«Bei uns scheppert es in der Aromatik»

Reto E. Wild – 25. Januar 2024
Das Hotel Einstein in St. Gallen, in dem Executive Chef Sebastian Zier und Küchenchef Richard Schmidtkonz ein erfolgreiches Gespann bilden, zählt zu den wichtigsten Gourmetadressen der Ostschweiz. Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Wie reagieren sie auf die steigenden Preise, und was hecken der Schwarzwälder und der Franke für 2024 aus? Neu: ein Quick Dinner!

Sebastian Zier, Richard Schmidtkonz, am 17. Januar 2024 war das Einstein Gourmet zum ersten Mal nach den Feier­tagen wieder geöffnet. Wie haben Sie die Freitage verbracht?
Sebastian Zier: Ich bin in der Region geblieben. Mit einer sechsmonatigen Tochter und einem dreijährigen Junior ergibt es keinen Sinn, gross wegzufahren. Wir waren schlitteln auf der Chäserrugg SG und unternahmen Tagesausflüge.
Richard Schmidtkonz: Und ich war zwei Wochen bei der Familie in der Nähe von Nürnberg und habe mich entspannt.

Sie beide arbeiten im Einstein Gourmet seit Oktober 2020 zusammen. Wie erfolgt die Abstimmung untereinander?
Sebastian Zier: Ja, im Oktober 2020 ist Richie Küchenchef geworden. Aber wir arbeiten genau genommen seit unserer gemeinsamen Zeit im Gourmetrestaurant La Mer im Hotel A-Rosa auf Sylt zusammen. Das sind insgesamt rund zehn Jahre. Wenn man im Schnitt 12 bis 13 Stunden pro Tag arbeitet, entsprechen die gemeinsamen Arbeitsstunden fast schon einer zweiten Ehe. Er kennt mich fast so gut wie meine Frau. Klar, rappelt es auch mal. Aber wir verstehen uns sehr gut – und blind.
Richard Schmidtkonz: Wir beide haben unsere Stärken und Schwächen und müssen uns nicht gross absprechen. Jeder weiss, was er tut, und kennt unser Haus sehr gut, was auch dem Hotel viel bringt.
Sebastian Zier: Im Kongressbereich arbeiten inzwischen zwei Freunde von mir aus der Sylter Zeit in der Küche. Das Einstein hat in den letzten Jahren gastronomisch sehr viel Potenzial gekriegt. Unser Zweitrestaurant, das Bistro St. Gallen, ist für mich eines der besten Restaurants in der Stadt. Das Haus profitiert von unserem vereinten Wissen.

Zu den Stärken und Schwächen: Welche sind dies?
Sebastian Zier: Richard ist im Bereich Computer deutlich stärker als ich. Ich sitze nicht so gerne vor den Dingern und kümmere mich dafür um die Personalplanung. Richard ist bei den Gerichten unglaublich kreativ. Ich bin beim Anrichten eher der klassische Typ und ruhig unterwegs, was mit dem Alter kommt. Als ich 30 war, war ich ein Hansdampf in allen Gassen.

Was bringt Ihre Kreativität zum Blühen?
Richard Schmidtkonz: Das sind unterschiedliche Quellen. Das kann bei Freunden sein, die etwas kochen, was geschmacklich und in der Kombination super funktioniert. Danach versuche ich, das auf meine eigene Art umzusetzen.
Sebastian Zier: Seit 20 Jahren koche ich gerne kräftig und klassisch. Durch Richard bekommen klassische Gerichte eine moderne Interpretation.

Wie weit involvieren Sie das Team in die Gestaltung des Menüs?
Sebastian Zier: Wir geben die Ideen vor, besprechen diese im Team und kochen die Gerichte nachher zur Probe. Jeder kann sich einbringen. Es ist nicht mehr so wie vor 20 Jahren, als keiner etwas sagen durfte.
Richard Schmidtkonz: Beim Probekochen klärt es sich, ob das, was wir uns im Kopf vorgestellt haben, tatsächlich funktioniert. Manchmal geht das schneller, manchmal langsamer.
Sebastian Zier: Richard ist für mich eine wunderbare Ergänzung. Zehn Jahre gemeinsames Arbeiten ist in dieser Branche ein unglaublich weiter Weg.

Sie sagen, dass eine Quelle der Inspiration Freunde sein können. Gibt es dazu ein konkretes Beispiel?
Richard Schmidtkonz: Wir waren als Team bei unserem Kaffeeröster in St. Gallen. Er hat uns zum Grillieren eingeladen. Es gab Schweinebacken Szechuan mit frittierten Auberginen, Papaya und Lauch, alles in einem Topf über dem Grill. Danach probierten wir die Kombinationen in der Küche aus.

Szechuan und Papaya hören sich nicht nach Regionalität an.
Sebastian Zier: Wir sind nicht das Regionalitätsrestaurant. Wir kaufen aber unsere Produkte gerne in der Region, etwa Enten aus Walzenhausen AR. Bei uns steht das Produkt an erster Stelle. Wenn es ein besseres gibt, das 200 Kilometer entfernt ist, hat dieses Priorität. Wir sind nun mal Produktefetischisten und wollen beispielsweise das beste Fleisch oder den besten Fisch, den wir manchmal auch aus Portugal oder Spanien kaufen.
Richard Schmidtkonz: Der ist am Tag zuvor noch geschwommen, geht um 16 Uhr auf die Auktion, ist um 20 Uhr am Flughafen und kommt am nächsten Tag frisch bei uns an.

Wessen Handschrift tragen denn nun die Gerichte im Einstein Gourmet?
Sebastian Zier: Wir haben nach den vielen Jahren der Zusammenarbeit unsere gemeinsame Linie entwickelt. Es würde nicht funktionieren, wenn einer sich nur ganz und gar an die Klassik halten würde. So gesehen sehen Sie in unserem Menü eine Fusionsküche mit der Handschrift von Richard und Sebastian. Dazu ein Beispiel: Unser Amuse-Bouche ist seit Jahren ein Klassiker, der sich St. Galler Rose nennt. Diesen richten wir immer wieder mit anderen Geschmackskomponenten an, aktuell mit Randen und Meerrettich, dazu mit Schweinebauch und Dill.

Lässt sich Ihre Richard-Sebastian-Fusionsküche als «traditionell mit modernem Touch» beschreiben?
Sebastian Zier: Oder «Innovation durch Tradition». Unsere Basis ist die klassische französische Küche – der Geschmack, die Saucen, die Ansätze. Für die Saucen verwenden wir Kalbsschwanz und keine Knochen. Wir sind auch Saucenfetischisten und mögen diese kräftig. So lässt sich auch unsere Küche beschreiben: Sie ist kräftig und selten lasch. Bei uns scheppert es geschmacklich und in der Aromatik.

Wie gehen Sie beim Planen konkret vor?
Richard Schmidtkonz: Manche Gerichte bleiben länger auf der Karte, andere ändern wir über Nacht. Und wir achten auf die Saisonalität: Bei Spargeln muss man anders planen als etwa bei Randen, die zeitlich nicht begrenzt sind.
Sebastian Zier: Wir wechseln nicht an einem bestimmten Zeitpunkt die ganze Karte. Je nach Jahreszeit kommen aber Pilze, Trüffel oder beispielsweise Rhabarber auf die Karte. Beim Kochen entstehen neue Kreationen. Oder einer kommt und sagt, wir kochen Steinbutt mit Rindermark. Dann geht es los.
Richard Schmidtkonz: Wir haben bereits Rhabarber mit Beurre blanc ausprobiert. Das funktioniert gut. Und wenn dieses Jahr die Rhabarbersaison startet, sind wir bereit.

Was sind derzeit die grössten Herausforderungen?
Richard Schmidtkonz: Personal zu finden, das möglichst langfristig bleibt.
Sebastian Zier: Wir haben ein starkes Service- und Küchenteam. Jeder ist für zwei Sterne gut. Und wir haben einen starken Souschef. Momentan haben wir personell riesiges Glück. Aber die Gastronomie ist schnelllebig. Was ist in fünf Jahren? Der Knackpunkt ist die Qualität der Ausbildung. Eine weitere Herausforderung ist die Gästebeständigkeit. Vermehrt müssen die Kunden sparen und können nicht mehr fünfmal pro Jahr auf dem Niveau eines Einstein Gourmet essen. Wir können uns nicht beschweren und haben viele Stammgäste. Vereinzelt merken jedoch auch wir, dass das Geld nicht mehr so locker sitzt. Am Freitag- und Samstagabend sind wir zu 95 Prozent ausgebucht. Aber mittwochs und donnerstags hätten wir gerne mehr Gäste. An solchen Tagen reisen beispielsweise Gäste aus Frankfurt nicht an; sie lassen es sich lieber am Wochenende gutgehen.

Wie packen Sie dieses Problem an?
Sebastian Zier: Wir haben für dieses Jahr ein «Quick Dinner» mit drei schnellen Gängen zum fairen Preis von 185 Franken eingeführt – inklusive Amuse-Bouches. Das ist nur mittwochs und donnerstags erhältlich und wird den Hotelgästen am Anreisetag empfohlen. Viele Gäste möchten nicht mehr vier Stunden bei einem Abendessen sitzen.

Wie gehen Sie mit den steigenden Kosten um?
Sebastian Zier: Unser Gourmetmenü gibt es für 295 Franken. Genau genommen sind das zehn verschiedene Gänge. Angesichts unserer Produktequalität müsste man mehr verlangen. Doch wir lassen den Preis bei diesem Betrag, obwohl seit Corona Alltagsprodukte wie Öl, Butter oder Rahm viel teurer geworden sind. Das gilt auch für die Kilopreise von Fisch oder Fleisch. Nur kann man das nicht 1:1 weiterverrechnen.

Sie haben 18 GaultMillau-Punkte und 2 Michelin-Sterne. Was können Ihre Jahresziele noch sein?
Sebastian Zier (schmunzelt und seufzt): Das sollen andere beurteilen. Klar, wir wollen besser werden. In der Schweiz gibt es vier Restaurants mit drei Sternen. Wir können uns nicht hinsetzen und sagen, wir möchten nun auch drei Sterne. Aber bei jedem Gericht, das wir wechseln, möchten wir besser werden. Gleichzeitig möchten wir einen hohen Wiedererkennungseffekt. Unsere Gäste sollen unsere eigenständige, interessante Küche mit dem starken Geschmack und den Produkten schätzen. Damals sind wir angetreten, um einen Stern zu erhalten. Wir sind nun mit dem Erreichten überaus glücklich und zufrieden.
Richard Schmidtkonz: Aber klar, wir können uns in allen Belangen weiter verbessern.

Wo haben Sie in Ihren Karrieren am meisten gelernt?
Sebastian Zier: Beim Lehrmeister im Engel Vöhrenbach und bei Harald Wohlfahrt in der Traube Tonbach.
Richard Schmidtkonz: Ich habe aus der Lehre viel Basiswissen mitgenommen. Und an allen anderen beruflichen Stationen habe ich das Beste herausgezogen und weiterentwickelt. Anfangs kocht man das, was alle anderen kochen. Und mit der Zeit und der Erfahrung entwickelt man seine eigene Linie.
Sebastian Zier: Eine alte Kuh lernt dazu. Es gibt immer wieder neue Einflüsse, in Läden, bei Kollegen. Wichtig ist, was
andere machen. Wir gehen beispielsweise diese Woche ins dänische Pop-up des Badrutt’s Palace. Mit dem gesamten zehnköpfigen Team haben wir mittags auch schon die Traube Tonbach besucht. Letztes Jahr waren wir in der Villa Lalique, weil 23-jährige Mitarbeitende nicht in ein Zwei-Sterne-Restaurant ins Elsass fahren. Solche Ausflüge erweitern unseren Horizont.

Zum Schluss das Stichwort «Richice»: Sie, Richard Schmidtkonz, haben diese eigene Glacelinie entwickelt. Ist das ein Produkt aus der Coronazeit?
Richard Schmidtkonz: Nein, ich habe schon während meiner Lehrzeit gerne Eis gegessen. Vor Jahren habe ich einen Eiskurs an einer Eisfachschule in der Nähe von Paderborn besucht und danach über Nacht eine Profieismaschine gekauft. Als ich die ersten Mischungen abfüllte, realisierte ich, welche Menge diese Maschine ausspuckt. Ich habe die Glaces in Becher abgefüllt und verschenkt. Dann bin ich tatsächlich während Corona auf den Namen Richice gekommen und habe neue Becher machen lassen. Inzwischen gibt es, inklusive des Einsteins St. Gallen, vier verschiedene Verkaufsstellen, wo man mein Eis kaufen kann. Das mache ich alles in meiner Freizeit.
Sebastian Zier: In den letzten Jahren sind so viele Eisfirmen entstanden. Wer einmal Richice geniessen durfte, merkt den Unterschied. Das Vanilleeis ist fast schwarz, weil so viel Vanille verwendet wird. Dahinter steckt sehr viel Arbeit.
Richard Schmidtkonz: Manchmal produziere ich nach der Arbeit um 23 Uhr drei Stunden lang Eis. Das soll jedoch ein Hobby bleiben. Mein Fokus liegt auf meiner Arbeit in der Küche.

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Executive Chef Sebastian Zier (46)

Der Schwarzwälder aus Furtwangen arbeitet seit 2015 für das Hotel Einstein in St. Gallen und führt dort mit Richard Schmidtkonz sechs Leute in der Küche sowie vier im Service. Zuvor zeichnete der zweifache Familienvater als Küchenchef im Gourmetrestaurant La Mer (zwei Michelin-Sterne) im Hotel A-Rosa auf Sylt verantwortlich. Frühere Stationen waren unter anderem das Hotel Schloss Velden in Österreich, die Eröffnung des Hotels Cambrian in Adel­boden sowie mehrere Jahre im Hotel Traube Tonbach.

Küchenchef Richard Schmidtkonz (30)

Der Franke aus Weissenburg ist seit Oktober 2020 Küchenchef im Einstein Gourmet (zwei Michelin-Sterne). Im Hotel startete er 2015 bei der Neueröffnung des Einstein Gourmet und wechselte intern von 2017 bis 2020 als Küchenchef von Einstein Congress und Bistro. Mit Sebastian Zier arbeitete Schmidtkonz bereits von 2014 bis 2015 im La Mer auf Sylt. Seine Karriere startete er 2009 mit der Ausbildung zum Koch bei Käfer München. 2020 gründete das Mitglied der Disciples Escoffier seine eigene Glacelinie Richice.