Gastronomie

Quer rein und dann hoch

Fabrice Müller – 23. Mai 2019
In der Gastronomie und Hotellerie arbeiten viele, die den Quereinstieg aus einer anderen Branche wagen. Das GastroJournal hat zwei Gastgeberinnen und einen Gastgeber getroffen, die über ihre Erfahrungen des Quereinsteigens erzählen.

Vom lebhaften Kornhausplatz in Bern, wo sich Touristenströme und Berufstätige begegnen, geht es rechts in die eher beschauliche Rathausgasse mit ihren Boutiquen und Ateliers. Die beiden Laubengänge führen zum Rathausplatz. Hier befindet sich die Volver Bar. Die Tapas-Bar mit zehn Tischchen und einer grossen Bar aus Eichenholz ist heute Mittag bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit einem Lächeln begrüsst David Trachsel, Mitinhaber des Lokals, den Schreibenden. Die Bar setzte vor neun Jahren als erste in Bern auf Tapas.
Neuland betrat auch David Trachsel, als er damals den Sprung in die Gastronomie wagte. Der heute 42-Jährige arbeitete zuvor während dreier Jahre als Innendekorateur in Gstaad und Biel sowie während sieben Jahren als Dekorationsgestalter in Bern. Zwischen Gstaad, Paris und Bern richtete er die Chalets und Wohnungen von Millionären ein. Als ihn eine Freundin in einem ehemaligen Buchantiquariat in Bern auf die Idee brachte, eine Tapas-Bar zu eröffnen, entschied er sich, als Teilinhaber der neu gegründeten Aktiengesellschaft mitzuwirken. «Die Arbeit als Kellner war seit jeher mein zweiter Traumberuf », erzählt Trachsel. Er leitete den Umbau des Lokals und übernahm einen Grossteil der Arbeiten selber. Im Februar 2010 wurde das Lokal eröffnet. Trachsel zählt zu den insgesamt 20 Prozent an Gastgeberinnen und Gastgebern, die den Quereinstieg in die Gastronomie oder Hotellerie gewagt haben. Von der Touristikerin zur Gastgeberin
Bereits 2002 ging der Wunsch von Isabelle Meier in Erfüllung, ein eigenes Bed & Breakfast zu betreiben. Die damals 24-Jährige absolvierte ein Studium an der Tourismusfachschule Luzern und arbeitete parallel dazu als Touristikfachfrau bei Luzern Tourismus. «Durch den Kontakt mit den Touristen stellte ich immer wieder fest, dass ein kleines, aber feines B&B im Zentrum der Stadt einem grossen Bedürfnis entspricht. » Als das Haus ihrer Grossmutter, mitten im Stadtzentrum an der Taubenhausstrasse 34 gelegen, frei wurde, packte Isabelle Meier die Chance. Zusammen mit ihren Eltern kaufte sie das Haus aus der Erbengemeinschaft frei und baute es in ein B&B um. «Es ist sozusagen ein Familienprojekt», erzählt Isabelle Meier. Ihre Mutter wirkt von Anfang an im B&B mit, ihr Vater kümmert sich um den Garten. Damals gehörte Isabelle Meier zu den jüngsten Hoteliers in Luzern, wenn nicht sogar schweizweit. Das B&B startete am Anfang mit acht Gästezimmern, wurde aber im Lauf der Jahre laufend erweitert, renoviert und besteht heute aus 13 Zimmern mit insgesamt 30 Betten. Der Charme des 1924 erbauten Gebäudes ist in allen Räumen spürbar – mit historischen Parkettböden und Stukaturdecken. Untergeschoss ausgebaut
Historisch ist auch das Bauernhaus von Theres Merkofer und Christian Meyer im aargauischen Kaisten. Im Untergeschoss, wo sich einst der Gemüsekeller und vorher eine Schreinerei befand, entstand ein kleines Restaurant mit 30 Plätzen sowie einer lauschigen Gartenwirtschaft direkt neben dem Dorfbach. Alte Bruchsteinmauern und ein Torbogen aus Ziegelsteinen sorgen für ein besonderes Ambiente im Restaurant Laurus. Zu den Spezialitäten gehören Lammgerichte aus eigener Haltung sowie Gemüse und Salat aus der Region. Regional ist auch das Weinangebot mit schönen Tropfen aus dem Fricktal. Theres Merkofer verwöhnt die Gäste in der Küche, Christian Meyer übernimmt den Service und ist für die Tierhaltung verantwortlich. Im Januar 2018 wurde das Restaurant eröffnet. Zuvor arbeitete Theres Merkofer während 30 Jahren in der Chemie und half nebenbei als Bar- und Serviceangestellte in diversen Restaurants aus – aus Freude am Umgang mit Menschen, wie sie betont. Zudem sei sie eine leidenschaftliche Hobbyköchin. «Wir hatten schon seit Längerem die Idee, uns beruflich selbstständig zu machen. Nach dem Vorbereitungskurs für die G1-Modulprüfung bei GastroAargau in Unterentfelden stand mein Entscheid fest, ein eigenes Restaurant zu eröffnen.» Aufwand unterschätzt
Wie erlebten die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger ihren Start im Gastgewerbe? Es sei turbulent gewesen, erzählt Theres Merkofer, die von den hohen Gästezahlen überrascht war. «Ich habe den Aufwand, ein eigenes Restaurant zu führen, am Anfang klar unterschätzt. Deshalb mussten wir die Öffnungszeiten etwas anpassen, um nicht unter die Räder zu kommen.» Einen Zusatzaufwand bedeute zudem die Arbeit hinter den Kulissen mit Einkauf, Buchhaltung und Korrespondenzen. «Wir haben zum Teil 14 bis 16 Stunden pro Tag. Das war für mich vor allem an Anfang ungewohnt und streng», erzählt David Trachsel. Zwischen 2012 und 2014 wirkte er als Geschäftsführer des Betriebs. Inzwischen wurde diese Stelle extern besetzt. «Ich trage die Verantwortung für das Lokal mit. Mit diesem Druck umzugehen, war nicht immer einfach. » Hinzu kam die hohe Präsenz des Gastgebers in der Öffentlichkeit und in den Medien, was für ihn – wie er betont – ebenfalls gewöhnungsbedürftig war. «Heute hätte ich den Mut nicht mehr»
Wenn Isabelle Meier heute auf ihre Anfangszeit als Quereinsteigerin zurückblickt, meint sie schmunzelnd: «Ich war damals voller Energie, aber etwas naiv. Es war mir nicht bewusst, was bei diesem Projekt alles hätte schiefgehen können. Heute hätte ich diesen Mut wahrscheinlich nicht mehr.» Ungewohnt für die Tourismusfachfrau waren zum Beispiel die langen Arbeitszeiten, manchmal bis spät in die Nacht. Dies sei für sie nie ein Problem gewesen, betont Isabelle Meier, die mittlerweile Mutter von drei Mädchen ist. Als Nachteil bezeichnet sie die geringe Privatsphäre als Gastgeberin sowie ein eingeschränktes Freizeitverhalten – bedingt durch die etwas anderen Arbeitszeiten. Das B&B von Isabelle Meier ist jeweils bis 20 Uhr geöffnet. Auf der fachlichen Ebene profitierte die Unternehmerin von ihren Kenntnissen in Buchhaltung, Marketing und Betriebswirtschaft. Am gleichen Strick gezogen
Für einen erfolgreichen Start als Quereinsteiger im Gastgewerbe müsse man leidensfähig sein und Leidenschaft als Gastgeber mitbringen, sagt David Trachsel. Es gelte, auf vieles zu verzichten – allen voran auf Freizeit. «Wenn andere in den Ausgang gehen, stehe ich im Lokal und arbeite. Deshalb ist es umso wichtiger, dass einem die Arbeit Spass macht», sagt Trachsel. Mit dem Entscheid, ein Lokal mit Tapas-Gerichten zu eröffnen, fanden er und sein Team eine Marktlücke, die sich auszahle. Neben einem guten Konzept sei es aber auch wichtig, als Gastgeber authentisch zu sein und ein gutes Team zu haben. «Die Gäste spüren, dass wir im Team ein gutes Verhältnis zueinander haben. Wir lassen unseren Mitarbeitenden viele Freiheiten.»
Isabelle Meier schätzt die längeren Begegnungen mit ihren Gästen – dies im Vergleich zu ihrer Tätigkeit bei Luzern Tourismus. «In meinem B&B kann ich meine Leidenschaft, andere Menschen glücklich zu machen, ausleben. Zudem geniesse ich es, meine eigene Chefin zu sein.» Positive Bilanz zieht auch Theres Merkofer: Viele Stammgäste aus der Region, aber auch aus anderen Kantonen, besuchen das Restaurant Laurus, das oftmals ausgebucht ist. «Geholfen hat uns zum einen, dass wir von Anfang an an unser Projekt geglaubt und am gleichen Strick gezogen haben», sagt die Gastgeberin. Zudem schätzten die Gäste das Konzept mit regionalen Produkten. Kalkulieren und investieren
Wie wichtig es ist, als Unternehmerin im Gastgewerbe vorsichtig zu kalkulieren und zu investieren, lernte Isabelle Meier, als es darum ging, die Gästezimmer einzurichten. «Um mein schmales Budget nicht zu überstrapazieren, schaffte ich nur die wichtigsten Sachen an und verzichtete auf allzu viel Luxus.» Anstatt alles auf einmal zu realisieren, investierte die B&B-Unternehmerin laufend in neue Einrichtungen und Renovationen.
Als Lernplatz bezeichnet David Trachsel die Kalkulation und Finanzen. Im ersten Halbjahr nach der Eröffnung beschloss das Team, zwei Wochen Betriebsferien einzuplanen. «Dies brach uns fast das Genick, denn dadurch fehlten uns wichtige Einnahmen, um die laufenden Kosten zu zahlen.» Erst kürzlich erhöhte das Lokal den Preis für den Espresso von 3 Franken 50 auf 4 Franken. Mit einem etwas mulmigen Gefühl am Anfang, wie David Trachsel berichtet. Obwohl die meisten anderen Lokale die Preise für den Café längst angehoben haben.
Mittlerweile hat David Trachsel sein Pensum in der Volver Bar auf 50 Prozent reduziert und arbeitet daneben als selbstständiger Inneneinrichter – unter anderem für die Gastronomie. «Mit dieser Lösung kann ich meine Leidenschaft für das Gestalten von Räumen mit jener für die Gastronomie verbinden», freut sich der Unternehmer, auch wenn es eine Herausforderung sei, beide Berufe unter einen Hut zu bringen.