Angefangen habe alles mit einem Stück Land ihres Grossvaters, erzählt Gaby Gianini (60), Inhaberin und Geschäftsführerin der Tenuta Castello di Morcote. Heute, über 80 Jahre später, haben die Unternehmerin und ihr Ehemann Maurizio Merlo (62) ein kleines Paradies geschaffen. Das Weingut Tenuta Castello di Morcote, das kleine Hotel Relais Castello di Morcote und die zwei Restaurants La Sorgente und Vicania bieten den Touristen und Touristinnen ein umfangreiches Angebot im kleinen Dörfchen Vico Morcote TI.
«Ich habe immer gesagt, ich will kein Weinkeller sein, sondern eine Destination», erklärt Gianini. Die Gäste sollen kommen und bleiben. «Wenn sie bleiben, dann wollen sie auch etwas essen und trinken und danach in einem bequemen Bett schlafen», führt sie weiter aus.
Klingt eigentlich ganz einfach. Doch was braucht es für ein gutes Zusammenspiel von Gastronomie, Hotellerie, Tourismus und Weingütern, und was wünschen sich die Gäste während ihres Aufenthaltes? Wir haben mit Viviane Grobet (37), Leiterin Business Development und Partnerschaften bei Schweiz Tourismus, über den Weintourismus und das Potenzial für die Hotellerie und Gastronomie gesprochen.
Viviane Grobet und ihr Team waren gemeinsam mit Océane Gex von Swiss Wine Promotion verantwortlich für die Lancierung von Grape Escapes. Grape Escapes vereint rund 60 Unterkünfte in den schönsten Weinregionen der Schweiz. Vom Boutiquehotel, wie das Relais Castello di Morcote von Gaby Gianini in Vico Morcote, bis hin zum Schlaffass in Jenins GR ist alles dabei. Bei Grape Escapes geht es vor allem darum, bestehende Angebote im Weintourismus zu vermarkten und bekannter zu machen. Schweiz Tourismus unterstützt die Branche aber auch bei der Entwicklung neuer Unterkünfte.
Ein idyllischer Ort zum Bleiben
Auch das Weingut Tenuta Castello di Morcote profitiert von den angeschlossenen Betrieben. Die beiden Restaurants und das Hotel, ebenso wie die internen und externen Veranstaltungen auf der Burg und auf dem Weingut, sind die grössten Abnehmer der Weine. «Mit einer Produktion von rund 60 000 Flaschen im Jahr sind wir zu klein, um gross Export zu betreiben oder die Weine an grossen Messen zu verkaufen», so Gianini. Sprich, die Konsumentinnen und Konsumenten können den Wein nur vor Ort degustieren und das Terroir, die Kulinarik und die Natur erleben. «Wir möchten die Gäste unbedingt hierherbringen und ihnen diesen magischen Ort zeigen», so Gianini.
Das Weingut befindet sich auf einer Landzunge, die vollständig vom Luganersee umgeben ist und den Gästen mit der 150 Hektaren grossen Landwirtschafsfläche mit Reben und Olivenbäumen ein spektakuläres Ambiente bietet. Die sorgfältig restaurierten Burgruinen thronen dabei schon fast majestätisch über dem Weinberg. Das ergänzende Angebot hat die begnadete Naturliebhaberin rundherum gleich selbst geschaffen: Essen, Trinken, Schlafen, Erleben, Wandern, Schlemmen und Geniessen – all das ist in dem kleinen 400-Seelen-Dorf Vico Morcote im Tessin möglich.
Das kleine, aber feine Boutiquehotel namens Relais Castello di Morcote mit zwölf Zimmern beherbergt die Gäste in einem ehemaligen Kloster aus dem 17. Jahrhundert. Erdige Töne, warme Lichter und sorgfältig ausgewählte Materialien laden die Gäste zum Entspannen und Geniessen ein.
Das dazugehörige Restaurant La Sorgente im Erdgeschoss des Hotels verwöhnt die Gäste mit einer authentischen und lokalen Fine-Dining-Experience in Begleitung der eigenen Weine. Das Restaurant Vicania verzaubert die Gäste nach einer Wanderung inmitten von grünen Wiesen mit einer ehrlichen und authentischen Küche. Gaby Gianini hat in Vico Morcote ein kleines Paradies geschaffen, das im respektvollen Umgang mit der Natur den Gästen ein unvergessliches Erlebnis bietet.
Ein nachhaltiges Weinerlebnis schaffen
Auch für Océane Gex (33), Vizedirektorin von Swiss Wine Promotion, steht das Erlebnis im Zentrum. «Die Werbung mit Wein wird immer schwieriger, und der Weinkonsum ist sinkend», erklärt sie. Genau deshalb sei ein authentisches Erlebnis so wichtig. «Konsumentinnen und Konsumenten, die vor Ort waren und den Wein, das Terroir, die Menschen und ihre Arbeit live erlebt haben, gehen eher wieder zurück und kaufen die Weine oder bestellen sie in einem Restaurant», so Gex. Das Erlebnis verankert das Produkt nachhaltig im Gedächtnis und verknüpft damit ein positives Gefühl. Genau deshalb sei Weintourismus so wichtig für die ganze Branche.
«Mit über 250 verschiedenen Traubensorten in sechs Weinregionen bietet die Schweiz eine grosse Vielfalt, die es zu entdecken gilt», erklärt Gex. Jede Region hat einen eigenen Charakter. Knapp 80 Prozent der 1180 Hektaren Rebberge im Tessin sind mit Merlot bestückt. Hohe Niederschläge und viel Sonnenschein sind typisch für das einzige Schweizer Weinbaugebiet auf der Alpensüdseite. Die Tenuta Castello di Morcote baut hauptsächlich Merlot und Chardonnay an. Die nach Parzellen aufgeteilten Trauben werden kalt mazeriert und anschliessend schonend gepresst.
Zwei junge Frauen haben hier das Sagen
Die Önologin Benedetta Molteni (30) aus Como (IT) und ihre Assistentin Kate Gannon (28) aus Kalifornien (US) sind für die Produktion der Weine verantwortlich. Das ist ein seltenes Bild in einem Weinkeller. Gianini erzählt schmunzelnd, dass sie schon oftmals gefragt wurde, wer denn nun die Weine keltere. Wenn sie daraufhin auf Molteni und Gannon zeige, dann sehen die drei Frauen oftmals erstaunte Blicke. Doch davon lassen sich die beiden jungen Frauen nicht einschüchtern. «Unser Ziel ist es, authentische Weine zu produzieren, die eine Geschichte über das Terroir, das Mikroklima und die Traubensorte erzählen», erklärt die Önologin.
Kurz vor unserem Gespräch werden die Chardonnay-Trauben angeliefert. Es herrscht Hochbetrieb auf dem Weingut. Die beiden jungen Frauen und ihre Kollegen sind konzentriert bei der Arbeit und trotzdem ist die Stimmung angenehm freundlich und entspannt. Mittendrin stehen Gaby Gianini und ihr Ehemann Maurizio Merlo. Merlo ist für den operativen Part und die Reben verantwortlich und arbeitet, wie auch seine Frau, tatkräftig auf dem Weingut mit. Die beiden seien sehr präsent, erzählen die Mitarbeitenden. Merlo kümmert sich unter anderem um die Reben, und Gianini begrüsst die spontanen Besucherinnen und Besucher im Degustationsraum des Weingutes. Ein Weingut, dessen Besitzerin und Besitzer vor Ort mit Leib und Seele präsent sind und tatkräftig anpacken. Ein Hotel, das mit viel Liebe zum Detail ruhig und elegant im kleinen Dörfchen integriert ist. Und zwei Restaurants, die mit einer ehrlichen und regionalen Küche überzeugen. Genau so geht Weintourismus.