Daniel Marbot 280524

Daniel Marbot / ist seit 2001 selbstständiger Gastrofachplaner sowie Gründer und Inhaber der Firma Gemasy.

Mit Gastfreundschaft Menschen hungrig machen

Die Schweiz ist weltweit bekannt für ihre atemberaubenden Landschaften, ihre Uhrmacherkunst und ihren exzellenten Käse. Doch was oft übersehen wird, ist die reiche und vielfältige Gastrokultur, die dieses Land prägt. Von traditionellen Berghütten, die herzhaftes Fondue servieren, bis hin zu Sternerestaurants – die Schweizer Gastronomie ist ein Spiegelbild der kulturellen Vielfalt und der hohen Ansprüche an Qualität und Service.

Vor vielen Jahren betreute ich ein kleines, familiengeführtes Hotel in den Schweizer Alpen. Die Besitzer, ein älteres Ehepaar, hatten das Haus seit Jahrzehnten geführt. Sie waren nicht nur Gastgeber, sondern auch Freunde und Vertraute ihrer Gäste. Einmal besuchte ich sie, um die Renovierungsarbeiten zu besprechen. An jenem Abend stürmte es heftig, und die Strassen waren aufgrund eines Schneesturms unpassierbar geworden. Statt meinen Aufenthalt auf das Geschäftliche zu beschränken, lud mich das Ehepaar ein, den Abend mit ihnen und ihren Gästen zu verbringen. Es war ein Abend voller Geschichten, Lachen und Musik. Jeder Gast wurde mit einer Herzlichkeit behandelt, die weit über den üblichen Service hinausging. Diese Erfahrung lehrte mich, dass wahre Gastfreundschaft eine Frage der Einstellung ist – eine Lektion, die ich nie vergessen habe.

In einer Zeit, in der Technologie und Geschwindigkeit unser tägliches Leben dominieren, stellt sich die Frage, was es bedeutet, echte Gastfreundschaft zu leben. Gastfreundschaft ist mehr als nur ein Beruf; sie ist eine Kunst, eine Philosophie und eine Lebensweise. Gastfreundschaft bedeutet, einem Gast nicht nur einen Ort zum Verweilen zu bieten, sondern auch ein Gefühl von Zuhause, von Wärme und von Zugehörigkeit. Sie erfordert eine Hingabe, die über das Materielle hinausgeht und sich auf das Zwischenmenschliche konzentriert. Doch in unserer modernen Welt, die von Effizienz und Gewinnmaximierung geprägt ist, scheint diese Kunst zunehmend in den Hintergrund zu rücken. Die Herausforderungen der heutigen Zeit, sei es der Fachkräftemangel, die steigenden Betriebskosten oder die wachsende Erwartungshaltung der Gäste, verlangen nach neuen Ansätzen. Aber was, wenn die Antwort nicht in der Neuerfindung, sondern im Rückbesinnen auf die Essenz der Gastfreundschaft liegt?

In einer auf menschlichen Interaktionen basierenden Branche ist es entscheidend, die Authentizität zu bewahren. Ein echtes Lächeln, ein aufrichtiges Gespräch und die Fähigkeit, auf die Bedürfnisse jedes Gastes individuell einzugehen, machen den Unterschied. Es sind nicht die durchgestylten Räume oder die modernsten Technologien, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sondern die kleinen Gesten der Menschlichkeit.

Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Trend, sondern eine Notwendigkeit. Doch Nachhaltigkeit sollte nicht nur in den Produkten und Prozessen sichtbar sein, sondern auch in der Art und Weise, wie wir mit unseren Gästen umgehen. Ein nachhaltiger Umgang bedeutet, Beziehungen aufzubauen, die auf Respekt und Wertschätzung basieren. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, die nicht nur den ökologischen Fussabdruck reduziert, sondern auch das soziale Gefüge stärkt.

Die Gastgeber tragen eine grosse Verantwortung. Sie sind Dienstleister und Botschafter einer Philosophie. Jeder Kontakt mit einem Gast ist eine Gelegenheit, einen positiven Einfluss zu hinterlassen. Es ist ihre Aufgabe, Orte zu schaffen, an denen sich Menschen wohl und willkommen fühlen. Dabei sollten man stets daran denken, dass Gastfreundschaft kein einseitiger Akt ist, sondern ein Dialog, bei dem auch Gastgeber lernen und wachsen können.

Um einen Betrieb einzigartiger zu machen, sollte man offen für neue Ideen bleiben und sich auf die wahren Bedürfnisse der Gäste konzentrieren. Schaffen Sie eine Atmosphäre, die Authentizität und Wärme ausstrahlt. Bieten Sie lokale und nachhaltige Produkte an, um die Verbindung zur Region zu stärken. Fördern Sie eine Kultur der Wertschätzung und des Respekts innerhalb Ihres Teams, denn zufriedene Mitarbeiter sind der Schlüssel zu zufriedenen Gästen.

Es sind die kleinen Dinge, die den Unterschied ausmachen. Ein persönlicher Gruss, eine unerwartete Aufmerksamkeit oder eine besondere Geschichte über die Herkunft eines Gerichtes können das Gästeerlebnis unvergesslich machen. Unsere Devise sollte sein: «Nicht hungrige Menschen satt machen, sondern satte Menschen hungrig machen.» Gastfreundschaft bedeutet, ein Verlangen nach mehr zu wecken – mehr Erlebnisse, mehr Menschlichkeit, mehr Verbindung.

In einer Welt, die sich ständig verändert, bietet die Kunst der Gastfreundschaft eine Konstante. Sie erinnert daran, dass, egal wie fortschrittlich und schnelllebig unsere Umgebung wird, die menschliche Verbindung und das Streben nach authentischer Begegnung immer im Zentrum unseres Handelns stehen sollten. Für die Gäste und für uns selbst – denn in der Gastfreundschaft liegt eine tiefe Weisheit, die uns alle bereichern kann.