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Der unbekannteste ­Zweisternekoch der Schweiz

Benny Epstein – 12. November 2020
Mitja wer? Mitja Birlo. Im 7132 Hotel in Vals GR gibt es mehr als nur eine schöne Therme. Ein Porträt über ­einen Spitzenkoch, der lieber den Boden schrubbt, als auf Instagram zu posten.

«Einen Moment», bittet Mitja Birlo in seinem Büro oberhalb der Küche. Er muss dringend eine E-Mail beantworten. Eine Verschiebung. «Wegen Corona, natürlich. Es geht um eine grössere Gruppe.» Der 35-jährige Küchenchef des Restaurants Silver spricht es emotionslos aus. Nicht weil Absagen – wie in vielen anderen Restaurants – derzeit zum Alltag gehören, sondern weil er sich hier oben in Vals GR nicht beschweren kann: Das Geschäft boomt. «Man darf es ja nicht laut sagen, aber wir gehören sicher zu den Gewinnern dieser Zeit», weiss Birlo. Einheimische mit dem nötigen Kleingeld, die in diesem Jahr kaum in die Ferne fliegen können, sich aber Luxus, Exklusivität und Ruhe gönnen möchten, peilen jetzt genau solche Destinationen wie das 7132 Hotel in den Bündner Bergen an. Dessen mit zwei Michelin-Sternen und 18 GaultMillau-Punkten ausgezeichnetes Restaurant ist Abend für Abend ausgebucht. Unbekannt? Macht nichts!
Zehn Tische, viel Platz, um 23 Uhr ist Schluss, der Service und das Küchenteam trägt Maske. Doch auch ohne Maske würden viele den Küchenchef nicht erkennen: Mitja Birlo ist der unbekannteste Zweisternekoch der Schweiz. «Ja, das mag stimmen», meint dieser mit einem Schmunzeln im Gesicht. «Macht aber nichts. Ich bin kein Star, kein Blender.» Vielleicht klinge das nicht nach wirtschaftlichem Denken, aber das Bekanntsein sucht er nicht. «Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.» Dass Birlo dennoch wirtschaftlich denkt, erlebt der aufmerksame Gast bei manchem Gericht. Bestes Beispiel: der Sellerie. Birlo gart ihn zweieinhalb Stunden en papillote im Backofen, bis der Doldenblütler zart ist. Dann wird er halbiert, auf den Teller gelöffelt und mit eigens kristallisiertem Salz gewürzt. Der Schaum fürs Gericht stammt aus gerösteten Sellerie-Abschnitten, der Jus aus reduzierter Rande, Huhn und Pfefferöl beleben das Gericht und verleihen ihm gleichzeitig Tiefe. Briochekrümel runden es knusprig ab. Das Resultat ist ein regionales Gericht mit sehr überschaubarem Warenaufwand. Die Zubereitung vor dem Gast sorgt für Unterhaltung, jeder Bissen kommt einer kulinarischen Umarmung gleich. «Ein Winner, alle Gäste lieben es», verrät Birlo. «Die Idee entstand aus der Not innert 20 Minuten.» Grösster Freund, ärgster Feind
Ganz auf die Region beschränken möchte sich der gebürtige Berliner allerdings nicht. Sein Tsatsiki etwa veredelt er mit Kristal-Kaviar aus dem Hause Kaviari. «Da schränken wir uns nicht allzu sehr ein. Wo immer möglich, greifen wir aber auf Produkte aus der nahen Umgebung zurück.» Donnerstags zieht er mit seinen Köchen jeweils durch die Wälder, sammelt Kräuter, Pilze und Beeren. Birlo will für die Mitglieder seiner Equipe bester Freund und ärgster Feind zugleich sein. «Es muss Spass machen, aber es braucht auch eine gewisse Disziplin.» Der Spitzenkoch verteilt Lob und Kritik. «Beides ist wichtig. Manchmal vor der versammelten Mannschaft, manchmal im Gespräch zu zweit.» Immer bewusst und möglichst sachlich. Geschieht in der Küche ein Fehler, lässt er die Emotionen erst mal gänzlich weg. «Dann geht es vorerst nur darum, zu schauen, ob und wie wir den Fehler beheben können, ohne dass der Gast etwas merkt. Je nach dem spreche ich den Fehler nach dem Service nochmals an. Wir analysieren, wie es so weit kommen konnte, damit derselbe Fehler nicht nochmals passiert.» Im Wiederholungsfall könne Birlo auch mal emotional werden, doch das komme selten vor. «Mir unterlaufen ebenfalls Böcke, ich bin auch nur ein Mensch.» Einer mit dem Gespür für die Führung seiner Mitarbeiter. Einer, der zum Kreieren eines Amuse Bouches auch mal den Commis herausfordert und diesen vor dem Gast erwähnt. Einer, der lieber mal selbst den Boden schrubbt, als mit Social-Media-Posts an seiner Bekanntheit zu schrauben. Nur vier Bilder zieren sein privates Instagram-Profil, keines zeigt ihn beim Kochen, Fotos von Gerichten findet man nur auf dem offiziellen Kanal des Restaurants. Mit einem Knall zum Chef
Seit zweieinhalb Jahren ist Birlo Küchenchef im Silver. Damals stieg er vom Souschef zum Chef auf. Doch die Aufmerksamkeit lag ausschliesslich auf dem lauten Abgang seines Vorgängers Sven Wassmer. Nachdem dieser seinen Abgang aus Vals autonom kommunizierte, stellte ihn 7132-Besitzer Remo Stoffel per sofort frei. Ein Kapitel, über das Birlo keine Worte verlieren möchte. «Das ist nicht meine Sache. Darüber zu reden, ist nicht meine Art.» Von einem Tag auf den anderen übernahm er damals die Führung. Den Küchenstil änderte er nicht radikal. Schliesslich stammten schon davor viele Kreationen aus seinem Kopf. Birlos Ziel: «Ich wollte es nur allen zeigen, dass ich es auch kann.» Allen? «Allen, die gedacht haben, nach Sven Wassmers Abgang gehe es im Silver bachab.» Wie gut dieses Vorhaben klappt, überraschte aber sogar Birlo selbst. «Wir haben damit gerechnet, dass uns der Guide Michelin erst mal den zweiten Stern abzieht und schaut, wie sich die Sache entwickelt.» Der zweite Stern blieb und von Gault Millau gab es vergangenes Jahr wieder 18 Punkte sowie die Auszeichnung als Aufsteiger des Jahres. Und noch wichtiger: Die Gäste sind glücklich, Besitzer Stoffel ebenso. Birlo: «Er bezeichnete sich selbst mal als notorischen Nörgler, und er kommentiert das Essen auch immer, wenn er bei uns einen Abend verbracht hat. Aber er verlangt nicht, dass wir nicken und schweigen. Er will zum Denken anregen.» Remo Stoffel denkt gross, das Beste ist gerade gut genug. Das Interieur des Hotels glänzt einerseits durch die einzigartige, zeitlos elegante Architektur und anderseits durch kleinste Details in Perfektion. Die hellen, lichtdurchfluteten Zimmer scheinen auf den ersten Blick schlicht eingerichtet, erst beim zweiten Hinschauen realisiert der Gast jede Massanfertigung. Die exzellent geschulten Mitarbeiter lesen diesem jeden Wunsch von den Lippen ab, wirken professionell und doch nahbar. Man fühlt sich wohl und willkommen. Keine Spur der steifen Art, die einem in manchem Grand Hotel entgegenkommt. Bewährtes Erfolgsrezept
Herz des 7132 Hotels ist natürlich die 1996 eröffnete Therme. Entworfen vom Bündner Stararchitekten Peter Zumthor, fasziniert der aus 60 000 Platten Valser Quarzit errichtete Bau als architektonisches Meisterwerk, als Kurstätte und Vergnügungsort zahllose Gäste. Das hoch mineralisierte Wasser stammt aus der St. Petersquelle. Auch Valser Mineralwasser nutzt diese Quelle. Die Therme ist für Mitarbeiter des Hotels gratis. Am freien Tag erholt sich auch Birlo gerne in den Bädern des Hauses. Hie und da ziehe es ihn aber auch mal nach Zürich oder Mailand. Für einen, der in Berlin, London und Sydney gearbeitet hat, ist es in der 1000-Einwohner-Gemeinde sehr ruhig. «Ich sage es jedem, der bei uns arbeiten will: Das Schwierigste hier oben ist das Leben. Aber ich liebe es.» Berge, Kühe, immer die gleichen Gesichter. Die nächste, grössere Stadt liegt nicht um die Ecke. «Ich mochte das Grossstadtleben sehr, aber es fehlt mir gar nicht. Ich habe keinen anderen Plan, als hier zu bleiben.» Beste Voraussetzungen also, um den Bekanntheitsgrad ganz natürlich wachsen zu lassen. Ein bewährtes Erfolgsrezept im Bündnerland.