Gastronomie

Das langsame Ersticken des Stadtlebens

Peter Grunder – 31. Januar 2019
Beim Rathaus mitten in Basel wird Schiesser, legendäre Confiserie, Tea-Room und Wiener Café samt Terrasse, nächstes Jahr auf 150 Jahre erfolgreichen Betrieb zurückblicken können. Angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen nicht nur ein Grund zum Feiern, wie Stephan Schiesser erläutert. Ein besonderer Grund zu Beunruhigung ist die gezielte Beruhigung der Stadt.

«Von Generation zu Generation sind die Herausforderungen anders», sagt Stephan Schiesser. Da waren zuerst seine Urgrosseltern, die aus dem Glarnerland nach Basel kamen und 1870 am Marktplatz einen Betrieb eröffneten, der vor allem für seine Pasteten bekannt wurde. Da waren später gleich zwei Weltkriege, die praktisch vor der Haustür tobten, da waren schliesslich massive Veränderungen des Konsumverhaltens und der politischen Rahmenbedingungen. Da zu bestehen, brauche viel, stellt Schiesser klar. Aber jede Generation habe «das Richtige getan», und was sie verbinde, seien vorab «Tradition und Qualität». Betriebliche Herausforderung Kosten Die wohl grösste betriebliche Herausforderung für seine Generation seien die Kosten, meint Schiesser, dessen Confiserie am Marktplatz Basel nicht nur für Pralinen und Läckerli weitum bekannt ist, sondern auch für sein einzigartiges Café und Tea-Room im 1. Stock – Tradition und Qualität halt. Schiesser, der morgens jeweils gerne in der Backstube steht, bevor er den Papierkram erledigen muss, setzt zwar auf hervorragende Rohprodukte und kann weitgehend auf langjährige Mitarbeitende zählen. Aber die Warenkosten fallen gegenüber den Lohnkosten kaum noch ins Gewicht. Ein belastender Faktor ist auch die Mehrwertsteuer und nicht zuletzt die extreme Zunahme des administrativen Aufwandes: «Meine Eltern hatten einmal im Monat Bürotag und deshalb schon frühmorgens nicht besonders gute Laune», erzählt Schiesser lachend, er hingegen müsse tagtäglich Berge von Post im Briefkasten und im Computer abarbeiten. Der Papierkram hat in letzter Zeit noch einmal zugenommen, denn Stephan Schiesser ist wieder Mitglied im Basler Kantonsparlament, dem Grossen Rat. Schon vor rund 20 Jahren hatte er der gesetzgebenden Behörde des Stadtkantons angehört; bei den letzten Wahlen liess er sich dann überreden, eine Liste aufzufüllen – und wurde mit einem Glanzresultat gewählt. Das politische Umfeld habe sich in den 20 Jahren stark verändert, findet Schiesser. Während es im Parlament und in der Regierung einst in allen politischen Lagern Persönlichkeiten mit einem weiten Horizont gegeben habe, dominierten inzwischen politische Flügel, die ihre eigenen Gärtchen pflegten oder sich vorab um die eigene Wiederwahl kümmerten. Verloren hätten überdies jene Kräfte, die seit jeher staatstragend waren. Selbstverständlich habe die Politik damals Rücksicht auf Industrie und Gewerbe genommen, weil sie wusste, dass hier das Rückgrat der Volkswirtschaft und der Stadt ist. Gewerbe aus der Politik und der Stadt verdrängt Inzwischen seien viele Bürgerliche träge oder frustriert, das ist für Schiesser umso beunruhigender, als in Basel inzwischen auch die chemische Industrie ihre Verbindung zur Stadt gekappt hat und Rücksichten allenfalls noch international nimmt. Überdies hätten das härtere politische Klima und die immer grössere Belastung der KMU dazu geführt, dass das Gewerbe aus der Politik und aus der Stadt verdrängt werde. Ein KMU-Vertreter, der tagtäglich um seine Weiterexistenz in der Stadt kämpfen müsse, könne den Zusatzaufwand für ein politisches Engagement in der Regel gar nicht mehr leisten, erläutert Schiesser: «Ich bin da inzwischen eine richtige Minderheit.» Das geringe Gewicht der Kräfte, welche in der Stadt und mit der Stadt leben und arbeiten, kann nicht folgenlos bleiben. So war der Bau von Parkhäusern rund ums komplexe Stadtzentrum jahrelang ausgesetzt. Doch statt kurzfristig flexible Lösungen zu suchen und längerfristig den öffentlichen Verkehr mit einem Ring von Parkhäusern abzurunden, folgt Basel radikalen politischen Flügeln: Autos raus aus der Stadt, Parkplätze bis zur Schmerzgrenze verteuern – und Ladenöffnungszeiten beschränken. «Unsere Positionen werden oft nicht verstanden», erklärt Schiesser. Allerdings habe die Stadtbevölkerung gegenüber den Agglomerationen an der Urne eben auch keine politische Mehrheit. Die Folge ist eine Teufelsspirale, in der die Stadt zunehmend zur leblosen Kulisse wird – und wer in diese Kulisse zügelt, will oft seine Ruhe haben. Damit ist Basel nicht allein. Aber in Basel, Grenzstadt und Inbegriff einer lebendigen Stadt mit Messe- und Fasnachtsbetrieb, ist die Verarmung besonders augenfällig. Klagen auf hohem Niveau Zeichen der Hoffnung gibt es zurzeit wenige: Dank dem politischen Einsatz von Stephan Schiesser und dem Basler Gewerbe, das mit Gastropräsident Maurus Ebneter eine weitere starke Stimme hat, gibt es zwar Widerstand gegen ein radikales Parkregime oder Engagement für eine moderate Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, damit die Stadt am Abend länger lebt. Aber weil es das städtische Gewerbe an der Urne schwer hat, ist die Teufelsspirale noch nicht durchbrochen – längere Ladenöffnungszeiten wollte das Stimmvolk letzthin jedenfalls nicht. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen klage man in Basel und der ganzen Schweiz aber auf hohem Niveau, stellt Schiesser klar. Und früher oder später würden die Menschen auch den Wert lebendiger Städte und massvoller Genüsse wieder höher gewichten: «Ich bin zuversichtlich.» Das gilt schliesslich auch für den Betrieb. Schiessers junge Frau leitet ihn bereits, und da sind nicht zuletzt zwei kleine Kinder, die dereinst die Familientradition weitertragen könnten.