«Das neue Abkommen schreckt junge Arbeitskräfte ab»

Oliver Borner – 01. Dezember 2023
Seit dem neuen Grenzgängerabkommen mit Italien sinken die Bewerbungen im Kanton Tessin. Das hat auch Folgen für die Gastronomie.

Seit dem 17. Juli 2023 ist das neue Grenzgängerabkommen zwischen Italien und der Schweiz in Kraft. Von diesem Tag an zahlen neu eingestellte Personen sowohl in der Schweiz als auch in Italien Steuern. Konkret behält die Schweiz 80 Prozent der regulären Quellensteuer auf dem Einkommen von Grenzgängerinnen und Grenzgängern, die neu in der Schweiz arbeiten.

Die Gastronomie leidet

Vier Monate nach dem Inkrafttreten zeigen sich nun erste Probleme in der Tessiner Wirtschaft. «Das neue Abkommen macht grenzübergreifende Arbeit unattraktiver, insbesondere für die junge Generation», sagt Massimo Suter, Präsident von GastroTicino. Die Auswirkungen sind besorgniserregend: Seit dem Start des Abkommens im Juli sei die Zahl der Neubewerbungen in der Gastronomie um 30 bis 50 Prozent zurückgegangen.

Vor dem Inkrafttreten des neuen Abkommens – also bis zum 16. Juli – habe es einen regelrechten Run auf Arbeitsverträge gegeben, erklärt Suter weiter. Der Grund: Wer sich vor dem 17. Juli in der Schweiz anstellen liess, konnte noch von den alten Konditionen, beziehungsweise einem Übergangsregime, profitieren.

Diese Personen werden weiterhin ausschliesslich in der Schweiz besteuert, wobei die Schweiz den italienischen Grenzgemeinden bis zum Ende des Steuerjahres 2033 einen finanziellen Ausgleich in der Höhe von 40 Prozent der in der Schweiz erhobenen Quellensteuer entrichtet.

Nach neuem Abkommen behält die Schweiz 80 Prozent der Quellensteuern, die auf das Einkommen von italienischen Grenzgängern erhoben werden. Die neuen Grenzgänger werden auch im Wohnsitzstaat ordentlich besteuert, und dieser soll eine Doppelbesteuerung beseitigen.

«Die Jungen werden abgeschreckt»

Die sinkenden Bewerbungen haben für die Tessiner Gastronomie Folgen. Von den 80 000 Grenzgängern, die täglich im Tessin arbeiten, waren im zweiten Quartal 2023, gemäss des Bundesamts für Statistik (BfS), knapp 4 800 in der Gastronomie angestellt. «Einzelne Betriebe haben teilweise jetzt schon wenig Personal. Wenn jetzt weniger Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen, wird es vor allem für die Zukunft schwierig», sagt Suter.

Denn: auch der demographische Wandel spielt eine Rolle. «Irgendwann werden die Italienerinnen und Italiener, die seit vielen Jahren in der Schweiz arbeiten, in den Ruhestand gehen», sagt Suter. Dieses Loch werde sich kaum mit jungen Arbeitskräften stopfen lassen, wenn das Arbeiten in der Schweiz für Grenzgänger weniger attraktiv ist. «Und das, obwohl die Gastrobranche gute Löhne zahlt und gute Ausbildungen anbietet», so Suter. Er befürchtet zudem, dass sich das Problem auf andere Grenzkantone ausbreiten wird.

Einheimisches Personal fördern

Trotz der negativen Auswirkungen auf das kantonale Gastgewerbe will Suter das Abkommen nicht schlechtreden. «Natürlich ist das Abkommen aus branchenspezifischer Sicht nicht förderlich, weil die Suche nach Arbeitskräften dadurch schwieriger wird. Handkehrum macht es aus arbeitspolitischer Sicht absolut Sinn, da der einheimische Arbeitsmarkt gestärkt wird», sagt er.

Für die Branche heisse das mit Blick auf die Zukunft, sich verstärkt auf die einheimischen Arbeitskräfte zu konzentrieren. Dazu gehören unter anderem die bereits initiierten Massnahmen im Bereich Aus- und Weiterbildung und der 5-Punkte-Plan von GastroSuisse.