Gastronomie

«50 Prozent der Wein-­Marriagen passen nicht»

Daniela Oegerli – 08. März 2019
Weisswein zu Fisch und Rotwein zu rotem Fleisch: Diese Kombination von Essen und Wein scheint logisch. Wer seinen Gästen speziellere Marriagen bieten möchte, für den gibt es zahlreiche Möglichkeiten.

Die Kombination von Essen und Wein verhält sich wie in einer Paarbeziehung: Wenn die Marriage passt, ist es für beide Seiten eine Bereicherung. Damit die Gäste von einer solchen Bereicherung profitieren, sollten Sommeliers stets auf deren Wünsche eingehen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt harmonieren. «Denn was nützt eine Super-Marriage, wenn der Partner nicht passt», bringt es Beat Caduff, Inhaber der Caduffs Wineloft in Zürich, auf den Punkt. Natürlich müssen Sommeliers auch in der Lage sein, den Gast auf eine von ihm gewünschte Kombination aufmerksam zu machen, die eventuell gar nicht harmoniert. Um bei der Heirat zu bleiben: «40 Prozent der Ehen in der Schweiz werden geschieden und 50 Prozent der Wein-Marriagen passen nicht», stellt Beat Caduff fest. Herausfinden, was die Gäste wollen
Yvonne Stöckli vom Hotel Alpenblick in Wilderswil fragt ihre Kunden jeweils, was ihre Vorlieben sind, ob sie lieber Weiss- oder Rotwein trinken und wann sie ein tolles Erlebnis mit Wein gehabt haben. Bei ihren Weinempfehlungen komme es darauf an, ob ein Gast Weinkenner sei oder nicht. «Wenn sich jemand gut mit Wein auskennt, versuche ich sie oder ihn zu überraschen. Bei denjenigen, die sich nicht so gut auskennen, schaue ich, dass ich eine Kombination empfehle, die gefällt.» Für sie sei es wichtig, dass ihre Vorschläge individuell auf den Gast abgestimmt seien. Zusammenarbeit mit der Küche ist das A und O
Um eine ideale Kombination von Essen und Wein zu finden, sei es unabdingbar, dass sich der Koch mit Wein und der Sommelier mit den Speisen beschäftige. «Wenn ich eine Speise kreiere, schaue ich immer darauf, welcher Wein passen könnte», gibt Richard Stöckli, der Ehemann von Yvonne, zu bedenken. Die Frage, ob er bei der Herstellung der Saucen einen Wein verwende, der zum Essen passe, verneint er. «Ich achte darauf, dass die Speisen nicht zu säurehaltig sind. Denn zu viel Säure vertragen viele Menschen nicht.» Yvonne, die 2016 von Gault Millau zur Sommelière des Jahres ausgezeichnet wurde, lagert darum junge Weine etwas länger, damit der Säureabbau zu einem Teil stattgefunden hat. Solche Weine machen die Vermählung mit dem Essen einfacher. Sie sei durch Zufall darauf gekommen. Da sie im Betrieb nicht so viel Platz für den Wein habe, lagere sie die Flaschen dezentral. Und dabei hat sie einmal einen Wein vergessen, dieser verfügte dann über viel weniger Säure, was sie und auch ihre Gäste als sehr angenehm empfanden. Probieren ist für Beat Caduff die effektivste und einfachste Methode, um herauszufinden, ob ein Wein zum Essen passt oder nicht. «Ich verlange von meiner Sommelière, dass sie die Kombinationen testet. Mit der Zeit hat man so viel Erfahrung, dass man nicht mehr alles probieren muss.» Da sind sich auch Yvonne und Richard Stöckli einig, Erfahrung macht es viel einfacher, Wein und Speisen zu kombinieren. Zwei Klänge zu einer Melodie vereinen
Für den deutschen Koch Tim Raue, der in Berlin das Restaurant Tim Raue führt, sind zwei Faktoren bei der Marriage von Speisen und Wein ausschlaggebend: «Der Wein soll das Gericht entweder leichter erscheinen lassen. Oder wir möchten erreichen, dass die Komponenten eine Harmonie bilden – so wie sich bei der Musik die Klänge zu einer Melodie vereinen», erklärt der mehrfach ausgezeichnete Koch. Er, seine Geschäfts­partnerin Marie Raue sowie ihr langjähriger Sommelier André Macionga nehmen sich beim Festlegen einer Marriage jeweils ein Gericht genau vor. «Wir haben alle einen völlig anderen Zugang zum Wein und das ergibt jeweils spannende Diskussionen.» Am Schluss entscheiden sie sich jeweils für die Kombination, die am besten harmoniert. «Für uns hat die Weinbegleitung einen hohen Stellenwert, darum entscheiden sich 80 Prozent der Gäste für ein Menü mit den passenden Weinen.» Tim Raue verbindet in seiner Küche Speisen asiatischer Länder wie Thailand, Japan und China. «Weil wir oft keine passenden Weine gefunden haben, ist André hingegangen und hat mit Winzern Cuvées entwickelt, die unseren Bedürfnissen entsprechen.» So sei beispielsweise der Wein «Es ist wie es ist» entstanden, eine Cuvée aus verschiedenen Weissweinsorten, die er zusammen mit dem Winzer Horst Sauer entwickelt hat. «Dieser Wein harmoniert sehr gut mit meinen Gerichten», ergänzt Tim Raue. Die ausgetretenen Pfade verlassen
Die Profis raten jungen Gastronomen, sich anfänglich auf die Empfehlungen aus der Fachliteratur zu halten, jedoch immer wieder Kombinationen auszuprobieren, die auf den ersten Blick nicht passen. «Ich finde zum Beispiel, dass ein Ries­ling-Kabinett ausgezeichnet zu einem Thai-Curry passt», erklärt Beat Caduff. Oder viele behaupten, dass Wein zu Salat gar nicht gehe. Beat empfiehlt, einen Schuss Chianti zur Salatsauce zu geben und einen Chianti dazu zu servieren, das gehe auf jeden Fall. Wenn das Essen scharf ist, dürfen die Weine nicht über zu viel Tannin verfügen, damit die Marriage erfolg­reich ist. Bei der Kombination mit Käse rät er beispielsweise von jener mit Brie und Bordeaux ab. «Die Bitterstoffe im Käse und die Bitterstoffe im Wein machen diese Vermählung ungeniessbar.» Zu Fisch, raten Yvonne und Richard Stöckli, könne man auch einen leichten Rotwein empfehlen. «Weine, die an einem See gedeihen, passen in der Regel auch zu Fisch.» Dass ein Wein aus der Region immer zu einer regionalen Speise passe, verneinen sie hingegen. «Auch wenn die Gäste gerne alles aus der Region geniessen, ist es nicht in jedem Fall ideal, regionale Weine zu wählen.» Aber auch hier gilt – ausprobieren. Sechs Marriagen, die überraschen
Yvonne und Richard Stöckli haben für das GastroJournal sechs Marriagen kreiert und diese zubereitet. «Bei der Wahl der Gerichte war mir vor allem wichtig, dass ich Zubereitungs­arten wähle, die etwas in Vergessenheit geraten sind», erklärt Richard. So zum Beispiel der Hecht, den er wie einen Gamspfeffer zubereitet hat. «Meistens wird Hecht wegen seinen vielen Gräten gebacken serviert. Mariniert mit Rotwein, ergibt das ein tolles Gericht.» Yvonne empfiehlt dazu einen Diolinoir, eine Traubensorte, die früher nicht eigenständig abgefüllt wurde, sondern als «Färber» benutzt wurde. Er hat eine kräftige Farbe und ein starkes, fruchtiges Aroma. Zum Rotweinrisotto kredenzt sie einen sechs Jahre alten Completer. «Da der Wein schon eine gute Reife aufweist und seine Spritzigkeit abgelegt hat, passt er hervorragend zum Rotweinrisotto.» Auch zu der Käsevariation hat der Fendant von Marie-Thérèse Chappaz ein paar Jahre Reife hinter sich. «Vor allem zu salzigen Speisen passt ein gut gereifter Chasselas ausgezeichnet», erklärt Richard. Da der Wein schon viel Säure abgebaut habe, harmoniere er mit dem gereiften Käse. Die Kombination, die am meisten überrascht, ist das Dessert. Zu der Chocolat-Passion mit Passionsfrucht, Mango und Tamarindenglace empfiehlt Yvonne Stöckli einen roten Vin doux de pays Suisse von Marc Ramu. «Die meisten Gäste kennen weissen Dessertwein. Der passt aber nicht zu Schokolade, weil er oft zu viel Säure aufweist», erklärt Richard. Und Yvonne ergänzt: «Wenn man die Gäste überzeugen kann, probieren sie auch einmal etwas Aussergewöhnliches.»