Wer ihr beim Kochen zusieht, würde nie auf die Idee kommen, dass Ana Roš sich jeden Handgriff selbst beigebracht hat. Tatsächlich begann die 44-Jährige ihre Karriere aber als Skirennfahrerin und angehende Diplomatin. Nach der Heirat mit dem Sommelier Valter Kramar entschied das Paar, das Restaurant von Kramars Eltern zu übernehmen – er im Service, sie in der Küche. Und der Plan ging auf: Mittlerweile kocht Ana Roš im «Hiša Franko» im slowenischen Kobarid auf 17-Punkte-Niveau und wurde Anfang Jahr zur «World’s Best Female Chef» gekürt. GastroJournal traf sie bei ihrem Auftritt am ChefAlps-Fachsymposium in Zürich-Oerlikon.
GastroJournal: Im Jahr 2000 haben Sie das Restaurant Ihrer Schwiegereltern übernommen, ohne je professionell gekocht zu haben. Wie waren die Anfänge?
Ana Roš: Der Anfang war furchtbar. Ich habe mich so schwach gefühlt. Da mein Mann Wein-Sommelier ist, stand schnell fest, dass ich mich um die Küche kümmern würde. Also habe ich mir alles autodidaktisch beigebracht, für Praktika blieb keine Zeit. Denn ich wurde zu der Zeit auch mit unserem ersten Kind schwanger.
Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe viele Kochbücher durchgelesen und am Wochenende Unterstützung von einem guten Freund erhalten, der selber Koch ist. Von ihm habe ich gelernt, wie wichtig präzises Arbeiten ist. Auf das lege ich auch heute noch grossen Wert, jeder Handgriff in der Küche hat seine Bedeutung. Und ich habe viel von meinen Sous- chefs gelernt, ich lerne quasi jeden Tag etwas Neues. Ganz am Anfang haben wir Kunden verloren, aber heute sind wir drei Monate im Voraus ausgebucht. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass durch harte Arbeit alles möglich ist.
«Ich habe gelernt, dass mit harter Arbeit alles möglich ist»Was hat Ihnen die Kraft gegeben, trotz schwierigem Start weiterzumachen?
Das Geld war unser Motivator, wir mussten von dem Restaurant leben. Zu Beginn haben wir für die Wintermonate sogar einen Kredit aufgenommen, weil Kobarid dann leer ist – und wir nicht genug Ersparnisse hatten, um für diese Zeit zu sorgen. Heute geht es uns viel besser, aber unser Restaurant ist nach wie vor von Januar bis März geschlossen. Wir geniessen diese Phase, in der wir unsere Batterien aufladen und gemütliche Familienabende verbringen. Und plötzlich klopfte der amerikanische Serienproduzent Netflix an Ihre Türe und hat Sie in seiner «Chef’s Table»-Sendung porträtiert. Wie hat sich Ihr Alltag durch diesen Auftritt verändert?
Netflix hat unser Leben komplett verändert. Einen Tag, nachdem die Sendung ausgestrahlt wurde, ist unser Reservationssystem zusammengebrochen. Plötzlich hatten wir Gäste aus aller Welt, die ganz andere Ansprüche an unser Essen hatten: Diese Gäste suchen nach einem speziellen Erlebnis im Restaurant, sie möchten Experimente auf dem Teller sehen. Einerseits ist die grosse Nachfrage sehr schön, andererseits ist sie für uns nicht einfach zu bewältigen. Mein Team arbeitet enorm viel und ist oft erschöpft. Deswegen haben wir die Öffnungszeiten angepasst und das Restaurant über Mittag geschlossen. Wie kommen Sie persönlich mit der grossen Nachfrage zurecht?
Nun ja, ich habe von Natur aus sehr viel Energie. Regelmässiges Joggen und Yoga helfen mir, einen Ausgleich zur Arbeit zu schaffen. Was ist Ihnen beim Kochen wichtig?
Für mich zählen drei Dinge: die Persönlichkeit des Kochs, die Region und die Jahreszeit. Unser Restaurant befindet sich in Kobarid, einem wunderschönen, abgelegenen Tal. Wir sind auf das angewiesen, was uns die umliegende Natur hergibt, daher spielt Saisonalität und Regionalität für uns eine grosse Rolle. Viele Küchenchefs nehmen heute ihre Verantwortung nicht mehr wahr und lassen sich alle Zutaten liefern. Dabei muss man oft nur wenige Schritte gehen, um Köstlichkeiten zu entdecken. Ein Wald ist zum Beispiel zu 90 Prozent essbar, man muss sich nur gut auskennen.
«Netflix hat unser Leben komplett verändert»Wie würden Sie denn Ihren Kochstil beschreiben, auf was legen Sie besonders Wert?
Meine Küche verändert sich laufend, ähnlich wie mein Gemütszustand. Deswegen habe ich auch Mühe, gewisse Gerichte das ganze Jahr über anzubieten: Das kann ich einfach nicht. Heuer bin ich mit 18 neuen Gerichten in die Saison gestartet. Was mir dabei sehr wichtig ist, ist das Zusammenspiel von Land und Meer. Ich bin der Meinung, dass Dinge, die in der Natur zusammen vorkommen, auch auf dem Teller bestens zueinander passen. Ausserdem möchte ich den natürlichen Geschmack der Zutaten erhalten, deswegen verändere ich die Produkte so wenig wie möglich.
«Für mich zählen Terroir, Saison und Persönlichkeit»Sie haben Anfang Jahr den «World’s Best Female Chef»-Award erhalten. Was bedeutet Ihnen das?
Es war sicher nie mein Ziel, diesen Titel zu erhalten, denn mein Ziel war immer nur Kochen. Aber ich freue mich natürlich darüber und muss sagen, dass es eine tolle Plattform für mein Restaurant ist. Vor dem Jahr 2017 haben wir nie Werbung für das Hiša Franko gemacht und alles nur durch harte Arbeit erreicht. Wie schätzen Sie generell den Stellenwert von Frauen in der Gastronomie ein?
Was mir auffällt ist, dass es sehr viele Frauen gibt, die etwas zu sagen hätten, aber keine Chance dazu erhalten. Sexismus ist in der Küche ein Problem, das ist kein Geheimnis. Als ich 2012 bei «Cook It Raw» als erste Frau teilnehmen durfte, war das für mich ein schwieriges Erlebnis. Ich bin in eine Männerrunde hineingekommen, die sich seit Jahren kannte und es sich nicht gewohnt war, dass plötzlich eine Frau dabei ist. Damals habe ich mich oft einsam gefühlt. Was ich den Männern aber hoch anrechne: Wenn man sie mit einem Gericht beeindrucken kann, sind sie die ersten, die einem dazu gratulieren. www.hisafranko.com
Ein Gericht Ana Roš kochte beim Chef- Alps-Fachsymposium drei Gerichte vor Publikum. Jenes auf dem Foto enthält Kutteln in Wildenten-Jus mit frischen Morcheln, Favabohnen, knusprigen Brennesselblättern und einen Käse-Crisp. |