«Der Fachkräftemangel ist nicht die Schuld einzelner Betriebe»

Reto E. Wild – 22. Dezember 2022
Hauptdarsteller am Foodfestival in Salalah ist Thomas Bühner, der mit seinen drei Michelin-Sternen den Kocholymp erreicht hat. Das GastroJournal hat den Deutschen im Anantararesort getroffen.

Thomas Bühner, wie werden Sie Weihnachten verbringen?
Thomas Bühner: Ganz in Ruhe mit meiner Frau und wahrscheinlich mit den Schwiegereltern. Normalerweise kocht meine Frau an Weihnachten. Dieses Mal bin ich wohl wieder an der Reihe. Wir kriegen von einem Freund ein Schäufele geschenkt. Dazu gibt es warmen Kartoffelsalat. Wir feiern in unserem sehr alten Haus in Osnabrück.

Und nun treffen wir Sie in Salalah im Süden Omans. Weshalb haben Sie sich als Dreisternekoch entschieden, am ­Al-Baleed-Foodfestival im Anantararesort teilzunehmen?
Die Agentur Chefs’ von Lise Timmer hat mich angefragt, und ich habe spontan zugesagt. Ich besuchte den Oman vor Jahren, als ich zum 40. Thronjubiläum des Sultans eingeladen wurde. Das Land ist sehr ursprünglich und schön, und Anantara ist eine starke internationale Marke.

Wie gingen Sie bei der Auswahl Ihres Fünfgängers vor?
Ich habe zunächst einen Menüvorschlag unterbreitet und wurde später vom Hersteller Amouage kontaktiert, dessen Parfüms ich schon seit 15 Jahren benütze. Das Unternehmen wollte parallel dazu vier neue Düfte zwischen den Gängen präsentieren. Das ist ein wundervoller Weg, Duft sichtbar zu machen. Viele Zutaten in Parfüms spielen in der Küche eine Rolle: Bockshornklee, Vanille, Bergamotte, Rose, Kardamom. Die Herausforderung bestand darin, dass ich zum ersten Mal in dieser Küche hier im Oman stand und nicht alles zehnmal durchtesten konnte. Ich musste sofort für eine Punktlandung sorgen.

Wie schafften Sie diese?
Eigener Herd ist Goldes wert: Deshalb braucht es ausserhalb der eigenen Küche eine gute Vorbereitung und einen hohen Grad an Disziplin. Dazu gehört in einem fremden Land, die Zahl der Produzenten möglichst klein zu halten. Ich habe das grosse Glück, dass ich mir Geschmack im Kopf vorstellen kann. Letztlich entschied ich mich für neun verschiedene Gänge.

Was waren die grössten Herausforderungen?
Darüber könnte ich ein Buch schreiben. Bei einem anderen Anlass in Marokko besorgte der französische Küchenchef beispielsweise Spargeln, die wohl weniger wert waren als das Holzkistchen, in dem sie transportiert wurden. Was mich bei meinen Teilnahmen an Foodfestivals beeindruckte, sind die tollen Mitarbeitenden, wie sie überall auf der Welt zu finden sind. Doch nicht überall arbeiten tolle Küchenchefs. Einmal war ich in Indien in einer Küche, die war so dreckig, dass ich sagte, ich könne hier nicht weitermachen. Danach wurde die Küche zwei Stunden lang intensiv gereinigt. Die Angestellten waren später glücklich und sagten mir, dass sich ein Gastkoch selten so engagiert habe wie ich. Das ist mir wichtig, denn die Mitarbeitenden haben es verdient, gefordert und gefördert zu werden.

Wie ging das in Indien weiter?
Der erste Abend im Service war einer meiner schlimmsten meines Lebens. Nichts hat geklappt. Einige Gäste am Tisch wollten ein veganes Menü, andere das normale. Wir haben am Pass angerichtet und wussten nicht mehr, wer vegan bestellt hatte. Es war ein unfassbares Chaos. Ich berief nach dem Abendessen ein Meeting ein und sagte, dass wir nun einen einzigen Tag Zeit haben, unsere Leistung zu steigern. Der nächste Tag war einer der schönsten meines Lebens in meiner Karriere. Es hat alles super geklappt. Mir ging das Herz auf. Die Angestellten waren so stolz, dass sie es hingekriegt hatten. Wenn man die Leute bei der Ehre packt, kriegt man viel dafür. Ich reise gerne in fremde Länder. Ich sagte mal zum damaligen Chef von GaultMillau in Deutschland, es sei mein grösster Traum, einmal um die Welt zu fliegen und in jeder Stadt, in der ich lande, essen zu gehen. Er sagte, ich soll das tun. Ich arbeitete damals im La Vie in Osna­brück und hatte 30 Mitarbeitende. Ich wollte dieses Dreisternelokal nicht riskieren.

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Thomas Bühner (rechts) teilt mit den Teilnehmerinnen des Kochkurses seine Berufserfahrungen bei der Fisch- und Fleischzubereitung. «Eigentlich wurde ich gefragt, mit Ihnen Tomaten und Gurken zu schneiden. Ich möchte lieber aufzeigen, dass Produktequalität nicht alles ist. Die Art der Zubereitung ist viel wichtiger.» (Foto: Reto E. Wild)

Am Ende ist genau das passiert: Der Investor wollte 2018 das La Vie schliessen und begründete dies mit einer «organisatorischen Neuausrichtung».
Ja, ich war geschockt und habe alles für meine Mitarbeitenden getan. Später reiste ich unter anderem nach Frankreich, Schweden, Griechenland, Marokko, Kenia, Ecuador, Indonesien, nach Kasachstan, Thailand und Taiwan. In Ecuador fand ich den besten Kakao der Welt. Da kosten 50 Gramm 250 Dollar. In Taiwan, nur um ein weiteres Beispiel zu nennen, war ich fasziniert von den kalt aufgebrühten Tees. Ich bin beseelt davon, wie bunt die Welt ist. Und überall traf ich auf motivierte Mitarbeitende.

Wo oder von wem haben Sie in Ihrer gut 30-jährigen Karriere in der Spitzengastronomie am meisten gelernt?
Ich habe jeweils dort am meisten gelernt, wo es mir am wenigsten gefallen hatte. Ich wusste immer, ich will meine Mitarbeitenden einst nicht anschreien oder wie Dreck behandeln. Ich hatte überall das grosse Glück, auf erfahrene Chefs zu treffen, die in einer Zeit Koch gelernt hatten, als noch richtig gekocht wurde. Heute wird mindestens die Hälfte der Menüs in Sternerestaurants nur mit Blüten und Kräutern arrangiert und nicht mehr richtig gekocht.

Sie haben mit 34 Jahren Ihren ersten Michelin-Stern erhalten, mit 36 Jahren Ihren zweiten und erst mit 49 Jahren Ihren dritten. Was braucht es dazu?
Geduld und Konstanz. Ich wurde 1991 im La Table als Souschef eingestellt und noch im gleichen Jahr zum Küchenchef befördert. Ich hatte 16 Punkte und einen Stern. Dann kam ein Tester. Im GaultMillau hiess es später sinngemäss, ich soll die teuren Produkte nicht weiter verhunzen. Ich wurde mit 13 Punkten abgestraft und verlor den Stern. Das führte bei mir zu langen Spaziergängen durch dunkle Wälder. Irgendwann kam ich aus dem Wald und sagte mir, ich werde beweisen, dass ich es besser kann, als was da geschrieben wurde. Innerhalb von fünf Jahren erreichte ich zwei Sterne und 17 Punkte und gehörte zu den 15 besten Köchen in Deutschland.

Aber den dritten Stern schafften Sie nicht.
Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Offenbar fehlte mir ein Viertelpunkt, und ich wusste nicht, wo. Mir war klar, dass ich es allein nicht schaffen kann. Ich entschied mich für ein Coaching. Das hat mir geholfen, meine innere Ruhe zu bewahren. Ich wollte mich ablenken und machte den Bootsführerschein. Dann haben wir den dritten Stern bekommen. Dieses unbedingte Wollen kann auch etwas verhindern. Das war bei Sven Wassmer vielleicht ähnlich. Nun kann ich sagen, dass ich alle Auszeichnungen jeweils zum richtigen Zeitpunkt erhalten habe.

Was halten Sie von der Gastronomie in der Schweiz?
Andreas Caminada ist ein sehr guter Freund von mir. Meine ehemaligen Mitarbeiter, wie Marcel Skibba oder mein langjähriger Küchenchef Timo Fritsche, arbeiten für Andreas. Begeistert bin ich auch von Mitja Birlo vom 7132 Silver in Vals oder vom Restaurant Gül in Zürich. Was für eine tolle türkische Küche! In Deutschland besteht diese oft aus Kebap und Gyros. Tanja Grandits und Peter Knogl schätze ich ebenfalls sehr – und alle jene, die ich jetzt nicht genannt habe.

In Zentraleuropa ist der Fachkräftemangel eine grosse Herausforderung. Was raten Sie?
Der Fachkräftemangel ist nicht die Schuld einzelner Betriebe, sondern die der gesamten Branche. Sie hat in den letzten 30 Jahren mit schlechten Arbeitsbedingungen alles dafür getan. Der erste richtige Schritt ist: als Chef hinzustehen und zu erklären, was die Vision sowie die Rolle der Mitarbeitenden sind. Ich würde die Stärken fördern und nicht nach Schwächen ­suchen. Und dann würde ich die Mitarbeitenden ordentlich und fair bezahlen – nicht aus meiner Sicht, sondern aus jener der Angestellten. Wichtig ist ebenso, im Betrieb eine Balance zu finden. Statt am Samstag überbucht zu sein und am Montag leer, ist es besser, jeden Tag ähnlich viele Gäste zu empfangen. Das führt schnell zu einem runden Teamplay.

Sie leben weiterhin in Osnabrück und arbeiten seit Sommer 2018 selbstständig als Berater sowie als Gastkoch. Was sind das hauptsächlich für Projekte?
Das Wichtigste ist La Vie by Thomas Bühner, das wir im Februar 2023 mit 27 Plätzen in Taipeh eröffnen werden. Küchenchef ist Xavier Yeung, der vorher für Joël Robuchon arbeitete. Schon 2019 eröffneten wir mit dem Majesty im Hotel Marriott in
Kaohsiung ein Restaurant in Taiwan. Ich habe vor, mehrmals im Jahr für drei bis fünf Wochen nach Taiwan zu fliegen, weil mir das Projekt am Herzen liegt. Ich fühle mich als Botschafter von Taiwan. Nun müssen wir die Vielfalt des Landes auch für Menschen ausserhalb der Insel sichtbar machen.

Haben Sie keine Angst vor dem Säbelrasseln der Chinesen?
Welcher Standort wäre besser? London, Italien, Frankreich oder Istanbul, wo es unlängst Terroranschläge gab? Die Taiwanesen sind sich ziemlich sicher, dass nichts passiert. Taipeh ist eine boomende Stadt mit gut 2,6 Millionen Einwohnern und 31 Michelin-Sternen, während Hongkong stillsteht und Shanghai Probleme hat.

Wird das La Vie in Taipeh wieder ein Gourmetrestaurant?
Ja. Es war zuerst allerdings nicht meine Absicht, das Lokal wieder La Vie wie in Osnabrück zu nennen. Wir prüften in einer WhatsApp-Gruppe andere Namen. Letztlich war aber der Eigentümer der Königsmacher dieses Begriffs. Der Besitzer möchte ein Restaurant, das den Vergleich mit Spitzenlokalen in Europa nicht zu scheuen braucht. Wir wollen dort anknüpfen, wo wir in Osnabrück aufhörten.

★ Thomas Bühner: nächster Stopp Taiwan!

2018 belegte Thomas Bühner (60) mit seinem Restaurant La Vie in Osnabrück den 69. Platz der weltweit 300 besten Restaurants. Der Westfale hat in seiner gut 30-jährigen Karriere in der Spitzengastronomie (unter anderem bei Harald Wohlfahrt in der Schwarzwaldstube in Baiersbronn) alles erreicht, was ein ambitionierter Koch möchte, und schaffte den ersten Michelin-Stern im Alter von 34, den zweiten mit 36 Jahren und den dritten dann mit 49 Jahren. Im Februar 2023 schlägt er ein neues Kapitel auf: Dann startet Bühner in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh mit dem Gourmetrestaurant La Vie by Thomas Bühner. Als Statthalter setzt er im Lokal mit 27 Plätzen Xavier Yeung ein.