«Die Erwartungshaltung an die Ferien wird sich ändern»

Oliver Borner – 04. Juni 2021
Seit vergangenem Montag gelten in der Schweiz weiter gelockerte Coronamass­nahmen. Welche Auswirkungen bringen diese für diesen Sommer? Tourismusexperte Christian ­Laesser von der Uni St. Gallen gibt Antworten.

Christian Laesser, wie haben Sie reagiert, als der Bundesrat am 26. Mai seine Lockerungsschritte präsentierte?
Christian Laesser: Ich habe diese Schritte grundsätzlich erwartet. Es wiederholt sich quasi der letzte Sommer, mit dem Unterschied, dass uns ein harter Winter dank der Impfungen hoffentlich erspart bleibt.

Auf die Lockerungen dürften viele Reisefans erleichtert reagiert haben. Welche kurzfristigen Auswirkungen erwarten Sie?
Das ist im Moment sehr schwierig abzuschätzen. Schweizerinnen und Schweizer haben wie letzten Sommer hierzulande gebucht. Es gibt nun drei Szenarien: Im «best Case» halten sie an ihren Buchungen für den Sommer fest. Im «worst Case» kommt eine Stornierungswelle auf die Schweiz zu, da nun viele wieder ins Ausland reisen wollen. Möglich wäre auch, dass neben verkürzten Aufenthalten in der Schweiz jetzt neu Zusatzferien im Ausland gebucht werden. Welche Auswirkungen die Lockerungen insgesamt wirklich haben, werden wir deshalb erst Ende Jahr sehen.

Für wie wahrscheinlich halten Sie den schlimmsten Fall?
Ich gehe nicht davon aus, dass dieser eintreten wird. Viele Schweizerinnen und Schweizer werden auch dieses Jahr ihre Ferien in der Schweiz verbringen. Ich bin aber überzeugt, dass der Tourismus-Sommer 2021 in der Schweiz schlechter ausfallen wird als der Sommer 2020.

Woran machen Sie das fest?
Die neu gewonnen Freiheiten erweitern die Reisemöglichkeiten. Die Impfung erlaubt – wenigstens bei «offenen» Ländern – zusehends wieder quarantänefreies Reisen und schafft damit auch die für solche Reisen notwenige Planungssicherheit.

Kapellbruecke Reuss Luzern IMG 6646

Der Tourimus in den Städten hat besonders unter der Coronapandemie geltitten. (Bild: Archiv)

Diese Flexibilität soll durch das Covid-Zertifikat des Bundes unterstützt werden. Wie schätzen Sie den langfristigen Nutzen für die Branche ein?
Innerhalb von so genannten regionalen «Reiseblasen», also Gebieten in welchen Covid-19 etwa durch Impfungen nur noch selten auftritt, wird ein solches Zertifikat wohl sehr bald nur noch in Ausnahmefällen, beispielsweise Grossanlässen, notwendig sein. Dies bedeutet, dass wir innerhalb Europas wohl bald ohne ein solches Zertifikat reisen können. Bei interkontinentalen Reisen wird dieses dagegen noch lange notwendig sein, ähnlich wie heute für bestimmte Länder ein Nachweis einer Malaria-Prophylaxe unabdingbar ist.

Zurück in die Gegenwart: Wie schätzen Sie die momentane Lage des Schweizer Tourismus ein?
Der Freizeittourismus und damit vor allem die Alpen blicken vielerorts auf ein passables bis erfolgreiches 2020 zurück. Der Tourismus mit dem Schwerpunkt «Geschäft» und damit die Städte leiden dagegen extrem unter den Folgen der Pandemie.

Welche langfristigen Auswirkungen der Pandemie sind in diesen Bereichen zu erwarten?
Während der Freizeittourismus wohl in eine neue und vielleicht sogar nachhaltigere Wachstumsnormalität zurückfinden wird, unterliegen Teile des Geschäftstourismus Substitutionsprozessen. Unternehmen werden, nicht zuletzt auch aus Kostenüberlegungen, in Zukunft überdenken, ob eine Reise notwendig ist. Was dies für die Reisefrequenz bedeutet, ist momentan allerdings noch schwierig zu sagen. Erste Schätzungen gehen von bis zu einer Halbierung des vorpandemischen Geschäftsreisevolumens aus.

Hotels in den Städten werden also langfristig unter den Auswirkungen der Pandemie leiden. Was empfehlen Sie der Städtehotellerie in der Schweiz für die Zukunft?
Es gilt zu differenzieren. Nicht jedes Hotel in der Stadt ist nur auf den Geschäftstourismus ausgerichtet. Für die, die allerdings vom Geschäftstourismus abhängig sind, wird es in Zukunft in der Tat schwierig. Meiner Ansicht nach empfehlen sich aus dieser Situation zwei Stossrichtungen, welche die Situation langfristig verbessern könnten.

Corona Zertifikat v2

Das Covid-Zertifikat soll unbeschränktes Reisen kurzfristig wieder möglich machen. (Bild: Unsplash)

Ganz anders sieht die Situation auf dem Land aus. Da hat die Hotellerie im letzten Jahr teilweise sogar zulegen können. Wie kann man die Gäste halten, wenn ausländische Destinationen nun mit tiefen Preisen locken?
Die Einflussmöglichkeiten liegen wie vor der Pandemie bei den Produkten und Angeboten, gepaart mit einem hohen Qualitätsanspruch sowie Empfänglichkeit und Empathie gegenüber den Gästen. Die Vermittlung eines Gefühls gesundheitlicher Sicherheit könnte ebenfalls relevant bleiben. Viele Schweizer Gäste haben in den vergangenen Monaten aufgrund der Einschränkungen ihre Erwartungen runtergeschraubt und waren glücklich über die Möglichkeiten zum Ferienmachen in der Schweiz. Inwiefern diese gute Stimmung anhält, bleibt abzuwarten.

Das heisst, solange die Erwartungen tief bleiben, dann werden auch die Gäste bleiben?
Genau. Mit den jetzigen und den zukünftigen Lockerungen muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die Anziehungskraft des Auslands schnell wieder zunimmt.

Das klingt so, als würde sich der Trend zum regionalen Tourismus früher oder später auflösen…
Bis zu einem gewissen Grad wird das der Fall sein. Dass der regionale Tourismus einen solchen Aufschwung erlebte, war im letzten Jahr vor allem den Reisebeschränkungen geschuldet. Mit weiteren Lockerungen wird dieses Phänomen allerdings wieder verschwinden.

Andere Länder wie Frankreich, Österreich oder die Insel Madeira locken Touristen mittlerweile mit Gratis-Covid-Tests in die Ferien. Wäre dies nicht auch ein Thema für die Schweiz?
Der Gedanke ist natürlich naheliegend. Allerdings ist der Effekt wahrscheinlich überschaubar. Wenn ein Land den Touristen einen PCR-Test bezahlt, könnte es ihnen gerade so gut einen frei nutzbaren Gutschein von 200 Franken in die Hände drücken. Dies gilt insbesondere im Fall, wenn immer mehr Leute geimpft sind. Eine Gratisabgabe von Schnelltests – auch an Gäste – wäre allerdings denkbar.

Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für den Tourismus in den nächsten Jahren?
Zunächst gilt es, zahlungsfähig zu bleiben und mittelfristig die Bilanzen «aufzuräumen». Im Zuge der langfristigen Markt- und Konkurrenzfähigkeit werden sich viele die Frage stellen müssen, welche und wie anstehende Investitionen finanzierbar und welche wichtigen Lehren aus der Pandemiezeit zu ziehen sind.

Werden Sie diesen Sommer verreisen? Und wenn ja, wohin?
Für diesen Sommer sind aufgrund vieler Arbeiten keine Reisen geplant. Aber auch bei mir steigt der Drang, wieder zu reisen. Für den Moment bleibe ich aber noch an der Seitenlinie.