Paul Dubrule ist Mitbegründer der Accorhotels, einer der grössten Hotelgruppen der Welt (siehe Grafik). Nach seinem Wirtschaftsstudium in Genf verschlug es ihn in die Vereinigten Staaten. Hier tauchte er in die Welt der grossen Einzelhandelsketten ein. Eine Erfahrung, die ihn einige Jahre später zu einem gestandenen Geschäftsmann machte. Heute zählt der 83-jährige Dubrule zu den 300 reichsten Personen der Schweiz. Seinen Erfolg verdankt er seinem Unternehmenshunger sowie seinen Marktkenntnissen. Auch wenn er die Leitung des multinationalen Konzerns vor einigen Jahren abgegeben hat, behält Dubrule als Präsident des Aufsichtsrates weiterhin einen Fuss in der Gruppe.
GastroJournal: Decken sich Ihre Erwartungen, die Sie zu Beginn hatten, als Sie 1967 das erste Novotel in Lille gründeten, mit den aktuellen Resultaten?
Paul Dubrule: Ich kann mich nicht beklagen. Zusammen mit meinem Teilhaber Gérard Pélisson hatten wir die Ambition, aus Accorhotels die grösste Hotelgruppe der Welt zu machen.
«Der Schlussel zum Erfolg ist die Weiterbildung der Mitarbeitenden»Das haben wir nicht erreicht. Hingegen haben wir unsere erste Bestrebung, eine Hotelkette mit 100 Hotels zu gründen, bei Weitem überschritten. Diesbezüglich können wir also sagen, dass wir erfolgreich waren. Sie wirken nachdenklich…
Dass wir es weltweit nicht auf den ersten Platz geschafft haben, ist vielleicht auch etwas mein Fehler. Zu einem bestimmten Zeitpunkt meiner Karriere wollte ich Politik betreiben. (Anm. d. Red.: Dubrule war von 1992 bis 2001 Bürgermeister von Fontainebleau in der Nähe von Paris und von 1999 bis 2004 Senator). Wegen diesen Beschäftigungen zog ich mich ein wenig von Accorhotels zurück, und konnte mich nicht dermassen einsetzen, wie es notwendig gewesen wäre, um die Weltspitze zu erreichen. Aber ich liebte es, etwas «flatterhaft» zu sein. Aus intellektueller Sicht fand ich so mehr Befriedigung, als wenn ich einzig Hotels addiert hätte. Mit welchem Blick betrachten Sie die Schweizer Hotellerie?
In der Schweiz gibt es viele Hotelfachschulen, und sie sind qualitativ hochstehend. Die Schweizer Hotellerie geniesst im Ausland diesbezüglich einen ausgezeichneten Ruf. Nicht nur Palace-Hotels mit gut gekleidetem Personal oder sympathische Berg-Herbergen geniessen hohes Ansehen, das gute Image geht darüber hinaus.
«In der Schweiz herrscht wahre Professionalität»In der Schweiz herrscht wahre Professionalität. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es um die Luxushotellerie sehr gut bestellt ist. Je tiefer jedoch die Hotelkategorie ausfällt, desto weniger leistungsfähig ist sie. Die Familienbetriebe tun sich mit Investitionen schwer, insbesondere im Bereich der Renovationen. Die kosten viel Geld, und der Beruf erfordert eine Dauerpräsenz. Diese sympathische, aber alternde Hotellerie vereinfachte unseren Aufstieg. Welche Ratschläge können Sie geben?
Vor allem müssen die Ausgaben gut geplant werden. Der finanzielle Aspekt ist zugegebenermassen ein Problem, doch existieren Lösungen, um Geld aufzutreiben. Der Beweis: Zu Beginn besassen wir keine Münze, und wir schafften es trotzdem. Das Wichtigste ist, die Leute unternehmerisch auszubilden. Zu oft raten die Hotelfachschulen zu einer Karriere bei internationalen Ketten oder bei grossen Häusern. Das ist sehr gut, das braucht es, aber Leute mit Eigeninitiative sind noch wichtiger. Was halten Sie von der Schweizer Tourismus-Politik?
«Das Wichtigste ist, über die neuen Konzepte im Bilde zu sein»Ich erlaube mir nicht, die Schweizer Politik zu beurteilen. Hingegen kann ich als Aussenstehender nicht nachvollziehen, warum die Läden am Samstag um 18 Uhr schliessen und am Sonntag ganz geschlossen bleiben. Auch Genf, eine angenehme Stadt mit vielen Vorzügen, macht hier keine Ausnahme. Dem Touristen, der die Stadt bereist und verschlossene Türen vorfindet, wird das – entschuldigen Sie den Ausdruck – «auf den Wecker gehen». In vielen Schweizer Städten ist es dasselbe Problem. Meiner Meinung nach liefert die Natur ein Arsenal an Möglichkeiten für die Besucher, doch fehlt es im städtischen Umfeld an Attraktionen. Selbstverständlich ist das eine Entscheidung für sich, und ich sage auch nicht, dass die Läden bis um Mitternacht geöffnet sein müssen, aber ich stelle fest, dass im Ausland längere Öffnungszeiten die Touristen anziehen. Welches Potenzial besitzt der Schweizer Hotelmarkt?
Er ist ein Nährboden mit viel Potenzial. Meiner Ansicht nach ist dieses Land ein grosses Wirtschaftswunder. Es durchläuft die Krise von 2008 «mit links». Die Bevölkerung beisst trotz der Frankenaufwertung die Zähne zusammen und blickt nach vorne. Und es gelingt, dem Land geht es gut! In Frankreich wäre die Bevölkerung auf die Strasse gegangen und hätte gerufen: «Wir sind erledigt!» Ich habe meine französischen Politikerfreunde ermuntert hierherzukommen, um zu sehen, was vor sich geht, und sich inspirieren zu lassen.
«Der helvetische Pragmatismus bringt Vertrauen, Sicherheit und Qualität»Der helvetische Pragmatismus bringt Vertrauen, Sicherheit und Qualität. Und das ist für den Tourismus fundamental. Ein Lehrstuhl für Innovation an der Lausanner Hotelfachschule (EHL) trägt Ihren Namen. Sind Neuerungen im Bereich der Hotellerie Ihrer Meinung nach noch möglich?
Die Digitalisierung verändert unser Leben völlig, und es versteht sich von selbst, dass Gleiches auch für unseren Beruf gilt. Immerhin haben wir das Glück, uns in einem Wachstumssektor zu befinden. Ich denke, dass sich der Gästeempfang, wie wir ihn heute kennen, stark wandeln wird, um je länger desto persönlicher auszufallen. Das Wichtigste ist, über die neuen Konzepte im Bilde zu sein, sich in der Fachpresse oder beim direkten Umfeld zu informieren und Inspirationen einzuholen. Kann man, angesichts des Jahresumsatzes von Accorhotels, noch von Hotellerie sprechen, oder nur noch von Ertrag?
Ein Hotelier ist vor allem ein Geschäftsmann. Denn der Preis für ein Hotel beträgt drei Jahresumsätze. Eine gute Idee zu haben, ist zwar schön und gut, doch lässt sie sich ohne Finanzierung nicht umsetzen. Hauptziel muss also sein, Geld zu verdienen und zu wissen, was mit den erzielten Ressourcen geschieht: Will man auf grossem Fusse leben oder intelligent in neue Projekte investieren, das Unternehmen ausbauen und seine Belegschaft ausbilden? Die Strategie von Accorhotels liegt heute auf der letztgenannten Zielvorgabe. Wo wird die Gruppe in 20 Jahren stehen?
Das ist schwer zu sagen. Es ist vorstellbar, dass sie nicht mehr Besitzerin ihrer Hotels und der Firmenwerte sein wird, sondern sich zum Tourismus-Serviceanbieter im weiten Sinne entwickeln wird. Auf jeden Fall wird Accorhotels nur überleben, wenn sich die Gruppe auch in Frage stellt.
Ein Lieblingsrestaurant
Auf seinen Reisen kehrt Paul Dubrule gerne in verschiedenen Betrieben ein. Zuhause in Plan-les-Ouates pflegt er jedoch seine Gewohnheiten. «Ich besuche sehr gerne das Café de la Place. Das ist ein kleines Restaurant mit einer ausgezeichneten Küche und mit sympathischem Personal. Ich bin kein Stammgast der Spitzengastronomie, gehe aber ab und zu gerne ins Restaurant Chat Botté im Hotel Beau-Rivage in Genf.»