Es werde Licht

Michael D. Merz – 14. Oktober 2021
Wie schafft man Freiräume und neuartige Gastroerlebnisse? Raum- und Lichtkonzepte bringen mehr Attraktivität in die Innenräume. Ein Augenschein in drei multifunktionale Betriebe in Basel, Bern und Zürich durch Gastroarchitekt Tomi Bricchi, dem Schöpfer diverser Film- und TV-Sets.

Tomi Bricchi (55) kennt kaum eine Restaurant- oder Barbesucherin, und doch formte der Experte für szenische Architektur viele gefeierte Einrichtungskonzepte. Meist sind es architektonische Details, eine entsprechend subtile Kulisse, geeignetes Licht, ein adretter Tisch, die dafür sorgen, ob ein Betrieb intim-vertraulich oder bitter-kühl erscheint. Dazu gehören Mövenpick, Cucina Luzern, das Restaurant Bam Bou im The Hotel Luzern, aber auch TV-Set-Design in der Diskussionsplattform Arena, beim Kassensturz, Gredig Direkt oder Bardesign wie Pravda Luzern oder der NZZ am Bellevue.
«Ich gehe nicht unbedingt in Restaurants mit einem strengen Kamerablick und doch analysiere ich den Raum, lote Bedürfnisse aus, lasse ich mich hier und dort inspirieren», gesteht Bricchi. Der Setdesigner und Architekt begleitet und plant vielerorts Projekte mit Ausstrahlungscharakter. So hat er für Architekturkoryphäen wie Jean Nouvel in Luzern, mit dem Kunsthaus Zürich oder für die Olympischen Spiele in Rio von A bis Z und auf höchstem Niveau konzipiert.
Um Gastronomiebereiche neu auszugestalten, benötigt man diverse Spezialisten: Elektroplaner, Licht- und 3-D-Designer, Werbetexter und Bauplaner und Dekorbauer. Nichtsdestotrotz, ein Restaurantarchitekt wie Bricchi kennt die Prüfsteine, auf welche Gastrounternehmer treffen.

 

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Im Acqua sprudelt nicht nur das namensgebende Nass: Hier lassen einige originelle Kunstwerke die Gesichter der Gäste erstrahlen. Dazu gehören Raumelemente wie Kronleuchter von Heinz Julen sowie Leihgaben der Kulturstiftung Basel H. Geiger (Foto: Claudia Link)

Acqua Basel – Verspielte Kunst und Ambiance

Lange war die Verbindung von Basels Heuwaage zum Zoo Basel ein Durchgangsort. Allein das Acqua, ein stillgelegtes Wasserwerk, und das angrenzende Nachtigallenwäldeli versprachen so etwas wie Feierlichkeit und urbane Lauschigkeit im Südwesten von Basel. Seit 2005 versprüht das Acqua einen Geist von genüsslicher, verspielter Offenheit, so wie man es nur in Osterias an den Stadtränden Roms vermuten würde.

Eine Kunst bei Gebäudeumnutzungen sei es, «die neuen Nutzungselemente so einzufügen, als sie immer schon hier gewesen wären. Heizung, Lüftung, Kühltechnik und eben auch die ganze Elektronik.» Allerdings würden viele Ort nur so von Einrichtungselementen und Deko überquellen, daher suchte man hier bewusst eine Art zeitlose Eleganz. Der bekannte Basler Veranstalter und Gastronom Simon Lutz (55) von der Grupo Agio SA hat mit viel Verve die alten Fabrikgemäuer an der Binningerstrasse 14 wiederbelebt. Die einst industrielle Monotonie wurde stilvoll abgelöst durch idyllische Elemente wie Kristallleuchter und Kerzen, edle Tropfen und weltliche Melodien. Die Lounge hat eher etwas von einem Gartenhaus vor Olivenhainen, die Osteria selbst strömt Cheminée-Gemütlichkeit aus.

Speziell auch die Kunst- und Lichtinstallationen hinter den Türen des einstigen Wasserwerks haben ihre Wirkung. «Nicht umsonst sagt man: etwas im richtigen Licht erscheinen zu lassen», unterstreicht Simon Lutz die für ihn hohe Bedeutung von Lichtdesign. Aktuell werden im Acqua Licht-Installationen des Künstlerduos Jahic/Roethlisberger aus der Serie «Music – A Conversation Through Song Titles» gezeigt. Kokettierende Anspielungen – eben auch diverse Musik­zitate – spielen mit dem Verstand der Kunstfreunde. Die Leihgaben der Kulturstiftung Basel H. Geiger können zugunsten der Organisation «Viva con Agua Schweiz» ersteigert werden.

Wie findet Tomi Bricchi, der Innenarchitekt, das Image, welche solche Installationen in einem Restaurant vermitteln? «Jedes Projekt ist zu Beginn für mich ein neutrales, weisses Blatt Papier. Erst dann beschäftige ich mich mit einem Modell, um ein Farb- und Raumgefühl zu entwickeln.» Lichtinstallationen seien bestens für fliessende Übergänge, aber auch für räumliche Kontraste geeignet, so Bricchi. «Diese sollen den Gast inspirieren, übliche Angebotsmuster weiterzudenken.» Diesen offenen und doch verspielten Charakter wollten auch die Innenarchitekten herstellen: «Bei der Realisation des Acqua sollten Attribute wie Authentizität und Harmonie an erster Stelle sein. Dabei ist es wichtig, alles wie aus einem Guss erscheinen zu lassen», erklärt Simon Lutz. All dies bekomme mit einzigartigen Gerichten, tollen Wein- und Longdrink-Karten, einer schönen Musikselektion und einladendem Licht eine unverwechselbare Atmosphäre.

Eine gelungene Atmosphäre ist für Simon Lutz wie ein Gesamtkunstwerk. «Dieser Begriff bringt es auch ziemlich auf den Punkt», ergänzt Cornelia Haag, Geschäftsführerin im Acqua. «Denn», so Haag, «Gastronomen sind immer Dramaturgen, die ein Erlebnis vermitteln, welches man gleichzeitig sieht, schmeckt, riecht und kostet.»

 

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Da, wo Geschichte auf Moderne trifft, hat die Burger­gemeinde Bern mit einem Zunfttisch zur Wiedereröffnung des Casino Bern letztes Jahr einen geselligen Begegnungsort geschaffen (Foto: Simon Opladen)

Am Zunfttisch im Casino Bern

Szenenwechsel: Mitten im Casino Bern steht ein imposanter Eichentisch, wie für den Geschichtsunterricht konzipiert. An diesem «Zunfttisch» sollen die Gäste jedoch auf eine multisensorische Zeitreise mitgenommen werden. Unterhaltsame Einspielungen und animierende Projektionen ergänzen das ausgetüftelte, neungängige Menü von Spitzenkoch Ivo Adam (43). Adam, seit 2016 Direktor im Casino Bern, sieht die heutige Gastwirtschaft auf neuen Wegen: «Unsere Gäste sollen nicht nur mehr über die Schweizer Geschichte, sondern auch über neue und nachhaltige Konzepte wie Urban Farming erfahren.»

Welche Wirksamkeit sieht Bricchi, der Gastroarchitekt, hinter dem Tribut an die Berner Zünfte mittels Gourmetgerichten und Infotainment bei Nicht-Zünftlerinnen? «Ich kannte dieses Projekt bislang noch nicht. Es geht aber genau in die Zukunft der Gastronomie. Der Gast will etwas erleben, was er von zu Hause her noch nicht kennt. Ein solcher Tisch oder eine Bühne können daher gut eingesetzt werden, den Gast in eine andere, ihm nicht geläufige Welt zu entführen, ihn für einen Moment zum Protagonisten zu erheben.»
Seit dem 9. September 2021 werden in der NZZ am Bellevue Gastronomie alle Sinnesebenen angesprochen. Am Sitz der NZZ, wo einst Druckmaschinen rotierten, gesellen sich heute Werber zu Weinliebhaberinnen, drehen lokale und internationale DJs an den Reglern. Die Wände und das Interieur schimmern vor lauter «Visual Art» und sogenannten immersiven Projektionen. So treten im Betrieb der NZZ am Bellevue die Morgengäste in Naturlandschaften ein, essen Städtereisende vor Textzooms oder bunten Geometrien, zelebrieren Schweizer Stars vor kaleidoskopischen Mustern um Mitternacht. Das Visualisierungskonzept wurde vom Künstlerkollektiv Projektil umgesetzt, das in wenigen Jahren weit über eine Million Zuschauer mit spektakulären Lichtshows begeisterte, darunter das Lichtfestival Illuminarium im Landesmuseum.

Ob zum Pressefrühstück, Talk, zur Generalversammlung oder an ein Late-Night-Event: Schon ein paar Schritte hinter der Tramstation Opernhaus im Herzen von Zürich gibt es frisch zubereitete Menüs, Getränke, beflügelnde Dinner und viele weitere Kreationen im neuen NZZ-Juwel. Tomi Bricchi wurde gebeten, das Lokal mit 120 Sitzplätzen – ein facettenreiches Cafe, Restaurant, Bistro in einem – zu konzipieren.

Woher schöpft der Designer seine Ideen? «Die Sehgewohnheiten verändern sich mit den sozialen Medien und Multimedia immens. Die Einbindung dieser Komponenten war dabei eine logische Schlussfolgerung: ein weltliches 360-Grad-Erlebnis zu entwickeln.»

 

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Neben verwunschenen Naturlandschaften von den Projektil-Lichtkünstlern gibt eine bunte Geometrie den Ton im neuen Betrieb der NZZ am Bellevue in Zürich an (Foto: Steven Kohl/ZVG)

«Das Medium Licht erhellt unsere Seele»

Trotzdem, wie verleiht man in einer noch so bahnbrechenden Lokalität so etwas wie Intimität und doch feierliche Gravität, wenn die Raumverhältnisse von Gebäuden bereits bestehen? Bricchi begeisterungsvoll: «Das Medium Licht fasziniert mich schon seit jeher. Wie kaum ein anderes – ausser Musik – erhellt es unsere Seele. Ich bespiele Räume mit Licht. Dies erlaubt selbst in grossen, kahlen Räumen Intimität. Dabei spielen Farbtemperatur, Streugrad sowie die Schatteneinwirkung mit.» Beim NZZ am Bellevue sei es darum gegangen, sich diesen Hauptdarstellern unterzuordnen.

Wie sonst auf Redaktionen sollten auch die Inhalte und Präsentationen fliessend, modern, topaktuell wie in einem Studio wirken – wobei der Fokus auf Vergnügen rund um die Uhr gelegt wird. Die Verantwortlichen benötigten über zwei Jahre, dieses weltliche Erlebnis realisieren zu können. Wie stark tangierte Covid-19 die Konzeptarbeit des Innenarchitekten? «Glücklicherweise begannen wir früher damit, ein multimediales Erlebnis zu schaffen. Die epidemische Welle durchkreuzte weder unsere Arbeit noch wird es in Zukunft das visuelle Erlebnis des NZZ am Bellevue schmälern.» Das neue Lokal am Bellevue richtet sich nach dem Schutzkonzept von Gastro Suisse und einer für Mitarbeitende aufgeschlossenen Betriebsordnung der Pumpstation Gastro GmbH von Michel Péclard. Auf die Frage, wie eine Eventoase geführt werden muss, antwortet Tomi Bricchi: «Die Idee, ein hybrides Lokal zu entwickeln, hegten Michel Péclard und seine Partner seit geraumer Zeit. Ich wartete nur darauf, seine Vision einmal umsetzen zu können. Klar ist, dass multimediale, hybride Lösungen viel mehr Flexibilität mit sich bringen. Sie erlauben, wesentlich schneller reagieren zu können.»

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Tomi Bricchi: «Multimediale, hybride ­Lösungen bringen viel mehr Flexibilität»

Ins rechte Licht gerückt

Licht-Design steigert trübere Lebens­winkel deutlich – und trägt erst noch Sorge zu Mensch und Umwelt. Denn bis zu 21 Stunden verbringt ein Mensch in Räumen. Sei dies zu Hause, unterwegs, bei Freunden oder etwa an einer Veranstaltung wie einer Restauranteinweihung. Entsprechend wichtig ist es, dass sich Gastronomen den ­wandelnden Bedürfnissen ihrer Gäste annehmen. Vier erhellende Lösungen: 
• Lichtverschmutzung vermeiden Aussen- und Schaufensterbereichen eine entsprechende Dunkelheit zugestehen, lichtfreie Zonen und Bereiche respektieren. 
• Weniger Strom, modulierbares Licht Streuende, energie-intensive Installationen durch sublime, stromsparende LED-Leuchten ersetzen.
• Einrichtungen ausleuchten Mittels gezielten Lichtreflexionen den Raum und das Interieur charakteristisch / überraschend (beispielsweise wärmer, kühler, optisch symmetrischer oder variierend) beleuchten. 
• Gedankliche Zwischenräume   Durch interaktive Elemente (selektierte Musik, Projekt­ionen und mehr) eine direkte und indirekte Verbindung zwischen der Lokalität, Akteuren und Gästen ermöglichen.