Gastronomie

In der Gastronomie gehts ans Eingemachte

Gabriel Marty – 04. Juli 2019
Kosten- und Zeitmanagement sind wichtige Faktoren eines erfolgreichen Gastronomiebetriebs. Inhouse Convenience erfordert beides, bietet im Gegenzug aber grosse Chancen.

René Widmer, von manchen als der am besten vernetzte Koch Europas bezeichnet, erinnert sich als Sohn eines Küchenchefs gerne an seine Kindheit im Rorschacher Hotel Helvetia zurück: «Ich half jeweils beim Kartoffelschälen. Die Küche war für mich schon damals ein Sinnbild für Heimat.» Doch dann kam er, der grosse Convenience-Boom der 70er- und 80er-Jahre. Diesem verfiel – wie die meisten – auch Vater Widmer «grausam», wie der Junior anmerkt. René Widmer war wenig begeistert: «Die Spätzli beispielsweise waren hart und was den Geschmack angeht nicht mit Selbstgemachten zu vergleichen. Kurz: eine riesige Enttäuschung.» Er relativiert, dass er durchaus Verständnis für Betriebe habe, welche zu grossen Teilen auf Convenience-Produkte setzen. Diese seien heute deutlich besser. Tonnenweise Tomaten schälen
Aus dem heute 62-jährigen René Widmer wurde ebenfalls ein Koch. Nach seiner Ausbildung im Hotel Walhalla in St. Gallen zog es ihn nach Zürich ins Dolder Grand. Hier kam er erneut mit Convenience in Berührung – jedoch nicht mit jener, welche er bereits kannte. Statt aus dem Tiefkühler war diese hausgemacht. Er erinnert sich daran, wie stets eine neutrale Crèmesuppe zubereitet wurde und diese je nach Bestellung – im Frühling beispielsweise mit einer Spargel-Glace – angereichert wurde. Beeindruckend sei es gewesen, wenn die Tomaten jeweils reif waren. Sie hätten diese tonnenweise erhalten und zu Tomates concassées verarbeitet. «Schälen, entkernen, würfeln, einmachen. Danach konnten wir vom Herbst bis zum Winter davon profitieren. Und im Frühling ging alles wieder von vorne los.» GJ Inhouse Convenience Yvonne und Pedro Egli Im Restaurant von Yvonne und Pedro Egli fällt der Blick sofort auf die vielen Einmachgläser. Foto: Daniel Winkler Vom Koch zum Experten für Küchentechnik
Überall brachte er die im Dolder gesammelte Erfahrung bezüglich Inhouse-Convenience ein – auch als er die Helvetia vom Vater übernahm. Dort habe er nur hausgemachte Pasta serviert. Erstens habe man dadurch eine viel kürzere Kochzeit als bei industriellen Produkten, zweitens seien sie günstiger und die Leute seien wegen diesen Pasta zu ihm gekommen. «Die Gäste wussten und schätzten, dass die Spaghetti beim Betreten meines Lokals erst in Teigform existierten.» Nach vier Jahren als Beizer war ihm jedoch klar, dass er in die Küche gehöre und sein Wissen anderen Profis weitergeben möchte. So stieg er in die Gastronomie- und Küchentechnik ein und entwickelte ganze Schulungsprogramme. Nach zehn Jahren als Angestellter bei Menu System, Hugentobler und Franke rief die Selbstständigkeit auch in diesem Bereich. Seither berät er sowohl klassische Landbeizen als auch die Spitzengastronomie in Gastronomietechnik sowie Grossküchenplanung und schult Kunden auf neuen Geräten und damit verbundenen Techniken. René Widmer ist ein Verfechter von Selbstgemachtem geblieben. So hilft er seinen Kunden, mit passenden Geräten so viel wie möglich selbst zu produzieren. Zum Thema Inhouse Convenience referierte er auch beim diesjährigen «Hochgenuss»-Anlass, wo er dem Publikum unter anderem demonstrierte, wie gefriergetrocknete Früchte produziert werden. Noch immer glauben viele in der Branche, nur grosse Betriebe mit vielen teuren Geräten seien dazu geeignet, Inhouse Convenience zu produzieren. Dem widerspricht René Widmer vehement. Statt vielen Spezialgeräten brauche es in den meisten Fällen nur einen qualitativ guten Kombidämpfer: «Es ist vor allem Fleissaufwand.» GJ Inhouse Convenience Rene Widmer Kennt Küchengeräte und deren Potenzial wie kaum ein ­Zweiter: René Widmer. Foto: Daniel Winkler Mehr Einmachgläser als Biergläser
Yvonne und Pedro Egli stimmen Widmers Einschätzung zu. Das Ehe- und Wirtepaar führt seit 25 Jahren das Restaurant Egli in Gossau SG. Beim Betreten der Gaststätte stechen einem sofort die vielen Einmachgläser ins Auge. «Pro Jahr füllen wir circa 1400 Gläser», sagt Pedro Egli, welcher sich hauptsächlich um die Küche und den Einkauf kümmert. In den Gläsern finden diverse Produkte Platz – vom Kalbsjus, über eingelegte Essiggurken bis zum Quittengelée und vielem mehr ist alles dabei. Derzeit geht es den Essiggurken an den Kragen. Während sechs Wochen machen Pedro und seine zehn Voll- und Teilzeitangestellten insgesamt etwa 700 Kilogramm Gurken ein. Pedros Frau Yvonne, welche sich primär im Service den Gästen widmet und das Büro führt, beschriftet jedes einzelne Glas von Hand. Die Gurken im Glas sind ungeöffnet während zweier Jahre ohne Qualitätsverlust haltbar. So alt werden diese jedoch nie. «Pedro hat es nicht so gern, wenn ich den Verkauf der Gurken zu stark forciere, schliesslich dienen die Gläser in den Regalen auch zur Dekoration», meint Yvonne Egli mit einem Schmunzeln. Primär würden alle eingemachten Produkte für die Küche des Restaurants verwendet. «Tote Zeit» nutzen
Um die Inhouse Convenience für das Restaurant und den Verkauf an die Gäste produzieren zu können, machen das Ehepaar und die weiteren neun Voll- und Teilzeitangestellten keine Überstunden. Stattdessen nutzen sie die ruhigeren Momente des Tages, etwa zwischen 14 und 16 Uhr oder abends ab 22 Uhr. «Es ist schon eher eine Nachtarbeit. Aber da ich nicht der Typ bin, welcher oft zu den Gästen sitzt, um mit ihnen etwas zu trinken, stört mich dies nicht», meint Pedro Egli. Der durchschnittliche Zeitaufwand für Vorbereitungen beträgt pro Woche etwa acht Stunden. Und für einen Jus müsse er ja nicht die ganze Nacht in der Küche stehen. «Den kann man problemlos über Nacht köcheln lassen und ihn am Morgen abfüllen.» Westschweizer Label «Fait Maison»
Identität durch Selbstgemachtes gewinnt auch in der Romandie vermehrt an Bedeutung. Im Herbst 2017 wurde in der Westschweiz das Label «Fait Maison» lanciert. Dieses zeichnet Restaurants aus, welche Hausgemachtes den Fertigprodukten vorziehen. Zudem verpflichtet das Label Restaurants, zugekaufte Fertiggerichte in ihrer Karte mit einem Sternchen zu kennzeichnen. Knapp 300 Betriebe sind heute bereits dem Label angeschlossen. Unter diesen findet sich auch die Pinte Vaudoise in Pully mit Küchenchef Gaël Brandy. Für ihn sind «Selbstgemachtes» und «Convenience» Begriffe, welche sich gut vereinen lassen. Alle Gerichte mit Saucen, so auch Eintöpfe, sind selbstgemacht und werden auf Vorrat produziert. Dasselbe gelte generell für Saucen sowie auch für Pommes frites, welche er im Öl vorkocht, um ihnen à la Minute den letzten Schliff zu geben. Kunden wollen Klarheit, Einfachheit und Transparenz
Doch welche Gründe rechtfertigen den Aufwand? «Authentizität, Vielfalt, Flexibilität und Rückverfolgbarkeit», meint Brandy. Auch spare Inhouse Convenience Zeit und Nerven: «Es ist besser , so viele Dinge wie möglich im Voraus zuzubereiten, als alles in letzter Minute machen zu müssen. Dann nämlich besteht die Gefahr, überfordert zu sein.» Und schliesslich sind finanzielle Aspekte ebenfalls entscheidend. «Alles, was nicht hausgemacht ist, muss gekauft werden und ist somit teurer.» Gaël Brandy ist überzeugt, dass die Nachfrage von Gästen nach hausgemachten Produkten weiter wachsen wird. Ein Blick in den aktuellen Branchenspiegel bestätigt diese Annahme: Die über die Jahrzehnte zunehmende Komplexität in der Herstellung von Lebensmitteln fördert den Wunsch nach Klarheit, Einfachheit und Transparenz. Eine 2018 durchgeführte Befragung von GastroSuisse unter Mitgliedern und Konsumenten zeigt auf, was sich die jeweiligen Exponenten unter Hausgemachtem vorstellen. Am meisten wurde auf beiden Seiten genannt, dass die Gerichte vorwiegend selber produziert sind, Zutaten frisch eingekauft und auf Konservierungsstoffe verzichtet werden.