Wie die Menschen in Littau ihre Dorfbeiz retteten

Corinne Nusskern – 21. März 2024
Als die Wirtefamilie Haldi das Gasthaus Ochsen in Littau aus gesundheitlichen Gründen aufgeben muss, droht der Dorfbeiz die Schliessung. Nicht mit den Littauern und Littauerinnen! Aus dem Nichts formiert sich die «Baugenossenschaft Am Dorfplatz», die den «Ochsen» kauft und in Anja Waltenspül ihre Gastgeberin findet.

Kurz vor elf Uhr morgens: In der Küche scheppern die Schüsseln, draussen wartet der erste Gast auf Einlass. Gastgeberin Anja Waltenspül (29) öffnet ihm die Tür und begrüsst ihn herzlich. Bald stossen drei weitere Männer dazu. Littauer im Pensionsalter, jeder hat seinen angestammten Platz in der Gaststube, die vom Boden bis zur Decke in rehbraunes Holz gekleidet ist. Keiner von ihnen sitzt allein. Genau das ist der Sinn einer Dorfbeiz. Waltens­pül deckt die Tische für das Mittagessen, nimmt sich Zeit für einen Schwatz. Die gebürtige Glarne­rin hat nach dem KV die Hotelfachschule Luzern absolviert, doch das Gastro-Gen hat sie von ihrem Grosi, die einst im Glarnerland ein Restaurant führte und nun riesig stolz auf ihre Enkelin ist.

Sie sind Gastgeberin des geretteten Gasthauses Ochsen. Wie fühlt sich das an?
Anja Waltenspül: Sehr gut! Es gibt immer Tage, an denen ich mich frage: Was habe ich mir da angetan? (lacht herzlich) Aber es ist ein wunder-
schönes Gefühl, beim Projekt «Ochsen» mitwirken zu dürfen. Vor allem, weil die Leute so froh darüber sind, dass sie ihren Treffpunkt im Dorfkern nicht verlieren. Dies bestätigt mir, dass meine Entscheidung richtig war.

Wie kamen Sie in den «Ochsen» – wer hat wen gefunden?
Eine lustige Geschichte. Vor einigen Jahren, als ich im «Bürgenstock» arbeitete, stiess ich durch einen Arbeitskollegen zur Guggenmusik Löchlitramper, hier in Littau. Dadurch kenne ich den «Ochsen» und habe erfahren, dass die Besitzerfamilie Haldi aus gesundheitlichen Gründen aufhören muss. Eine Freundin meinte, das sei etwas für mich als Hotelfachschulabsolventin, und ich schrieb der Familie Haldi eine E-Mail. Sie wollten aber verkaufen, für mich kam dies fi­nanziell nicht infrage, und so hakte ich es ab. Sechs Wochen später schrieben mir Haldis, es zeichne sich ab, dass sich einige Littauer und Littauerinnen zusammentäten, um den «Ochsen» zu kaufen und jemanden für die Pacht suchten.

Sie haben für den «Ochsen» ihren sicheren Job gekündigt?
Ja, voll. Ich arbeitete als Chef de Réception im Seminarhotel Romerohaus in Luzern. Es gefiel mir dort, aber ich spielte schon länger mit dem Gedanken, einen Betrieb zu übernehmen. So habe ich gekündigt und mich auf den «Ochsen» eingelassen, ich hatte nichts zu verlieren.

Mussten Sie ein Konzept präsentieren, oder wie war das?
In einem ersten Gespräch mit Roger Sonderegger, dem Präsidenten der Baugenossenschaft Am Dorfplatz, erklärte er das Ziel: Den «Ochsen» zu kaufen, langfristig zu erhalten, und die Nachbarliegenschaft, wo sich einst die Metzgerei Jutzeler befand, ebenfalls zu erwerben und günstigen Wohnraum zu schaffen. Das Konzept für den «Ochsen» war klar. Es braucht keine Marktanalyse, um zu wissen, was es an diesem Standort braucht: eine Dorfbeiz für alle. Das deckte sich mit meiner Vision. Littau gehört zwar zur Stadt Luzern, ist aber ein Dorf. Das ist schön – dahinter kann ich viel besser stehen als hinter einer Touristenbeiz in der Stadt.

Die Rettung des Gasthauses muss sehr emotional für alle Beteiligten gewesen sein. Der «Ochsen» scheint für die Littauer und Littauerinnen elementar zu sein.
O ja. In Gesprächen mit Gästen höre ich oft, wie wichtig es ihnen ist, dass es diesen Ort – ihren «Ochsen» – weiterhin gibt. Dies spürte ich bereits im Vorfeld, als ich mit der Familie Haldi in Kontakt stand, um den Betrieb zu verstehen. Viele Littauer kamen nochmals vorbei, um bei ihnen zu essen. Und ich staunte, wie viele Leute Ende August zur Infoveranstaltung der Bau­genossenschaft kamen, der Saal war proppenvoll. Das Interesse, was mit dem Ochsen passiert und wer das gastronomische Gesicht sein wird, war enorm.

Sind Sie nun von der Baugenossenschaft Am Dorfplatz angestellt?
Nein, die Baugenossenschaft hat den «Ochsen» an Pius Suter verpachtet, der eine GmbH für den «Ochsen» gegründet hat, bei der ich als Gastgeberin angestellt bin. Suter ist Gastro­berater und Pächter weiterer Betriebe in Luzern und Umgebung. Das ist perfekt, denn niemand wollte, dass hier eine Kette übernimmt oder die x-te Pizzeria einzieht!

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Anja Waltenspül: «Die Littauer und Littauerinnen sind glücklich, dass ihr gewohntes Gastronomiekonzept im ‹Ochsen› weitergeführt wird. Es passt auch hierher.» (Bild: Daniel Winkler)

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit aus?
Ich habe sehr viele Freiheiten. Lohn- und Preisverhandlungen oder Kalkulationen wickeln wir gemeinsam ab. Pius Suter übernimmt im Hintergrund viel für mich, damit ich im operativen Betrieb sein und mich um die Gäste und die Mitarbeitenden kümmern kann. Das macht vieles leichter, da ich noch nie einen Gastronomiebetrieb allein geführt habe. Klar, mit der Hotelfachschule sollte man theoretisch alles beherrschen, aber in der Praxis ist es immer anders, und ich bin dankbar, von seinem Erfahrungsschatz profitieren zu können.

Was wird im «Ochsen» an Kulinarischem aufgetischt?
Gutbürgerliche, bodenständige Schweizer Küche. Wir bieten so weit wie möglich Saisonales und Regionales aus der Innerschweiz an. Und einen Weisswein vom Litttauer Berg: den Littauer Riesling der Familie Wicki. Ich finde ihn super. Man bekommt ihn nur selten, und ich setze ihn bewusst in den Offenausschank, um das Regionale zu verankern.

Wie läuft es, sind Sie gut gebucht?
Wir sind sehr gut gestartet für eine Wiedereröffnung. Am Mittag ist Schnelligkeit elementar, damit es für die Arbeiter und Arbeiterinnen attraktiv ist. Wir bieten neben einem Tagesmenü drei bis vier Gerichte während der ganzen Woche in verschiedenen Preisklassen an, plus immer etwas Vegetarisches. Mal kommen 15 Gäste, mal 70, dann ist es voll. Das muss sich noch einspielen. Ebenso am Abend beim À-la-Carte.

Wer sind Ihre Gäste?
Eine bunte Mischung. Ältere, die seit klein auf hier verkehren. Jüngere aus den Vereinen, die nach Proben oder Turneinheiten noch auf ein Glas vorbeikommen. Dann ist die Gaststube bis spätabends voll. An manchen Abenden geht die Tür fast permanent auf und zu! (lacht) Dazu Familienfeste und Leidmahle oder GVs von Vereinen der Umgebung, denn wir haben hinten noch einen grossen Saal für rund 100 Personen.

Was ist die grösste Herausforderung?
Allem und allen gerecht zu werden. Zeit zu fin­den für Gäste, die gerne ein Gespräch führen, für Mitarbeitende, die ein Anliegen haben, um administrative Aufgaben zu erledigen und nicht zu vergessen, dass ich noch Wein bestellen muss. Das Haus unter Kontrolle zu halten, ist nicht zu unterschätzen, denn es passiert stets Unvorhergesehenes. Aber das ist Gastronomie!

Was treibt Sie jeden Tag aufs Neue an?
Das Schönste ist, wenn ich Gäste glücklich machen kann. Wenn sie mit einem Lächeln hinausgehen, sei es, weil sie gut gegessen oder sich gut unterhalten haben.

Werden Sie hier im «Ochsen» dereinst pensioniert?
(lacht) Das geht mindestens noch 35 Jahre! Aber ja, ich möchte langfristig hier bleiben.