Gastronomie

Einweggeschirr: die neue Herausforderung für die Branche

Caroline Goldschmid – 25. Februar 2020
Ob Mehrwegbehälter, Bento-Boxen, Verpackungen aus biologisch abbaubaren Materialien oder Strohhalme aus Bambus – immer mehr Gastronomen setzen sich mit Alternativen zu Plastik auseinander. Ein Vorgeschmack.

Eine Plastiktüte für den Transport, mehrere Plastikboxen für die verschiedenen Gerichte und Zutaten, Plastikbesteck mit Serviette, die in einer Plastikfolie verpackt ist, eine PET-Flasche, ein Plastikbecher mit Deckel und Strohhalm . . . Wer unterwegs eine Mahlzeit einnimmt, hinterlässt einen Berg Abfall, der, einmal verwendet, entsorgt werden muss. Wegen der grossen Menge Müll, die jährlich entsteht (alleine in der Schweiz produziert jeder Einwohner pro Jahr über 700 Kilogramm Abfall), hat sich die Europäische Union entschieden, Plastikverpackungen den Kampf anzusagen: Ab 2021 werden in der EU alle Produkte aus Plastik verboten, die dem einmaligen Gebrauch dienen. Gesetzlich verbieten? Ein Damoklesschwert In der Schweiz ist auf nationaler Ebene noch keine Gesetzesänderung vorgesehen. Dennoch haben sich mehrere Städte und Kantone zu mehr Engagement für die Umwelt verpflichtet. Das jüngste Beispiel ist die Stadt Genf, die Einweggeschirr aus Plastik seit dem 1. Januar 2020 aus öffentlichem Grund verbannt hat. Wie wirkt dieses neue Gesetz auf die Branche? «Aufgezwungen und wie eine Verpflichtung», betont Laurent Terlinchamp, Präsident der Société des Cafetiers, Restaurateurs et Hôteliers de Genève (SCRHG), der Genfer Sektion von GastroSuisse. «Während der Bundesrat und einzelne Kantone wie die Waadt sich für eine Sensibilisierung einsetzen und die Bevölkerung dazu ermuntern, umweltfreundlicher zu denken, leiden wir in Genf unter diesem Damoklesschwert einer Bestrafung, falls wir Plastikverpackungen nutzen. Das ist sehr unangenehm.» Bio-Kunststoff: lukrativer Markt, der nicht so grün ist Auch Leïla Rölli hält nichts von einem gesetzlichen Verbot. «Damit zwingt man die Menschen zu etwas, das sie unter Umständen gar nicht verstehen. Man sollte ihnen besser erklären, warum es sinnvoll ist, auf Plastikstrohhalme zu verzichten. Aus dem Austausch können sehr kreative Ideen für umweltfreundliche Alternativen entstehen», ist die Neuenburgerin überzeugt. Sie hat die Website «En Vert Et Contre Tout» gegründet, deren Ziel es ist, die Leser über Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen zu informieren. Rölli befürchtet, dass strengere Gesetze einen neuen Markt hervorrufen könnten: den der Wegwerf-Gegenstände aus nachhaltig produzierten Materialien, wie zum Beispiel Bio-Kunststoff. «Die Grossindustrie möchte weiterhin Profit machen, nun also unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit. Die alternativen Produkte, die sie anbietet, sind aber gar nicht so umweltfreundlich wie angenommen, weil sie einen Haufen graue Energie produzieren – unter anderem für ihre Fertigung, ihren Transport und ihre Entsorgung. Und das alles nur für die wenigen paar Minuten, in denen sie benutzt werden . . . » Mehrweggeschirr als intelligente Lösung In Lausanne VD wird nicht verboten, sondern ermutigt. Politik und Gastgewerbe setzen sich gemeinsam für die Umwelt ein: So hat GastroLausanne letztes Jahr zusammen mit der Stadt jene Restaurants finanziell unterstützt, die auf wiederverwendbare Mehrwegbehälter (je zehn Franken) der Marke Recircle setzen. Samira Dubart, Delegierte für nachhaltige Entwicklung, und Susan Sax, Präsidentin von GastroLausanne, gingen dabei noch einen Schritt weiter: Um die Abfallmenge zu reduzieren, haben sie das Konzept «RestoBox» entwickelt, das am 26. Februar offiziell vorgestellt wurde. Die Initiative spricht alle Gastronomen an, die Gerichte zum Mitnehmen anbieten, und sieht vor, dass sie diese nur noch in den Recircle- Boxen aushändigen. «Die Mehrheit unserer Mitglieder denkt umweltfreundlich, und viele verzichten bereits auf Strohhalme aus Plastik», erklärt Sax, die das Vidy Lunch Café in Lausanne führt. Das Recircle-Geschirr begeistert auch Marie D’Aloisio, Geschäftsführerin der Sandwicherie FriD’A in Neuenburg. Die Gastronomin hat die Mehrwegboxen bereits vor einem Jahr in ihrem Lokal eingeführt. «Sie sind super!», betont sie, während sie die violetten Behälter in allen Formen und Grössen vorzeigt. «Sie sind unzerstörbar und hermetisch, sodass sie auch für Suppen und Joghurt verwendet werden können. Ausserdem kann man sie in der Spülmaschine waschen und in der Mikrowelle erhitzen.» Die Sandwicherie hat nur neun Sitzplätze und verkauft daher einen Grossteil des Angebots zum Mitnehmen: Wraps, Sandwiches mit Brot von einem lokalen Bäcker, Salate, Suppen, Granola und Guetzli. Alles ist hausgemacht und besteht aus frischen und saisonalen Zutaten. «Die Recircle-Behälter sind so praktisch, dass manche Kunden sie mir sogar abkaufen, anstatt nur das Pfand zu bezahlen», schwärmt Marie D’Aloisio. Die Geschäftsführerin des 2012 eröffneten Lokals bietet ihren Kunden auch die Möglichkeit, das Essen in eigenen Behältern mitzunehmen – egal ob Tupperware oder Wasserflasche. In Basel werden Bento-Boxen gratis abgegeben Auch Metall eignet sich gut, um warme Speisen zu transportieren. Im Stadtzentrum von Basel bietet das Restaurant «Green Bento» am Mittag thailändische Spezialitäten vor Ort und zum Mitnehmen an. Das 2018 eröffnete Lokal hat sich von Anfang an dadurch hervorgetan, dass es seine Speisen zum Mitnehmen in einer Bento-Box ohne Pfand abgibt. Zusätzlich erhalten Kunden Essbesteck aus Metall. «Wir haben darüber nachgedacht, ob wir ein Pfand verlangen sollen, aber bis jetzt sind praktisch alle Bento-Boxen zurückgebracht worden. Die Gäste sind sehr ehrlich», erklärt die Geschäftsführerin Nettip Chumsuwan, eine gebürtige Thailänderin. Die Kundschaft von Green Bento besteht zur Mehrheit aus Stammgästen, die im Quartier arbeiten und ihre eigenen Behälter mitbringen. «Nebst den Bento-Boxen aus Metall bieten wir auch nachhaltig produzierte Take-away-Behälter aus Zuckerrohr an», ergänzt die Gastronomin. «Für meinen Mann und mich ist es sehr motivierend, Abfall zu reduzieren und die Umwelt zu schonen. Ausserdem finden wir, dass das Essen in Plastikbehältern nicht gleich gut schmeckt.» Ein nahegelegenes Büro macht bei Green Bento jede Woche eine Grossbestellung für seine Angestellten. «Wir liefern ihnen das Essen direkt in den Kochtöpfen und sie schöpfen sich daraus wie zu Hause. Anschliessend bringen sie uns die Töpfe wieder zurück, das läuft ganz unkompliziert ab.» Jene Gastronomen, die keine Mehrwegboxen anbieten, setzen dafür meist auf Take-away-Behälter aus natürlichen Materialien. Das ist zum Beispiel bei der Gruppe Capomondo der Fall, welche die acht «Luigia»-Pizzerien in der Schweiz und in Dubai führt sowie das neue «ByLù», welches am 1. Februar in Genf eröffnet worden ist. «Wir setzen uns seit mehreren Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander», erklärt Luca Giordani, F&B-Verantwortlicher der Capomondo-Gruppe. «Gerade beim Thema Verpackungen versuchen wir, uns stets zu verbessern. So verzichten wir in unseren Restaurants schon seit Längerem auf Plastik – und nicht erst, seit das neue Gesetz in Genf eingeführt wurde.» PLA, Bambus, Kokosnuss … Das von Luigi Guarnaccia und Enrico Coppola gegründete Unternehmen arbeitet mit Firmen aus der Schweiz und Europa zusammen, um seinen Gästen biologisch abbaubare und kompostierbare Behälter anzubieten. Darunter befinden sich Verpackungen aus PLA. Polylactid ist ein abbaubarer Kunststoff, der aus Maisstärke hergestellt wird, Bambus oder aus einer Mischung von Recycling-Papier und PLA. Auch in der Sandwicherie FriD’A hat Plastik nichts verloren: Hier werden Behälter aus Karton mit PLA-Deckeln für Salate angeboten und Verpackungen aus Karton und Kunstfasern für die Sandwiches. Je nach Produktionsland dieser Behälter können für den Transport jedoch weite Strecken per Schiff oder Flugzeug anfallen, die grosse C02-Mengen verursachen. «Wir bevorzugen deshalb Schweizer Hersteller wie Pacovis, deren Verpackungen aus pflanzlichen Materialien oder aus Agrar-Abfällen bestehen», sagt Luca Giordani von der Capomondo-Gruppe. Das Unternehmen Splaash produziert Strohhalme aus Bambus und Besteck aus Kokosnussfasern. Dabei achtet es auf den Anteil grauer Energie, der bei der Produktion anfällt. «Aus ökologischen Gründen machen wir nur vier Mal jährlich eine Bestellung bei unserem Lieferanten in Vietnam», erklärt Julie Samuel, die das Unternehmen im vergangenen Jahr mit einer Freundin gegründet hat. «Es wäre nicht konsequent, von einem nachhaltigen Projekt zu sprechen und sich monatlich 300 Strohhalme aus Asien liefern zu lassen. Indem wir weniger, aber dafür grössere Bestellungen aufgeben, sensibilisieren wir unsere Kundschaft und laden sie dazu ein, sich entweder der anstehenden Bestellung anzuschliessen oder auf die nächste zu warten.» Splaash ist ein Partner-Unternehmen von Gastro Lausanne und richtet sich in erster Linie an Restaurants, Bars, Clubs, Cateringdienste, Food Trucks, Take-aways und Badi- Beizli. Nebst dem Besteck aus natürlichen Zutaten vertreibt Splaash auch ein «Städter-Kit», das Besteck aus Kokosnuss, zwei Strohhalme aus Bambus und eine kleine Bürste zur Reinigung der Strohhalme enthält. Die Idee dahinter ist, dass die Konsumenten mit dem Kit auswärts essen und trinken können, ohne Plastik zu verwenden. Doch warum sollte dieser Kampf gegen Verschwendung die alleinige Verantwortung der Restaurants und Gastronomen sein? «Es gab eine Zeit, da trug jeder eine Metallschüssel und eigenes Besteck mit sich herum», ruft Susan Sax von GastroLausanne in Erinnerung. «Und da immer mehr von uns eine Wasserflasche und eine Einkaufstüte dabeihaben, stellt sich die Frage: Wieso nicht auch ein kleines Besteck-Set mit Messer, Gabel und Löffel hinzufügen? Das wäre die Rückkehr zu einer alten Gewohnheit, die sehr gut funktioniert hat.» Gastronomen sind nur ein Glied in der Kette So wie die Präsidentin von GastroLausanne ist auch Leïla Rölli der Meinung, dass Gastronomen nur ein Glied in der Kette sind: «Es muss gemeinsam etwas unternommen werden. Öffentlichkeit, Politik und Industrie haben alle ihren Teil der Verantwortung.» Zumal das Gastgewerbe bereits vor genügend Herausforderungen gestellt wird. «Neben den vielen Vorgaben, die sie beachten müssen, und den langen Arbeitstagen fehlt vielen Gastronomen schlicht die Zeit, um über ihren ökologischen Fussabdruck nachzudenken», stellt die Umweltexpertin fest. Dennoch ermutigt sie die Fachkräfte aus dem Gastgewerbe, sich für die Umwelt zu engagieren – denn dies könne nicht zuletzt einen positiven Einfluss auf das Image ihres Betriebs haben. «Gastronomen können die Einstellung ihrer Gäste beeinflussen! Wenn man umweltfreundliche Massnahmen im eigenen Betrieb einführt, ist das gar nicht so restriktiv wie oft angenommen. Letztlich geht es darum, neue Gewohnheiten einzuführen.» Das bestätigt auch Marie D’Aloisio, Geschäftsführerin der Sandwicherie FriD’A. «Dass Plastik günstiger und im Handel einfacher zu finden ist, liegt auf der Hand. Doch sobald man einen guten Lieferanten für nachhaltige Verpackungen gefunden und eine neue Routine etabliert hat, ist die Anfangsinvestition schnell vergessen. Man wird feststellen, dass der Wechsel gar nicht so umständlich ist. Ausserdem ist es ein schönes Gefühl, etwas Gutes für die Umwelt zu tun.»