Marc Gay, warum haben Sie sich für den Serviceberuf entschieden?
Marc Gay: Nach der Sekundarschule hatte ich die Wahl zwischen einer Lehre und einem Studium. Ich wusste, dass ich eher eine Lehre absolvieren wollte, aber ich schwankte zwischen Landschaftsgärtnerei und einem Beruf im sozialen Bereich. Ich machte zwei Praktika bei einem Landschaftsgärtner und merkte schnell, dass die Unwägbarkeiten des Wetters nicht zu mir passten. Ein Restaurantbesuch mit meinen Eltern überzeugte mich, es in der Gastronomie zu versuchen. Ich schätzte die Arbeit des Teams im Speisesaal enorm. Nach drei Praktika in der Branche unterschrieb ich meinen Ausbildungsvertrag.
Wie verlief Ihre Ausbildung?
Ich habe meine Ausbildung im Hotel-Restaurant La Porte d’Octodure in Martigny-Croix VS absolviert. Dort wurde meine Leidenschaft für die Branche geweckt. Ich war schon damals sehr angetan vom sozialen Aspekt, den man im Kontakt mit den Gästen erlebt, aber ich stellte auch fest, dass dieser Beruf sehr vielfältig ist. Es gibt immer etwas zu entdecken und zu lernen, und man kann während der Ausbildung verschiedene Spezialisierungen wählen. Ausserdem hatte ich einen guten Kontakt zu meinen Ausbildern an der Berufsschule in Sion VS aufgebaut. Auf ihren Rat hin habe ich dann an meinem ersten Wettbewerb teilgenommen.
Erzählen Sie.
Ich habe meine Lehre während der Pandemie abgeschlossen, und wir wussten nicht, ob die Prüfungen durchgeführt werden würden. Ich wollte nicht, dass jemand denkt, ich hätte mein EFZ umsonst bekommen, also suchte ich nach einer Lösung, damit meine Kenntnisse anerkannt würden. Die Ausbilder schlugen mir vor, an der Servicemeisterschaft teilzunehmen. Ich investierte viel Zeit in die Vorbereitung auf diesen Wettbewerb – und ich gewann! Daraufhin wurde mir vorgeschlagen, an den SwissSkills teilzunehmen.
Und auch diesen haben sie gewonnen!
Ja. Ich habe mich sehr gut vorbereitet und sogar meinen Job gekündigt, um mich ganz auf den Wettbewerb konzentrieren zu können. Ich war zum Abteilungsleiter befördert worden, und es wurde immer schwieriger, die Hochsaison mit der Vorbereitung auf den Wettbewerb zu vereinbaren. Der Gewinn dieser beiden Wettbewerbe hat mir geholfen, mein Netzwerk in der Branche auszubauen und zu festigen. Das macht mich sehr stolz! Ausserdem hat mir der Sieg bei den SwissSkills die Tür zu den WorldSkills geöffnet.
Wie bereiten Sie sich nun auf die WorldSkills vor?
Zunächst wollte ich mein Englisch verbessern, damit ich mich in diesem internationalen Umfeld wohlfühle. Deswegen absolvierte ich im D’Olier Street in Dublin bei James Moore ein achtmonatiges Praktikum und anschliessend ein dreimonatiges Praktikum im Zweisternerestaurant Atera bei Ronny Emborg in New York. Seit Anfang dieses Jahres konzentriere ich mich zu 100 Prozent auf die Wettbewerbsvorbereitung. Zusammen mit meiner Trainerin Noemi Zoss habe ich einen Trainingsplan erstellt. Ich wechsle zwischen Trainingseinheiten an Noemis Arbeitsplatz bei der Gastro Formation Zürich, Tagen in den Räumlichkeiten von GastroVaud in Pully VD und Praktika, die mir die Möglichkeit geben, mich weiterzuentwickeln. Ich habe ein Barrista-Praktikum, zwei Bar-Praktika und ein Praktikum in Hongkong absolviert, um meine Sensibilität für kulturelle Unterschiede zu entwickeln und mich auf alle Kunden ein-stellen zu können – und folglich auch auf die Experten aus anderen Kulturen bei den WorldSkills.
Bei seiner Vorbereitung hält sich Marc Gay an einen strikten Zeitplan. Er muss diverse Handgriffe e aus verschiedenen Bereichen üben, die in Nachschlagewerken gelistet sind. Dazu gehören Cocktails oder Flambieren. (Bild: Nicolas Righetti)
Die Schweiz hat bei den WorldSkills bereits eine beachtliche Erfolgsbilanz im Bereich Service, was ist Ihr Ziel?
In der Tat, in den letzten Jahren haben Shania Colombo 2022 Bronze und Martina Wick 2019 Gold gewonnen. Das erzeugt eine Menge Druck. Ich werde mein Bestes geben. Das bedeutet, dass man am Tag X mental sehr stark sein muss. Die Tage vor dem Wettbewerb werden sehr intensiv werden, und ich muss voll konzentriert bleiben. Der mentale Aspekt ist bei diesem Wettbewerb von entscheidender Bedeutung. Alles hängt von Details ab. Meine Fähigkeit, mit Unvorhergesehenem umzugehen oder zu reagieren, wenn etwas nicht funktioniert, wird entscheidend sein.
Was haben Sie danach vor?
Eine sehr gute Frage (lacht)! Im Moment konzentriere ich mich ganz auf den Wettbewerb. Ich weiss, dass mir diese Erfahrung nützlich sein wird, aber sie wird nicht alles sein. Ich habe noch nichts geplant, aber ich möchte Deutsch lernen und eventuell eine Hotelfachschule besuchen. Das Management im Hotelgewerbe interessiert mich sehr.
Aber der Service bleibt Ihre Leidenschaft?
Ja, im Moment ist der Service meine Leidenschaft. Ich habe das Gefühl, dass es immer etwas Neues zu lernen gibt. Die Sommelierkunst zieht mich besonders an. Aber es ist auch ein anstrengender Beruf. Ich möchte mich nicht vor anderen Möglichkeiten verschliessen.
Was ist Ihr Traum?
Ich würde gerne ein Bed & Breakfast oder ein kleines Hotel mit einem originellen Konzept mit einem Restaurantangebot leiten, um die Gäste den ganzen Tag über betreuen zu können.
Was ist Ihre Botschaft an junge Leute, die zögern, einen Beruf in der Gastronomie zu ergreifen?
Der Gastrobranche bietet enorme Möglichkeiten: Man kann sich stets weiterentwickeln und neue Dinge lernen. Nach einer Lehre kann man einen Bachelor oder sogar einen Master machen, und man kann sich in so vielen Bereichen weiterbilden. Ausserdem ist die Gastrobranche wie eine grosse Familie, die international vernetzt ist. Diese Branche ermöglicht es uns, zu reisen, neue Kulturen zu entdecken und neue Sprachen zu lernen. Deshalb bin ich der Meinung, dass man sich nicht zu viele Fragen stellen sollte, insbesondere was das Gehalt und die Arbeitszeiten angeht. Man muss einfach loslegen, und man wird später immer Lösungen finden.