiterbildungsprojekt «Weiterbildung inklusive», wenn der Betrieb dem Landes-Gesamtarbeitsvertrag des Schweizer Gastgewerbes (L-GAV) unterstellt ist. Ansonsten betragen die Selbstkosten 3450 Franken. Voraussetzungen sind eine Anstellung von mindestens 20 Prozent, Deutsch- sowie Lese- und Schreibkenntnisse. In den letzten 20 Jahren haben über 3000 Absolventen mit Progresso den Grundstein für ihre berufliche Zukunft gelegt. Das Progresso-Zertifikat bietet die Option, die auf ein Jahr verkürzte modulare Grundausbildung mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) in den Bereichen Küche, Service und Hotellerie-Hauswirtschaft zu absolvieren. Details unter www.mein-progresso.ch