Gastronomie

Wer ernten will, muss säen

Cristina Bürgi – 03. Mai 2017
Er hat über 35 Jahre lang die kulinarischen Geschicke im Gstaad Palace geleitet und dabei über 100 Kochlernende ausgebildet: ein Gespräch mit Hugo Weibel.

Sie waren das Aushängeschild des Gstaad Palace: Executive Chef ­Peter Wyss und Chef de Cuisine Hugo ­Weibel. Das erfolgreiche Team arbeitete während mehr als 30 Jahren gemeinsam in der Palace-Küche, empfing Gäste von nah und fern und bildete Kochlernende aus. Doch Anfang März war Schluss: Während Peter Wyss sich pensionieren liess, wird sich Hugo Weibel zunächst eine Auszeit gönnen und sich dann neu orientieren. GastroJournal traf den 60-Jährigen ein letztes Mal im Gstaad Palace und blickte mit ihm auf seine Kochkarriere zurück. GastroJournal: Sie haben sich entschieden, Ihre Karriere in der Küche zu beenden. Können Sie sich noch an die Anfänge erinnern?
Hugo Weibel: Oh ja, sehr gut sogar. Ich habe schon immer gerne geba­cken; Rüeblitorte war meine Spezia­lität. Deswegen interessierte mich auch die Arbeit als Koch. Nach der obligatorischen Schulzeit bin ich nicht einmal Schnuppern gegangen, sondern habe gleich mit der Lehre im damaligen Restaurant Bären in Cham begonnen. Es war eine harte Zeit, während der ich oft eine Krise hatte. Doch eine gewisse Härte ist gut: Man muss viel Ausdauer haben, wenn man als Koch erfolgreich sein möchte. Ich sage den Jungen auch heute noch: Wenn der Wille da ist, kann man fast alles erreichen.

«Man kann nur stark sein, wenn man mit den Jungen zusammenarbeitet»
Warum hatten Sie oft eine Krise?
Ich hatte damals das Gefühl, in der Lehre nicht so viel gelernt zu haben. Die heutige Ausbildung ist viel strukturierter als zu meiner Zeit. Wir haben dazumal in der Schule ständig den Pauli abgeschrieben oder mussten Listen mit allen Ländern und ihren Nationalgerichten erstellen. Etwas, das man heute überhaupt nicht mehr braucht. Und doch scheint es um den Nachwuchs im Gastgewerbe heute schlechter zu stehen.
Der Markt ist tatsächlich etwas ausgetrocknet, was Fachkräfte angeht. Aber die Jungen, die sich bewerben, wollen etwas lernen. Das war früher so und ist auch heute noch so. Deswegen muss man ihnen etwas bieten, sie fördern und bei der Stange halten. Man kann ja nur stark sein, wenn man mit den Jungen zusammenarbeitet. Dafür muss man aber auch privat für sie da sein: Wir sind zum Beispiel häufig gemeinsam auf die Alp frühstücken gegangen oder haben Fussballturniere organisiert. Das hat alle richtig zusammengeschweisst. Und was man sät, das erntet man: Die investierte Zeit kam in Form von aufgestellten Jugendlichen, Zufriedenheit und Dankbarkeit zurück. Kannten Sie nie Lernendenmangel?
Auch wir hatten früher etwas mehr Bewerbungen. Man spürt, dass die Systemgastronomie im Unterschied zur klassischen Kochlehre einen rechten Zulauf hat. Ich arbeite ja als Berufsschullehrer bei Hotel & Gastro formation in Weggis und beobachte, dass drei bis vier Mal so viele Schüler in den Systemgast­ronomie-Kursen sitzen als in den Kochklassen. Wie erklären Sie sich das?
Ich denke, dass die Ausbildung etwas vielfältiger ist. In der Kochlehre geht es hauptsächlich ums Kochen, während man in der Systemgastronomie auch den Point of Sale kennenlernt: wie man Dinge vermarktet und präsentiert.
«Wir sollten öfter zeigen, dass wir Plausch an der Arbeit haben»
Mit Kochen hat das zwar nicht mehr viel zu tun, aber dafür legen die Systemgastronomen wirklich viel Wert auf eine attraktive Präsentation der Speisen, beispielsweise beim Frühstücksbuffet. Davon könnten wir Köche uns eine Scheibe abschneiden, wir sind manchmal etwas schnell mit unserer Leistung zufrieden. Es ist jedoch ganz wichtig, dass der Gast spürt, dass wir motiviert sind und Plausch an unserer Arbeit haben. Was könnte man am Kochberuf ändern, um ihn schmackhafter zu machen?
Die Zimmerstunden sind sicher ein grosses Handicap. Wir sollten das Arbeitszeitmodell überdenken und eventuell mit zwei Schichten pro Tag arbeiten. Dabei sollten wir auf die Jungen und ihre Stärken eingehen: Wer arbeitet mittags besser, wer abends? Es muss aber auch ein Umdenken seitens der Eltern stattfinden: Viele möchten, dass ihre Kinder die Matur machen oder ein Studium absolvieren. Kochen als klassisches Handwerk wird hingegen eher abgelehnt. Dabei ist es ein wunderschöner Beruf, der zudem viele Karrieremöglichkeiten bietet – gerade auch im Ausland. Im Gstaad Palace arbeiten viele langjährige Mitarbeitende. Wie ist das in Zeiten hoher Fluktuation noch möglich?
Einerseits mit einem anständigen Lohn. Die Verhandlung war zwar immer ein Kampf, aber die Leute waren es uns wert. Andererseits bringt es uns wenig, wenn jemand nur für eine Saison bleibt. Deswegen haben wir den Bewerbern von
«Die Zimmerstunden sind für den Nachwuchs ein grosses Handicap»
Anfang an gesagt, dass wir an einer langfristigen Zusammenarbeit interessiert sind. Man muss sich im Betrieb etablieren können. Und das ist etwas, was ich heute an den Jungen ein wenig kritisiere: Sie haben nicht mehr so viel Sitzleder wie wir. Ich war damals unglaublich stolz, als ich als Commis Saucier im Palace anfing. Für mich war das eine Ehre, weil das Hotel einen sehr guten Namen hatte. Etwas mehr Berufsstolz täte den Jungen auch heute gut. Sie wollten früher selbständig werden und die Welt bereisen. Warum ist daraus nichts geworden?
Ich war immer gut ausgelastet, entweder mit Unterrichten oder mit der Saison im Palace. Ausserdem sind wir oft zu Köchen ins Ausland gereist, wo wir eine «Schweizer Woche» durchgeführt haben: in Asien, Argentinien, Riad... Das hat nicht nur den Kontakt mit Kollegen gestärkt, sondern auch gute Werbung für unser Hotel und die Schweiz im Allgemeinen gemacht. Und so hat es mir eigentlich nie an etwas gefehlt. Was haben Sie als Nächstes vor?
Mit 60 Jahren möchte ich nicht mehr als Koch arbeiten. Für mich waren die ersten 20 Jahre Ausbildung, die letzten 40 Jahre Arbeiten und nun – nun kommen meine 20 Jahre Selbstverwirklichung. Ich möchte mir mehr Zeit für mich selbst nehmen, viel lesen, wandern, vielleicht Pilze sammeln und Spargeln stechen. Auch eine Arbeit im sozialen Bereich könnte ich mir vorstellen. Aber das wird sich erst noch weisen.

Ein Lieblingsrestaurant
Resti
Hugo Weibels Lieblingsrestaurant ist immer jenes, in welchem er gerade isst. Er passt sich gerne den verschiedenen Küchen an. Besonders beeindruckt hat ihn die «Auberge du Pont de Collonges» in Lyon: Das Restaurant unter der Leitung von Paul Bocuse besitzt seit 1965 drei Sterne im Guide ­Michelin. «Die Gerichte sind auf ­einem Top-Qualitätsniveau und sehr schön angerichtet», findet Weibel. «Es ist sensationell.»