Gastronomie

Bio als schlechtes Beispiel

Gilles Meystre – 25. Oktober 2017
Ein Essay von Gilles Meystre, Kantonalpräsident von GastroVaud, über die unzähligen Gütesiegel in der Lebensmittel-Branche.

Das Gütesiegel «Fait Maison» (hausgemacht) stiess bereits kurz nach seiner Lancierung bei den Gastronomen in der Westschweiz auf grosses Interesse. Dieser Erfolg sowie die Ziele, die das Label ­verfolgt, machen deutlich, dass Transparenz in unseren Küchen immer wichtiger wird. Doch genau deswegen sollte man eine Vervielfachung gleicher Projekte ohne ­gemeinsame Absprache vermeiden. Die Fülle an Lebensmittel-Labels, insbesondere Bio- und Regio-­Labels, zeigt nämlich auf, dass ein Überfluss der Transparenz schadet. Ein Überblick. Kurz nach Einführung zählt das Label «Fait Maison» bereits zahlreiche Mitglieder. Die Initianten rechneten bis Ende 2017 mit 60 Anmeldungen; Mitte Oktober haben sich bereits über 160 Gastronomen ­eingeschrieben! Dieser Erfolg kommt nicht von ungefähr. Zuerst muss gesagt sein, dass dieses Label schon lange erwartet wurde. Zudem ist das Gütesiegel das Resultat einer breiten Allianz (GastroSuisse, Westschweizer Konsumentenorganisation FRC, Schweizer Genuss­woche und Slow Food), und es geniesst die Unterstützung der Branche. Das ­Label basiert auf einem positiven und freiwilligen Vorhaben, das Gastronomen ins Rampenlicht rückt, die ihr Können mit Leidenschaft und Stolz ausüben. Im Mittelpunkt stehen also Fachleute und nicht die schwarzen Schafe (auf die bereits die Medien gerne zeigen).

«Hinter Labels stecken mehr oder weniger überzeugende Absichten.»
Kurz ­gesagt ist das Label aus kulinarischer Sicht eine Premiere und darf weder mit Restaurantführern (Michelin und Gault&Millau), noch mit gewissen Bewegungen wie Slow Food verwechselt werden: Der ­freiwillige Beitritt und die Anforderungen nach Transparenz und Kontrolle machen die Spezifität des Labels «Fait Maison» aus. Angesichts der Entwicklung bei den Lebensmittel-Labels ist auch im kulinarischen Bereich mit Nachahmern zu rechnen. Eine von der Westschweizer Konsumenten­organisation im Jahr 2015 publizierte Studie zählt nicht weniger als 65 sich konkurrierende Lebensmittel-Labels. Von Knospe Bio und Coop Naturaplan über Migros Bio, Max Havelaar, IP-Suisse, Naturkraft (Coop), Natur Suisse Bio (Aldi) bis hin zu Biotrend (Lidl) herrscht ­heute ein Überangebot. Derart gross ist der Überfluss, dass eine Internet-Applikation für den Konsumenten nötig ist, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Was die Herkunft der Lebensmittel betrifft, sieht es nicht besser aus. Seien es nun Labels wie «Meine Region» bei Coop und «Aus der ­Region» bei Migros oder Zertifizierungen wie AOP, AOC und IGP; an Auswahl fehlt es auch hier nicht. Dafür umso mehr an Transparenz! Hinter jedem Label verstecken sich unterschiedliche Anforderungen. Und jedes dieser Label zeichnet sich durch mehr oder weniger überzeugende Bestrebungen aus. ­ Der Label-Wildwuchs bei den grossen Detailhändlern soll der Gastronomie als Vorbild dienen. Ein Vorbild, dem auf keinen Fall zu folgen ist! Sind Gütesiegel in der Branche noch Zukunftsmusik? Nicht wirklich! Denn verschiedene entsprechende Initiativen köcheln bereits hier und da vor sich hin.
«Es ist im Interesse unserer Branche, ihre Konditionen festzulegen.»
Einige Kantone kennzeichnen heute bereits Restaurants, die kantonsspezifische kulinarische Spezialitäten anbieten. Indem sie Traditionen aufleben lassen, stärken sie ihre Visibilität. «Ticino a Tavola» ­beispielsweise wird von GastroTicino unterstützt und setzt voraus, dass die Gastronomen mindestens ein Gericht oder ein Menü auf der Speisekarte führen, das ausschliesslich aus Produkten aus dem Tessin besteht. Anderer Kanton, andere Anforderungen: «Terroir Fribourg» (Vereinigung zur Förderung von ­Produkten aus dem Freiburgerland) präsentiert in Zusammenarbeit mit GastroFribourg eine Liste von ­Restaurants, die fünf traditionelle Gerichte, einen Käseteller und zwei Desserts mit Freiburger Produkten anbieten. Die beiden Vorgehensweisen verfolgen dasselbe Ziel, stellen jedoch völlig unterschiedliche ­Anforderungen.
«Anstatt vieler Labels ist die Förderung eines einzigen anzustreben.»
Anderen Kantonen schweben ähnliche Projekte vor. Was können sie von ihren Nachbarn lernen? Welche minimalen Anforderungen stellen sie den Gastronomen? Soll es nur eine Spezialität sein oder deren fünf? Ein gemeinsames Konzept drängt sich auf. Bei der Ausarbeitung dieser zukünftigen kantonalen Labels tun Autoritäten, die Landwirtschaft und die Restauration gut daran, das Rad nicht neu erfinden zu wollen. Und im Vorfeld ist es im Interesse unserer Branche, ihre Konditionen festzulegen! Die zunehmende Bedeutung der Lebensmittelindustrie im Gastronomie- und Lebensmittelbereich gefährdet eindeutig das Handwerk und die Existenz zahlreicher Gastronomen. Im Zuge der Lancierung des Labels «Fait Maison» intervenierten Parlamentarier auf Bundes- und Kantonsebene, um ihre Besorgnis kundzutun und um für eine Aufwertung des Berufsstandes einzutreten. Dieses Vorgehen lässt die Entstehung neuer, mehr oder weniger ähnlicher Labels für andere Berufszweige (Bäcker, Metzger, usw.) vermuten. Eine gemeinsame Absprache drängt sich auch hier auf. Anstatt einer Vielzahl parallel laufender Labels, eigens für jede Berufsgruppe, ist die Förderung eines einzigen «Fait Maison»-­Labels anzustreben. So setzen die Geschmackskünstler ein gemeinsames, klares und starkes Zeichen gegenüber der industriellen Herausforderung. Und noch besser: Dies ermöglicht ein Zusammenlegen der finanziellen Ressourcen (Projektleitung, Kontrollen, Kommunikation), was schliesslich engagierten Berufsgruppen und Unternehmen mit Gütesiegeln zugutekommt. Auf finanzieller Ebene zeigt sich schliesslich der Erfolg oder das Misslingen künftiger Labels sowie das Überleben bereits bestehender Gütesiegel. Werden die Labels multipliziert, multiplizieren sich gleichzeitig auch die Beitragsleistungen und die auferlegten Bedingungen für die Gastronomen, deren Mittel limitiert sind. Kurz gesagt werden so nicht nur existierende Vorhaben geschwächt, sondern auch zukünftige Labels ausgebremst! Kommt also ein Dialog zwischen Initiatoren von Labels wie zum Beispiel «Quality» (Tourismus), «Fait Maison», «Fourchette verte», «ChicKids» oder «Ecocook» zustande? Ist eine kollektive, auf sich abgestimmte Vorgehensweise bei der Festlegung von Beitragsleistungen und Kontrollen – zwei entscheidende Faktoren für einen Beitritt – vorstellbar?
«Kommt ein Dialog zwischen den Initianten der Labels zustande?»
Um zu verhindern, dass man im Label-Dschungel den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, ist ein gemeinsames Vorgehen nicht nur wünschenswert, sondern unsere Verantwortung www.frc.ch/labels-alimentaires-evalues www.labelinfo.ch  Gilles Gilles Meystre Gilles Meystre hat einen Universitätsabschluss sowie ein Nachdiplom des Hochschulinstituts für öffentliche Verwaltung (IDHEAP). Seit 2015 ­amtet er als Präsident von GastroVaud. Zudem ist er Vorstandsmitglied von GastroSuisse und in einer Vielzahl weiterer Organisationen aktiv: unter anderem für das Tourismus-Amt des Kantons Waadt und Vaud Oenotourisme.