Gastronomie

Nach dem grossen Ereignis

Romain Wanner – 31. Mai 2017
Kochwett­bewerbe geniessen derzeit ein grosses Interesse, sei es von Fachleuten, Sponsoren oder der breiten Öffentlichkeit. Doch inwiefern profi­tieren die Köche davon?

Die Vorbereitung auf einen Fachwettbewerb auf Spitzenniveau ­dauert ungefähr ein Jahr. Während dieser Zeit denken alle Kandidaten ständig an ihren Wettbewerb – und träumen wohl auch davon. Jeden Tag üben sie unermüdlich, ändern ihre Gerichte und setzen alles daran, ihre Speisen zu perfektionieren. Dann kommt der Tag des Wettbewerbs, und mit ihm der Leistungsdruck. Sobald die Stoppuhr läuft, befinden sich die Köche in einer Stresssituation, die mit einer berauschenden Nervosität einhergeht und erst nach Fertigstellung der Gerichte verschwindet. Dann folgt das oft endlos scheinende Warten auf die Resultate, die erst nach langen Reden der Sponsoren und Schirmherren der Veranstaltung bekannt werden, schliesslich das Feiern des Erfolgs, das Medieninteresse an den Gewinnern und abschliessend ein schönes, grosses Fest. Und dann vergeht der Zauber. Das Material muss zurückgebracht, der Lastwagen geleert und gereinigt werden. Und manchmal nehmen die Kandidaten bereits am Folgetag die Arbeit wieder auf. Als ob nichts ­gewesen wäre. Denn der Gast, der zu Mittag kommt, kümmert sich nicht darum, dass der Koch am Vortag während fünf Stunden wie ein Löwe gekämpft hat. Er will einzig seine Bestellung, die mindestens so gut wie gestern sein muss. Zahlreiche Erinnerungen und noch viel mehr nehmen Köche von Kochwettbewerben mit nach Hause. Und auch wenn sich alle wettbewerbs­erprobten Köche einig sind, dass «die Kochwettbewerbe und die Alltagsarbeit zwei verschiedene Paar Schuhe sind», wie Florian Bettschen, der bei zahlreichen Wettbewerben mit einer Medaille ausgezeichnet wurde, stellvertretend für seinen Berufsstand sagt, gibt es auch Aspekte, die für Wettbewerbe wie auch die tägliche Arbeit gleichermassen gelten: «Mit Fleiss und Schweiss kann sehr viel erreicht werden», sagt der Spitzenkoch im Hotel Seepark in Thun. Es stimmt. Wer an einem Wett­bewerb teilnimmt, ist bereit, sich selbst zu übertreffen. Während ­Monaten wird er unermüdlich die selben Gesten ausführen, die selben Rezepte, und das Anrichten üben, bis er mit dem Resultat zufrieden ist. Um Perfektion zu erreichen, muss der Kandidat sich auch der harten Kritik seiner Berufskollegen stellen. Und manchmal kommt er nicht umhin, sich zu hinterfragen, seine Fehler zu beurteilen und sich erneut an die Arbeit zu machen, um noch besser zu werden. Dies erfordert ein gewisses Durchhaltevermögen, welches die Wettbewerbsteilnehmenden während ihrer gesamten Berufskarriere begleiten wird. Der Wettbewerb vermittelt den Kandidaten noch weitere Fähigkeiten, wie Flexibilität und Anpassungsvermögen. Einmal in seiner Box, kann sich der Kandidat am Tag des Wettbewerbs nur noch auf sich selbst verlassen. Wenn etwas ­Unvorhergesehenes eintrifft, was bei Kochwettbewerben sehr häufig der Fall ist, muss der Koch eine ­Entscheidung treffen, sich der ­Situation anpassen und schnell eine geeignete Lösung finden, um sein Gericht trotzdem in der vorgege­benen Zeit fertigzustellen. Auch bei der täglichen Arbeit ist diese Flexibilität äusserst wichtig. Denn in ­einer Küche ist jeder Tag anders und man weiss nie so genau, was alles passieren wird. «Das Netzwerk und die Kontakte, die man während eines Wettbewerbs knüpft, sind ausserordentlich», sagt Fernando Michlig, Küchenchef im Hotel Tenne in Reckingen-­Gluringen. Die Wettbewerbe ermöglichen fast allen Köchen, zahlreiche Kontakte zu schliessen, sei es in der Schweiz oder im Ausland. Dabei handelt es sich nicht nur um flüchtige Begegnungen, sondern es entstehen wahre Freundschaften, die über Jahre halten. «Wenn einmal etwas ansteht, weiss man, wo man anklopfen kann, um Unterstützung zu bekommen», sind sich Fernando Michlig und Florian Bettschen einig. Hinzu kommen die beruflichen ­Möglichkeiten. Ein Koch, der sich bei Kochwettbewerben einen Namen macht, hat sich in seinem Beruf bewiesen. «Aber auch ein Koch, der bei Wettbewerben keine Medaillen holt, ist deswegen noch lange nicht als schlechter Berufsmann zu werten», erklärt Florian Bettschen. Im Gegenteil. Die Teilnahme an Wettbewerben zeugt von Engagement und einer sehr grossen Begeisterung, die es zu würdigen gilt, egal wie das Endresultat ausfällt. Sie wirkt sich demzufolge hauptsächlich positiv auf die Karriere aus. So sind es meistens die Wettbewerbsköche, die das Vertrauen von Investoren für sich gewinnen können. Und dann gibt es auch Kandi­daten, die direkt ein Angebot erhalten. Entweder für die Teilnahme an anderen Wettbewerben, wie es ­Sophie Vaz in der letzten Ausgabe des GastroJournals erklärte, oder manchmal auch für einen Job. Es ist beispielsweise kein Geheimnis, dass einige Koch-Vereinigungen jungen Talenten ermöglichen, an ihren internen Wettbewerben teilzunehmen. Einige Kandidaten erhalten auf diese Art, und dank der Unterstützung der lokalen Bruderschaft, eine Stelle im Ausland. Demzufolge sind die Wettbewerbe für den Berufsstand in den meisten Fällen eine Chance. Und wer den Kochberuf mit Bravour vertritt, wird in der Branche grundsätzlich dafür belohnt. Allerdings sind die Karrieremöglichkeiten nicht überall zwingend gegeben (siehe auch «Die Kehrseite der Koch-Wettbewerbe»).