Gastronomie

Berufslehren bilden besser

Peter Grunder – 01. Februar 2019
Der nationale Bildungsbericht stellt dem Schweizer Aus- und Weiterbildungswesen insgesamt ein hervor­ragendes Zeugnis aus. Unter anderem zeigt sich ein ­Zusammenhang zwischen ­Erfolgen bei Berufslehren und Erfolgen in der Arbeitswelt – ein Verdienst auch des Gastgewerbes.

Seit der Finanzkrise habe die hiesige berufliche Grundbildung «international stark an Beachtung gewonnen», hält der nationale Bildungsbericht im entsprechenden Kapitel einleitend fest. Zwar kennt man Lehren nur in wenigen Ländern – ­weltweit praktizieren ganze 18 Staaten die betrieblich basierte Berufsbildung. Aber die gute und stabile wirtschaftliche Lage in Volkswirtschaften mit Berufslehren interessieren weit­um – in den letzten Jahren haben sich im Schnitt zweimal pro Monat internationale Delegationen hier über das Schweizer Berufsbildungssystem informiert. «Das starke internationale Interesse an der dualen Berufsbildung fusst einerseits auf den tiefen Jugendarbeitslosigkeitsraten in den Ländern mit dualen Berufsbildungsystemen, und andererseits auf der Möglichkeit der öffentlichen Hand, durch die Einbindung der Wirtschaft in die Finanzierung den Staat fiskalisch zu entlasten», weiss der Bericht. Referenzwerk zum Schweizer Bildungswesen Der Bildungsbericht, der nach 2010 und 2014 zum dritten Mal erschienen ist, wird vom Bund und den Kantonen gemeinsam herausgegeben. Er erscheint in ähnlicher Form auch in anderen Ländern und gilt als Referenzwerk zum Bildungswesen. Von der obligatorischen Schule bis zur Weiterbildung fassen die gut 300 Seiten des Berichtes detailliert das aktuelle Wissen über das Bildungswesen Schweiz und dessen Leistungsfähigkeit zusammen. Aus gastgewerblicher Sicht und aus der Warte der Wirtschaft überhaupt mag man den Bildungsbericht nun als ­Angelegenheit für Bildungsexperten sehen. Indes hat der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) seinen letzten «Arbeitgebertag» hauptsächlich dem Thema gewidmet, und SAV-Präsident Valentin Vogt bezeichnete dabei «die Berufsbildung als Aushängeschild der Schweiz». Überdies verdeutlichen zentrale Erkenntnisse aus dem Bericht die tragende Bedeutung der Berufsbildung und damit des Gewerbes – und in diesem Rahmen ist das Gastgewerbe besonders angesprochen. Dies weil es einerseits berufliche Grundbildungen aller Qualifikationsstufen sowie umfassende Weiterbildungen anbietet, wie Daniel C. Jung, stellvertretender Direktor und Ausbildungschef von GastroSuisse, im Interview erläutert (siehe weiter unten). Andererseits nennt der Bildungsbericht aber auch Migration und Integration als eine der zentralen Herausforderungen zurzeit – und auch hier bietet das Gastgewerbe Möglichkeiten und leistet wegweisende und erfolgreiche Arbeit. Erkenntnisse aus gastgewerblicher Sicht Letztlich unterstreicht der Bildungsbericht, dass die Schweiz mit ihrer doppelten, immer wieder durchlässigen Schiene von beruflicher und akademischer Ausbildung ein Erfolgsmodell ist. Aus gewerblicher Sicht haben dabei etwa folgende Entwicklungen besonderes Gewicht:

  • Immer mehr unbesetzten Lehrstellen stehen immer weniger Jugendliche gegenüber, die an einer Lehre interessiert sind: Hatten 2008 noch rund 80 000 Jugendliche Interesse an einer Lehre, sind es inzwischen noch gut 60 000. Die Zahl der Lehrstellen geht dabei zwar zurück, aber der Überhang offener Lehrstellen steigt trotzdem: Mehr als jede zehnte offene Lehrstelle bleibt derzeit unbesetzt, eine Verdoppelung seit 2008. Gleichzeitig fühlen sich Jugendliche in einer Lehre jedoch besonders wohl: Über 70 Prozent bezeichnen sich als «sehr zufrieden», an Maturitätsschulen sind es weniger als 60 Prozent.
  • Der Bildungsbericht bilanziert ein «stetiges Wachstum bei den zweijährigen Grundbildungen mit Berufsattest (EBA)». So gibt es mittlerweile rund 60 entsprechende Berufsfelder, und fast 10 Prozent der Lehrverträge betreffen EBA. Dabei beurteilen die EBA-Lernenden ihre Situation laut Bildungsbericht als positiv. Drei Jahre nach Lehrabschluss herrsche eine «vergleichbar gute Erwerbssituation», 90 Prozent der EBA sind demnach «in einer Festanstellung».
  • Kantone mit viel Erfolg bei Lehrabschlüssen wie Appenzell Innerrhoden oder Nidwalden haben relativ wenig Nachwuchs, der den akademischen Weg wählt – die Maturitätsquoten sind hier tief. Umgekehrt fallen Kantone mit hohen Maturitätsquoten wie das Tessin oder Genf durch tiefe Erfolgsquoten bei Lehrabschlüssen auf. Laut Stefan C. Wolter, bestandener Projektleiter des Bildungsberichtes, gibt es hier einen «kausalen Bezug».
Wenig Weiterbildung Trotz grosser Bemühungen schneidet das Gastgewerbe diesbezüglich nicht gut ab. Das Gastgewerbe gehört zwar zu den Branchen, in der ständige Weiterbildung unverzichtbar ist: Die Entwicklung der Küchentechnik, der Lebensmittel oder des Konsumverhaltens steht niemals still. Die Weiterbildungsangebote von GastroSuisse und ihrer Kantonalverbände sind entsprechend reichhaltig, und sie sind am Puls der Zeit, wie sich zuletzt etwa beim Wassersommelier oder der Überarbeitung des Qualitätsgütesiegels gezeigt hat. Der Notwendigkeit von Weiterbildung und der Vielfalt entsprechender Angebote im Gastgewerbe steht jedoch eine niedrige Teilnahmequote gegenüber: Laut Bildungsbericht gehört das Gastgewerbe zusammen mit dem Baugewerbe zu den Branchen mit der geringsten Weiterbildungsaktivität. Im Vergleich mit Beschäftigten in der Industrie ist die Wahrscheinlichkeit, an Weiterbildungen teilzunehmen, im Gastgewerbe fast 40 Prozent geringer – und mit Blick auf die beiden weiterbildungsfreundlichsten Branchen Gesundheits- und Sozialwesen sowie Bildung ist die Wahrscheinlichkeit gegenüber dem Gastgewerbe gar etwa fünfmal grösser, dass sich Mitarbeitende weiterbilden. Zeit und Marge fehlen Die gehemmte Weiterbildungsaktivität könne «nicht mit dem durchschnittlich tieferen Qualifikationsstand allein erklärt werden», hält der Bildungsbericht dazu fest. Der betriebliche Alltag hüben und drüben legt indes andere Gründe nahe: Im Gast- wie auch im Baugewerbe fehlen meist Margen und Zeit für Weiterbildung auf breiter Front. Im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich hingegen, die weitgehend über Abgaben finanziert werden, ist systematische Weiterbildung oft ein Finanzierungskriterium – und mithin bezahlte Pflicht. Das Gastgewerbe taugt also nicht als Sündenbock, zumal der Bildungsbericht hinsichtlich mangelnder Weiterbildungsaktivität auch noch in ganz andere Richtungen zeigt: In den Grossräumen um Basel, Bern, Zürich und Luzern bilden sich die Menschen öfters weiter als in der Ostschweiz (~5%), ganz zu schweigen von der Westschweiz (~15%) und dem Tessin (~35%). Auch hier liegt eine Ursache freilich nahe: Im Tessin und am Genfersee gibt es viel Arbeit in renditeschwachen Branchen, die oft von Grenzgängern geleistet wird. Schwächer ist das Phänomen denn auch in der Ostschweiz, und Basel bildet mit seiner Chemie eine renditestarke und weiterbildungsfreudige Ausnahme. Statistisches Die jährlich vom Bundesamt für Statistik erstellte «Statistik der beruflichen Grundbildung» weist unter anderem den Gesamtbestand und die Anzahl der neu abgeschlossenen Lehrverträge aus. Weil die Erfassung Zeit braucht, hinkt die Bilanz sogar der beruflichen Entwicklung im Gastgewerbe hinterher: Seit 2017 werden Hotelkommunikationsfachleute ausgebildet: 109 Lehrstellen sind hier besetzt. 2016 wiederum waren insgesamt 8009 Lernende im Gastgewerbe tätig. Im Vergleich zum Vorjahr waren dies 3,1 % weniger. In den letzten sechs Jahren nahm der Gesamtbestand gar um 18,1 % ab. Die Anzahl der Lernenden nimmt indes in allen Branchen ab, aber im Gastgewerbe sinken die Lernendenzahlen schneller. Neun von zehn Lernenden haben sich für eine EFZ-Ausbildung entschieden, einer von zehn für eine EBA-Ausbildung. Über die Hälfte der gastgewerblichen Lehrstellen wird von angehenden Köchinnen und Köchen besetzt (4493). Jedoch wurden auch in diesem Berufsfeld 124 Lehrverträge weniger als im vorangegangenen Jahr abgeschlossen (–7,1 %). Die Lehre als Restaurationsfachfrau/-mann haben 566 Auszubildende angetreten (–3,9 %). Der Gesamtbestand reduzierte sich um 4,4 %. Eine weitere Abnahme des Bestandes war bei der Ausbildung zur/zum Hotelfachfrau/-mann festzustellen (–1,9 %). Einen Zuwachs hingegen gab es bei der Ausbildung zur/m Systemgastronomiefachfrau/-mann EFZ – das entsprechende Berufsbild stammt freilich erst von 2013. Hier wurden 62 neue Lehrverträge abgeschlossen (+6,9 %), der Gesamtbestand nahm um 9 Lernende zu (+5,7 %). Eine weitere Zunahme um 8 Personen gab es bei Hotellerieangestellten. Insgesamt liessen sich 56 Personen für diesen Beruf ausbilden. Ebenfalls eine Zunahme war bei den Restaurationsangestellten zu verzeichnen. Hier kam es zu 147 neu abgeschlossenen Lehrverträgen (+14.8 %), womit ein Gesamtbestand von 249 Lernenden erreicht wurde. Unter den EBA-Berufen war der Grossteil der Auszubildende Küchenangestellte (610). Diese Ausbildung traten 364 neue Lernende im Jahr 2016 an (+7,1 %).

Das Gastgewerbe ist gut aufgestellt

Daniel C. Jung ist hinsichtlich Berufsbildung in der Schweiz eine Referenz. Als stellvertretender Direktor von Gastro­Suisse leitet er unter anderem seit Jahrzehnten den Bereich Aus- und Weiterbildung. GastroJournal hat ihn nach dem nationalen Bildungsbericht gefragt. Herr Jung, wie beurteilen Sie den nationalen Bildungsbericht? Daniel C. Jung: Der dritte und alle vier Jahre erscheinende Bildungsbericht ist eine Bestandesaufnahme mit Wirkungsmessungen. Ein Beispiel: Zufolge der in der beruflichen Grundbildung durch­geführten Kosten-Nutzen-Erhebungen übersteigt im Durchschnitt der produktive Arbeitsbeitrag von Lernenden die Kosten für Ausbildung, Material und Lehrlingslohn am Ende der Lehre. Das Ergebnis in der Schweiz ist somit ein Nettonutzen. Dies im Gegensatz zu vergleichbaren Lehrbetrieben in Österreich und Deutschland, wo Nettokosten resultieren. Positiv für die Schweiz und unsere Lehrbetriebe. Der Bericht weist auch ­darauf hin, dass die höhere Berufsbildung im Gegensatz zur fortschreitenden Tertiärbildung der Schweizer Bevölkerung stagniert und somit an Bedeutung verliert. Gerade das Gastgewerbe ist auf höher qualifizierte Berufsleute mit Hotelfachschul-Abschluss, Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen dringend angewiesen. Schliesslich ist für uns Bildungsexperten der Bericht durchaus interessant. Allerdings denke ich, dass er für breitere Kreise nur bedingt spannend ist.
Jung Dany GJ05 Daniel C. Jung: "Die im Leitbild des Bundes «Berufsbildung 2030» enthaltenen Stossrichtungen sind in unserer Branche weitgehend umgesetzt."
Wie ist das Gastgewerbe hinsichtlich Aus- und Weiterbildung aufgestellt? Die Branche wies stets einen verhältnismässig hohen Anteil an Quereinsteigern auf. Dies auf der untersten Ebene der Hilfskräfte bis zur obersten mit selbstständigen Restaurateuren oder Hoteliers. Nicht von ungefähr spricht der Volksmund von «Tellerwäscherkarrieren». Zufolge bietet die Gastronomie und Hotellerie in der Schweiz schon seit vielen Jahren nicht nur eine vielfältige Auswahl an beruflichen Grundbildungen – neun Berufslehren, teilweise sogar modular – an, sondern auch ein mehrstufiges Angebot an Aus- und Weiterbildungen für Erwachsene. Beispielsweise die G1, G2 und G3 im Rahmen der Gastro-Unternehmerausbildung von GastroSuisse, welche bisherige Lern- und Praxisleistungen berücksichtigen und von unten nach oben durchlässig sind. Die im Leitbild des Bundes «Berufsbildung 2030» enthaltenen Stossrichtungen wie «Ausrichtung auf lebenslanges Lernen» und «Flexibilisierung der Bildungsangebote» sind in unserer Branche weitgehend umgesetzt. Inwiefern sehen Sie in der Branche Handlungsbedarf, inwiefern in der Politik? Aufgrund der Grösse und Vielfalt der Branche hat sich im Laufe der letzten Jahre ein sehr breites Angebot an Bildungsmöglichkeiten auf allen Ebenen entwickelt. Dies ist sehr zu begrüssen. Was die eidgenössischen Abschlüsse betrifft, gilt es mit Blick auf zukünftige Entwicklungen, Revisionen und Ressourcen die Palette eher zu schmälern und zu fokussieren. Ein oft schmerzhafter Prozess für Ehemalige, wenn deren Abschluss und Titel in Frage gestellt wird, aus meiner Sicht indes unumgänglich. In der Politik wird das Leitbild «Berufsbildung 2030» zahlreiche Projekte auslösen. Für mich stellt sich insbesondere die Frage nach der Positionierung der höheren Berufsbildung, damit diese auch in Zukunft – sowohl national als auch international – wettbewerbsfähig bleibt.