Ausgezeichnet mit dem «World’s Best Female Chef Award», gewürdigt mit dem Orden der Legion d’Honneur, dieses Jahr als erste Frau mit dem Prix de la Créatrice vom Guide des Tables «Omnivore» prämiert: Die Auszeichnungen, die Anne-Sophie Pic erhalten hat, sind so zahlreich, dass sie fast nicht mehr zu zählen sind. Die hervorragende Chefin, die nächstes Jahr ihren 50. Geburtstag feiert, ist in vier Gourmet-Betrieben tätig. Das Restaurant in Valence, das ihren Namen trägt, ist mit 3 Sternen ausgezeichnet. Die Betriebe La Dame de Pic in Paris und in London glänzen mit je einem Stern, und das Restaurant Anne-Sophie Pic im Beau-Rivage Palace in Lausanne, wo sich die Chefin mindestens sechs Mal im Jahr aufhält, zählt zwei Sterne. Am 3. Mai dieses Jahres war sie vor Ort, um offiziell die Ernennung von Paolo Boscaro zum neuen Küchenchef bekanntzugeben. Und um ein Diner für zwei Winzerinnen zu kreieren, deren Arbeit sie bewundert: die Schweizerin Marie-Thérèse Chappaz und die Französin Christine Vernay. Trotz ihrem dicht gedrängten Zeitplan nahm sich Anne-Sophie Pic für GastroJournal einen Moment Zeit. Mit grosser Bescheidenheit und Sanftmut, Eigenschaften, die sie charakterisieren, sprach sie über ein Thema, das ihr sehr am Herzen liegt: den Platz der Frauen.
GastroJournal: Wie geht es Ihnen?
Anne-Sophie Pic: Danke der Nachfrage. Es geht mir gut. Ich bin glücklich, heute in Lausanne zu sein, um unsere Arbeit in diesem wunderschönen Beau-Rivage Palace fortzuführen. Es ist für mich seit fast zehn Jahren eine Freude, das Schweizer Terroir und die Produkte kennenzulernen. Soeben brachte mir ein Schweizer Produzent, Christophe Perret-Gentil, mit dem ich regelmässig zusammenarbeite, frisch gesammelten Gundermann. Und genau das ist interessant: dauernd neue Sachen zu entdecken. Es ist nicht so, dass ich gewisser Produkte überdrüssig bin, aber es ist mir sehr wichtig, Neues zu entdecken und immer auf der Suche nach einem andersartigen Geschmack zu sein. Klassische oder moderne Küchen gibt es nicht. Es gibt ganz einfach gute Küchen!
Da wir gerade von Schweizer Produzenten sprechen: Sie werden am kommenden 31. August den «Marché des producteurs», der Teil des Festivals Lausanne à Table ist, im Garten des Beau-Rivage durchführen. Das Treffen mit lokalen Produzenten ist Ihnen wichtig?
Selbstverständlich ist dieses Zusammenkommen für mich sehr bedeutend. Es ist eine Möglichkeit, ansässige Produzenten zu würdigen. Dieser Markt steht für mehrere Dinge. Zunächst geht es um ein gemütliches Zusammensein. Der Anlass zeigt aber auch, dass auf dem Markt Qualitätsprodukte zu finden sind, die meiner Meinung nach aus zuverlässigsten Bezugsquellen stammen. Dank den Produzenten entdecke ich neue Produkte und lerne aus kultureller Sicht dazu. Ich kann ein Produkt am besten verwerten, wenn ich auch die schöne Geschichte kenne, die hinter einer Ware steckt. Das Produkt gibt es nur dank den Menschen, die es anzubauen und zu pflegen wissen.
Ist die kulinarische Harmonie von Speisen und Wein, die sie eigens für Marie-Thérèse Chappaz und Christine Vernay kreieren, auch eine Art, ihnen Ihre Anerkennung auszudrücken?
Dem ist in der Tat so. Ich muss sagen, dass ich die Arbeit von Frauen sehr schätze. Ich habe das Gefühl, dass ihrem Wirken erst seit Kurzem mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wird – der Dokumentarfilm von Vérane Fredani «The goddesses of food / A la recherche des femmes chefs» trug dazu bei. Dies trifft insbesondere auf Berufsgruppen zu, in denen Frauen keinen leichten Stand haben, in Bezug auf ihre Sichtweise über die Küche, den Wein… kurz gesagt ihr gesamtes Schaffen in Restaurationsberufen. Es ist wichtig, diese Leistung hervorzuheben. Nicht weil ich denke, dass Frauen mehr Talent besitzen als Männer – es geht mir nicht um den Vergleich von Frauen und Männern, sondern um ihre Fähigkeiten besser beurteilen zu können. Dieser Anlass ist eine Möglichkeit, uns unter Frauen, rund um ein Glas Wein und feines Essen, zu treffen. Und um beide miteinander bekanntzumachen, denn ihre Bewunderung füreinander ist gegenseitig. Es ist beispielsweise interessant, dass Frauen den Wein auf eine ganz eigene Art und Weise degustieren. Es geht dabei nicht darum, besser oder weniger gut zu sein, sondern seine eigene Identität zu finden. Frauen haben eine andere Sichtweise auf ihre Arbeit.
Welchen Platz nehmen die Frauen in der Gastronomie ein, in der Schweiz und in Frankreich?
Ich nahm an Kundgebungen für die Anliegen der Frauen teil und lernte Geschäftsführerinnen kennen. Ich denke, sie sind sehr aktiv in der Schweiz. Ein ziemlich starkes Netz ist im Aufbau, auch in Frankreich. Die Frauen trauen sich mehr zu, insbesondere jene, die zwischen 40 und 50 Jahre alt sind, erklären sich bereit, die Jüngeren bei der Hand zu nehmen und zu fördern. Es ist wohl meine Generation, die sich bewähren konnte und zusätzlich an Bedeutung gewinnen wird. Ich hatte immer das Gefühl, mir in einer Männerwelt meinen Platz verdienen zu müssen, und darum meine weibliche Identität ausradieren zu müssen. Obwohl ich mich voll und ganz dazu bekenne! Aber es war notwendig, um als «Koch» Akzeptanz zu erlangen – und nicht als Frau, die kocht. Heute ist es an der Zeit, zu sich selbst zu stehen und die Frauen noch mehr zu unterstützen, damit sie sich von der Last, die auf ihnen liegt, befreien können.
Sie sind eine Mentorin für junge Frauen, indem Sie ihnen helfen, sich durchzusetzen…
Richtig. Dieses Jahr ernannte mich der Guide Michelin zur «Schirmherrin» junger Chefs, die in Frankreich neu einen Stern haben. Es ist das erste Mal, dass der Restaurantführer einen solchen Titel vergibt, und er setzt damit ein deutliches Zeichen: Auch Frauen sind fähig zu lehren! Persönlich bin ich eine Verfechterin der Wissensvermittlung. Denn nur Wissen, das weitergegeben wird, hat Bestand. Mir fehlte damals jemand, der mich unterrichtete, und ich litt stark darunter. Mein Vater lehrte mich, doch als ich mit 23 Jahren als Köchin anfing, hätte ich einen Mentor gebraucht. Doch zu diesem Zeitpunkt ist mein Vater leider Gottes gestorben. Ich erlebte einen massgebenden Mangel an Unterstützung. Ich bat einige Personen, wie Paul Bocuse, um einige Ratschläge. Ich besass genügend Selbstbewusstsein, um mich alleine aufzubauen, mit Hilfe meiner Mitarbeiter, die ihr Handwerk von meinem Vater erlernten. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass mich jemand an die Hand nimmt.
Sie sind die einzige Frau in Frankreich, die mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. Was ist das für ein Gefühl?
Im Moment bin ich die Einzige, aber ich hoffe, es werden noch andere folgen! Es ist eine Ehre. Und eine Verantwortung. Der dritte Stern ist kein Endziel, er ist ein Anfang. In meinem Fall legte er meine Kreativität frei. Er befreite mich zudem auch von meinem Schuldgefühl, eine Frau mitten im Männermilieu zu sein: Ich habe nun ganz offiziell meinen Platz! Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Frauen sich sehnlichst wünschen, geschätzt zu werden und jeden Tag um Anerkennung kämpfen… Das Gefühl, nicht akzeptiert zu sein, ist ein steter Begleiter. Aber wir sind da und wir leisten etwas. Das gefällt vielleicht nicht allen, aber es ist unsere Wahrheit, und dies muss zur Kenntnis genommen werden!
Welche Frauen bewundern Sie?
Ich liebe Künstlerinnen. Ich mag, wenn es Frauen gelingt, etwas auszudrücken und für andere da zu sein. Ich denke insbesondere an Louise Bourgeois, die ihre Epoche prägte. In der Gastronomie schätze ich die Italienerin Nadia Santini, eine der ersten Frauen, die mit drei Sternen ausgezeichnet wurde. Sie ist eine Freundin. Sie ist sehr gläubig, genau wie ich – was sich auf mein Schaffen auswirkt – und sie unterrichtet mit Wohlwollen. Sie war mein Vorbild. Ein anderes Beispiel von einer Frau, die ich bewundere: meine Mutter. Sie ist sehr mutig, beklagt sich nie und richtete ihr Leben darauf aus, anderen zu helfen. Ich glaube, dass die Frauen die Welt verbessern können!
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Es ist Zeit, zu sich zu stehen
Caroline Goldschmid – 05. Juli 2018
Weitergeben von Wissen und Erfahrung ist für die Küchenchefin aus Valence selbstverständlich. Sie ist überzeugt, dass Frauen die Welt verbessern können.