«Ein fliessender Übergang ist ideal»

Corinne Nusskern – 23. März 2023
Viele Betriebe schliessen mangels Nachfolge. Der Hoteldirektor Roland Barmet (62) hat vor eineinhalb Jahren das Cascada Boutique Hotel und Restaurante Bolero in Luzern seinem einstigen Praktikanten Thomas Ulrich (45) übergeben. Sie haben einen eher unkonventionellen Weg gewählt. Würden sie es heute wieder genauso machen?

Roland Barmet, in 80 Prozent aller Nachfolgefälle ist das Alter des sich Zurückziehenden oder der Wunsch nach mehr Freizeit der Grund. Was war es bei Ihnen?
Roland Barmet: Ich war hier während 33 Jahren Direktor und habe das Haus aufgebaut. Nach so vielen 14-Stunden-Tagen wusste ich, dass ich dies nicht bis 70 machen möchte. Irgendwann muss man loslassen. Zudem habe ich ein Projekt mit einem Kleinhotel mit Wein- und Olivenanbau in Spanien.

Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit der Nachfolgefrage auseinandergesetzt?
Barmet: Vor etwa fünf Jahren sagte ich zu Thomas: «Wenn ich 60 bin, kannst du übernehmen.» Sobald es ausgesprochen ist, bekommt es ein ganz anderes Gewicht und der Nachfolger eine konkrete Perspektive.
Thomas Ulrich: Es war hilfreich, dass wir diese Zeit hatten. Nach den ersten Diskussionen, wie es ablaufen soll, braucht die Konkretisierung zwei bis drei Jahre.

Haben Sie externe Berater hinzuge­zogen?
Ulrich: Wir haben erst alles nach unseren Vorstellungen abgesprochen und formuliert. Unsere externer Berater war der beigezogene Verwaltungsrat.

Wie sind Sie konkret vorgegangen?
Ulrich: Erst listeten wir alles auf, was zu tun war. Dies be­inhal­tete neben dem Hotel auch Beziehungsnetze oder Verbandsarbeiten, Roland war Vorstand von Luzern Hotels. Dies kommt für mich zurzeit nicht infrage, ich will mich zuerst auf die Direktion und auf mein Engagement als Stiftungsrat im Aus- und Weiterbildungszentrum G’art Luzern konzentrieren.
Barmet: Wir erstellten einen Zeitplan und ein Arbeitsdokument, dieses haben wir immer wieder überarbeitet und an die aktuelle Situation angepasst.
Ulrich: Das Budget für mein zukünftiges Übernahmejahr erstellten wir bereits im November, auch die Verantwortung über die Zahlen habe ich Anfang Jahr übernommen, obwohl die Übergabe erst im Juni erfolgte. Alles andere war ein laufender Prozess, so konnte ich im Hintergrund Schritt für Schritt übernehmen. Ein fliessender Übergang ist ideal.
Barmet: Absolut. Doch es ist sehr individuell, nicht alle können gut abgeben. Manche bleiben Patrons, bis sie sterben.

Das Haus gehört der Concordia Versicherung. In welcher geschäftlicher Verbindung stehen Sie zu dieser?
Ulrich: Ich bin als Geschäftsführer der Cascada AG, die der Concordia Holding gehört, mit einem fixen Lohn und Erfolgsbeteiligung angestellt. Wir zahlen eine marktübliche Miete und müssen mit der Jahresrechnung Ende Jahr schwarze Zahlen schreiben. Wir sind wie Pächter, aber nicht finanziell haftbar. Das ist seit 30 Jahren so.

Nötige Investitionen sind bei einer Nachfolge oft ein Thema. Wie war das bei Ihnen?
Ulrich: Nach Vorgaben der Besitzer haben wir stets vorausschauend investiert, so konnte ich das Haus im Topzustand übernehmen. Wir müssen Gewinn schreiben, und dieser kann zum Reinvestieren verwendet werden. Investitionen an der Im­-
mobilie sind Inhabersache.

Roland Barmet, wie schwer war es, nach 33 Jahren im Cas­cada loszulassen?
Barmet: Meine Frau sagt, ich hätte immer noch nicht ganz losgelassen … Das Cascada war mein Baby.

Thomas Ulrich, die Übernahme war vor gut anderthalb Jahren. Was macht Roland Barmet immer noch hier?
(beide lachen) Ulrich: Roland hat sich in Spanien seinen Traum verwirklicht, wo er den Sommer verbringt. Die anderen acht Monate unterstützt er mich im operativen Bereich. Fällt jemand aus, kann ich auf ihn zurückgreifen. Ich habe einen Joker, der sich aus dem Management zurückgezogen hat.
Barmet: Ich wollte nicht von 100 auf 0 herunterfahren, aber die Verantwortung abgeben. Die liegt zu 100 Prozent bei Thomas. Er hat mich zu 50 Prozent angestellt. Ich platziere nun Restaurantgäste, laufe eine halbe Stunde mit, um die Spitzen zu brechen, oder stehe am Pass und jongliere mit Zetteln.

Ist es nicht schwierig, so aus der Nähe zuzuschauen, wenn Ihnen ein Entscheid Ihres Nachfolgers nicht gefällt?
Barmet: Es gibt Dinge, die hätte ich anders gemacht. Aber das muss ich akzeptieren. Er ist jünger und hat andere Ideen.
Ulrich: Er lässt mich machen. Roland ist für mich eine Art Back-up, so kann ich mich um das Wesentliche kümmern.

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Jedes Zimmer des Cascada Boutique Hotels ist einem Schweizer Wasserfall gewidmet. Ein Konzept, das sowohl dem ehemaligen Hoteldirektor Roland Barmet (l.) wie auch seinem Nachfolger Thomas Ulrich gefällt (Foto: Daniel Winkler)

War es immer klar, dass Thomas Ulrich mal übernimmt?
Barmet: Er hat mit 25 Jahren hier als Praktikant angefangen, ich habe ihn ge- und befördert, irgendwann war er Vizedirektor. Man muss den Leuten Perspektiven geben und sie in Projekte einbinden, dadurch identifizieren sie sich mit dem Haus. Beim letzten Restaurantumbau war Thomas Projektleiter.
Ulrich: So wurde das Haus auch zu meinem Baby. In den 20 Jahren, in denen ich hier bin, habe ich quasi in vier verschiedenen Hotels gearbeitet: Erst war es ein Dreisterne- und Gruppen­hotel für Amerikaner, dann ein Businesshotel, danach ein Seminarhotel und jetzt ein Viersternehotel für Individualreisende.

Haben Sie Ulrichs Potenzial schnell erkannt?
Barmet: Wir sind sehr verschieden, aber wir haben uns immer ergänzt. Thomas ist sehr strategisch denkend, sehr rational und überlegt auf eine gute und ehrliche Art. Und er war sich für nichts zu schade. Ich habe ihm vorgelebt, dass der Chef mitanpacken soll.

Was ist rückblickend mit Ihrer Erfahrung von heute der wichtigste Punkt, auf den man den Fokus verstärkt richten sollte?
Ulrich: Auf die Mitarbeitenden! Für uns war vieles klar, nicht aber für die Mitarbeitenden. Viele fragten sich: Was bedeuten diese quasi umgekehrten Rollen der Direktoren? Was ändert sich für uns?

Und? Hat sich für sie etwas geändert?
Barmet: Nein, es ist immer noch eine Familie, sie finden hier eine Art zweites Zuhause. Thomas hat die Philosophie des Hauses beibehalten, der Spirit ist derselbe. Dadurch gab es aufgrund der Nachfolge keine Mitarbeiterwechsel. Viele arbeiten seit 10, 15 oder gar seit 25 Jahren hier. Während Corona ergänzten wir den Kurz­arbeitslohn auf 90 Prozent, 2018 wurden wir von Icommit in der Sparte Kleinunternehmen (50–99 Mitarbeiter) als bester Arbeitgeber ausgezeichnet. Das Schlimmste bei einem Direktionswechsel ist, wenn jemand alles anders macht, nur um Spuren zu hinterlassen.
Ulrich: Geht es den Mitarbeitenden gut, geht es auch den Gästen gut. Einige Mitarbeitende standen zu Beginn immer noch viel öfter mit durchgedrücktem Rücken da, wenn Roland um die Ecke bog, als bei mir (lacht).

Hatten Sie während des Nachfolgeprozesses auch hitzige Diskussionen? Gab es Streitpunkte?
Ulrich: Ich habe einige Entscheidungen getroffen, die Roland anders gefällt hätte. Aus meiner Sicht waren sie aber richtig, und er akzeptierte diese. Ich probiere gerne mal etwas aus. Als das Hotel letzten Frühling wegen Corona fast leer stand, meldete ich uns an, um Ukraine-Flüchtende aufzunehmen. Roland reagierte eher vorsichtig und fragte nach, was wäre, wenn plötzlich Gäste kämen, und wir keine Zimmer frei hätten. Solche Dinge diskutierten wir miteinander. Doch es erledigte sich von selbst, es wurden uns keine Flüchtende zugeteilt.

Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zueinander?
Barmet: Wir kennen uns gut und sind Geschäftskollegen, treffen uns aber nicht privat. Es ist ein Vertrauensverhältnis, unser Ziel ist, den Hotelbetrieb aufrechtzuerhalten.
Ulrich: Genau. Wenn ich möchte, habe ich immer Zugriff auf eine Zweitmeinung. Früher sagte ich Roland, was ich zu diesem oder jenem Fall meine. Jetzt sagt er mir, was er dazu meint (lacht). Es entscheidet einfach der andere.

Ein Direktorenwechsel ist auch eine Chance für Veränderungen. Was machen Sie anders?
Ulrich: Das Wasserfallkonzept in den Zimmern und das spanische Restaurante Bolero bleiben sich gleich. Ich möchte das Leitbild etwas modernisieren. Zudem bringe ich mehr Digitalisierung und Nachhaltigkeit ein und habe die Sitzungskultur dem Zeitgeist angepasst. Ich probiere gerne neue Ansätze aus und treibe Innovationen voran. Da war Roland zögerlicher, er stützte viele Entscheide auf seine Erfahrungen.

Roland Barmet, was fehlt Ihnen am meisten?
Barmet: Nichts. Alles, was ich hier noch machen darf, mache ich gern. Ich habe mit meiner Frau das Kleinhotel in der spanischen Provinz León, dazu ein Weingut, das ich an den Weinbauer nebenan verpachtet habe, sowie einen Olivenhain. Er produziert den Wein und das Olivenöl, und ich kaufe ihm diese ab. So habe ich keinen Druck, und er hat eine Existenz.
Ulrich: Und wir profitieren von seinem hochwertigen Öl und seinem Wein im Restaurante Bolero.

Würden Sie die Nachfolge heute anders angehen?
Barmet: Nein, es war der richtige Entscheid und der richtige Weg zur Umsetzung. Und für mich der richtige Moment, das «Baby» loszulassen. Jetzt bin ich noch jung genug, um mir neue Ziele zu setzen.
Ich konnte das Cascada mit gutem Gewissen abgeben.
Ulrich: Mich hat positiv überrascht, dass Roland sich wirklich rausgehalten hat. Und wenn er trotzdem mal etwas kundtut, können wir dies gut miteinander einordnen.

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Cascada Boutique Hotel (Foto: ZVG)

Die Tipps der Cascada-Hoteldirektoren

• Die Nachfolge früh angehen, fünf Jahre vorher sind ideal. So kann der Nachfolger in die Position hineinwachsen.

• Gegenseitiges Vertrauen ist elementar. Das wächst nicht innert einer Woche. In einer Familie ist es eher vorhanden, aber auch da muss die Übergabe früh diskutiert werden.

• Mitarbeitende stets über den Verlauf informieren.

• Eine Nachfolge darf nie ein Zwang sein.

• Die Nachfolgeregelungen stets rollierend an neue Situationen anpassen.

• Die gleichen Grundwerte zu haben, ist hilfreich. Anpassungen und Änderungen an den Zeitgeist sind natürlich.