Gastronomie

Das grosse Warten auf den Bundesrat: Und gut 100 000 Arbeitsplätze sind gefährdet

Reto E. Wild – 12. Januar 2021
Der Branche geht es schlecht, sehr schlecht. Das zeigt eine aktuelle Umfrage von GastroSuisse: 98 Prozent aller Betriebe benötigen dringend finanzielle Hilfe. Morgen entscheidet der Bundesrat, ob und wie schnell diese ausgesprochen wird.

In einer Online-Umfrage fühlte GastroSuisse vom 4. bis 6. Januar 2021 den Puls seiner Mitglieder. Über 4000 Betriebe haben sich beteiligt. Das Ergebnis ist brutal: Nach einer ersten Kündigungswelle im Frühling 2020, als Folge des ersten vom Bundesrat verordneten Lockdowns, folgte im Gastgewerbe im November und Dezember 2020 eine zweite Kündigungswelle. Fast 60 Prozent aller Betriebe, die während des Jahres einen Stellenabbau ausgesprochen haben, mussten Ende Jahr erneut Mitarbeiter entlassen.

50 Prozent Konkurs bis Ende März?

Casimir Platzer, Präsident von Gastro Suisse, schlägt deshalb mit Bezug auf die neusten Umfrageergebnisse Alarm: «Wenn der Bund jetzt nicht handelt, steht in der Branche eine dritte Kündigungswelle an.» Bereits im Oktober 2020 hat der Verband davor gewarnt, dass schweizweit 100 000 Arbeitsplätze gefährdet seien. Die Situation hat sich in den letzten Monaten und insbesondere nach dem Entscheid, die Restaurants wiederum zu schliessen, weiter verschärft.

Fast die Hälfte aller Betriebe wird laut Umfrage bis Ende März 2021 Konkurs anmelden, wenn sie nicht sofort finanzielle Entschädigungen erhalten. Vor der Krise hatten über 80 Prozent der Betriebe eine gute bis sehr gute Liquidität. Die Umfrage hat auch ergeben, dass 98 Prozent dringend finanzielle Hilfe benötigen. «Sieben von zehn Betrieben haben ein Gesuch für finanzielle Hilfe eingereicht oder werden dies sicher tun», informiert Platzer.

Esther Friedli will Öffnung bis 22 Uhr

SVP-Nationalrätin und Gastronomin Esther Friedli, ebenfalls Mitglied von GastroSuisse, ärgert sich: «Es kann nicht sein, dass der Bundesrat weiterhin die Pandemie quasi auf dem Buckel der Gastronomie austrägt und wir völlig unverschuldet nun die Leidtragenden sind. Wir haben letzten Frühling nach der Eröffnung sofort sehr weitreichende Schutzkonzepte umgesetzt und dafür auch viel investiert.

Der Bundesrat ist betreffend Ansteckungen auch nach zehn Monaten Pandemie völlig im Blindflug.» Dabei sage er, so Friedli, dass es nur sehr wenige Ansteckungen in den Restaurants gebe. Nun ist die Gastronomie zum zweiten Mal innerhalb von 12 Monaten für längere Zeit geschlossen. «Das ist ein unglaublicher Eingriff in das freie Unternehmertum.» Sie setze sich als Politikerin dafür ein, dass die Betriebe so rasch wie möglich wieder öffnen dürfen. «Und zwar mindestens bis 22 Uhr. Diese 19-Uhr-Sperrstunde-Regel lehne ich vehement ab. Wir wollen arbeiten. Werden Betriebe länger geschlossen, wird der Staat ersatzpflichtig.» Friedli betont genauso, dass es jetzt eine sehr rasche Lösung brauche.

«Lassen Sie uns nicht im Stich»

Leider erst nach Redaktionsschluss entscheidet der Bundesrat, ob diese finanzielle Hilfe kommt oder ob er es verantworten will, dass Tausende Angestellte ihren Job verlieren und unzählige KMU Konkurs gehen. «Nur mit einer unkomplizierten finanziellen Entschädigung kann ein flächendeckender Kahlschlag im Gastgewerbe verhindert werden», warnt Platzer. In einem offenen Brief, der am 12. Januar 2021 in diversen Medien in der Deutsch- und Westschweiz sowie im Tessin als Inserat publiziert wurde, appelliert der Vorstand von GastroSuisse an den Bundesrat, für den Schaden aufzukommen, den er mit seinen Massnahmen angerichtet hat. «Das Unverständnis und die Wut in der Branche sind unerträglich gross. Lassen Sie uns nicht im Stich!», heisst es darin, was an ein Versprechen der damaligen Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga erinnert.

Wenn drei Monatslöhne fehlen

Den Auftakt der offenen Briefe machte das Zürcher Gastrounternehmen Bindel­la vor zehn Tagen mit ganzseitigen Inseraten in der Sonntagspresse. Die beiden Firmenchefs Rudi Bindella senior und Rudi Bindella junior beanstanden, dass die Gastronomie innerhalb eines Jahres dreimal behördlich geschlossen wurde. «Wie würde es Ihnen gehen, wenn Ihnen innert so kurzer Zeit drei Monatslöhne fehlten?», heisst es darin. «Rund 250 000 Beschäftigte in 25 000 Betrieben sind betroffen, mit einem Umsatzausfall von rund zehn Milliarden Franken. Das sind 35 bis 40 Prozent des Vorjahresumsatzes.» Und vergangenes Wochenende doppelten – ebenfalls in der Sonntagspresse – eine Reihe von Zürcher Gastronomen mit einem weiteren offenen Brief an den Bundesrat nach. Unterschrieben haben diesen unter anderem Bindella, Segmüller Collection, Gammacatering, Candrian, Sprüngli, The Living Circle, Wiesner Gastronomie, Kramer, Péclard, Franzoli, die Neue Taverne sowie die Kronenhalle.

«Wir scheinen ein Bauernopfer zu sein. Dies empfinden wir als äusserst stossend und unfair», steht in diesem Brief. Und weiter: «Arbeiten Sie parteiübergreifend zusammen, springen Sie über Ihren Schatten und erarbeiten Sie Soforthilfen für uns und selbstverständlich alle weiteren betroffenen Branchen.» In einem Newsletter warnt auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) vor einer «grossen Pleitewelle». In Deutschland sind die Betriebe bereits seit nunmehr zehn Wochen geschlossen. Trotzdem erreichten dort die Infektionszahlen am 31. Dezember 2020 und am 8. Januar 2021 neue Rekordwerte, während die Zahlen in der Schweiz seit Mitte November rückläufig sind. Das zeigt, wie wenig Restaurantschliessungen wirklich nützen. Doch Gesundheitsminister Alain Berset fordert uneinsichtig noch strengere Massnahmen. Dieses Mal begründet er dies mit dem mutierten Virus.