Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Der MICE-Markt (Meetings, Incentives, Conventions und Exhibitions) feiert ein veritables Comeback. Vor der Covid-Pandemie fanden in der Schweiz pro Jahr rund 53 000 MICE-Veranstaltungen statt. 2021 lag die Zahl bei rund 13 250, 2022 bei zirka 20 000. Zwei Jahre nach dem offiziellen Ausbruch der Pandemie, 2023, wurden bereits wieder 77 Prozent des Vor-Corona-Niveaus erreicht. 2024 übertraf die Zahl der MICE-Veranstaltungen gemäss Switzerland Convention & Incentive Bureau (SCIB) das Niveau von 2019 bereits im ersten Halbjahr.
Die Lust, sich vor Ort zu einem Event- oder Geschäftsanlass und Seminare zu treffen, scheint damit grösser denn je. Woran liegt das? Und wo liegen die Trends der Branche? Auf der Suche nach Antworten bei Michael Böhler, Hotelier, Präsident des Zürcher Hoteliervereins und Vorstandsmitglied von Zürich Tourismus.
Michael Böhler, die Zahlen zum MICE-Tourismus sind in den letzten zwei Jahren stark angestiegen. 2024 wurde das Vor-Corona-Niveau übertroffen - auch in der Stadt Zürich. Worauf führen Sie das zurück?
Michael Böhler: Das führe ich einerseits darauf zurück, dass wir mit dem Circle am Flughafen Zürich, dem Kongresshaus und anderen grossen Veranstaltungsorten wie der Halle 550 in Oerlikon eine gut ausgebaute Infrastruktur haben, welche MICE-Events nach Zürich zieht. Andererseits geniesst Zürich als Stadt international einen hervorragenden Ruf. Viele Menschen kommen gerne nach Zürich, um die Stadt zu sehen und zu erkunden. Ich stelle zudem fest, dass die Gäste länger bleiben.
Warum bleiben die Gäste länger?
Ich denke, da hat Corona einen grossen Anteil daran. Die Menschen reisen heute bewusster als noch vor fünf Jahren. Man reist nicht einfach kurz für einen Termin nach Zürich und dann wieder zurück. Man bleibt für eine, zwei oder drei Nächte und kombiniert so Arbeit mit Freizeit, dem sogenannten Bleisure. Dazu beigetragen haben sicher auch die Flugpreise, welche teilweise viel höher sind als noch vor ein paar Jahren.
Inwiefern hat Sie die Rückkehr des MICE-Tourismus überrascht?
Insofern, dass Zürich keine Kongressstadt wie beispielsweise Berlin oder Wien ist und damit nicht die gleiche Anziehungskraft hat, wie diese grossen Städte. Hinzu kommt, dass der reine Geschäftstourismus, die Reise des einzelnen Geschäftsmannes und der einzelnen Geschäftsfrau, noch nicht dort ist, wo er vor der Pandemie war. Es sind somit wirklich vor allem die MICE-Events und die Bleisure-Reisenden, welche dieses Comeback ermöglicht haben.
In Zeiten von Homeoffice und Digitalisierung sollte man eigentlich meinen, dass aus geschäftlichen Gründen weniger gereist wird. Warum trifft man sich heute wieder mehr vor Ort?
Das hat mehrere Gründe. Die Menschen sehnen sich nach qualitativem Austausch untereinander und Treffen im echten Leben. Daneben spielen sicher die grosse Informationsflut und die damit zusammenhängenden Fake-News eine Rolle. Man will sich daher vor Ort diese Informationen von Personen aus dem gleichen Geschäftsfeld holen.

Events vor Ort, wie beispielsweise die letztjähre Ausgabe der Zürich Experience, gewinnen wieder an Bedeutung. (Bild: Zurich Experience)
Welche Trends sehen Sie aktuell im MICE-Bereich?
Sicher den Trend des added value, also dass die Reisenden während eines Kongresses länger bleiben und die Destinationen bewusst wahrnehmen. Sei es mit Führungen oder Erlebnissen vor Ort. Ein weiterer Trend sehe ich - zumindest in Zürich - bei der Wahl der Hotels. Viele MICE-Gäste suchen mittlerweile bewusst kleinere Hotels für ihren Aufenthalt. Dazu tragen auch die Veranstalter bei, welche - gerade in der Stadt Zürich in Form der Vereinigung Zurich City Hotels - gezielt mit solchen kleineren Drei- bis Vier-Sternehotels zusammenarbeiten und diese damit unterstützen.
Das tönt alles sehr positiv. Welche Vorteile bringt der MICE-Tourismus für die Hotellerie und den Zürcher Tourismus?
Neben der steigenden Anzahl von Gästen bringt der MICE-Bereich vor allem Planbarkeit. Viele Kongresse und Events werden bereits Jahre im Voraus geplant und gebucht, was für die Veranstaltenden und die Hotels grosse Vorteile mit sich bringt. Daneben ist es aus der Sicht der Wertschöpfung viel interessanter als das Geschäft mit individuellen Gästen, da MICE- und Bleisure-Gäste in der Regel mehr Geld ausgeben als Individualgäste. Das heisst aber nicht, dass die Stadt Zürich nur eine Gästegruppe ansprechen sollte. Es braucht nach wie vor einen Mix aus beiden Gästegruppen.
Welche Stimmung nehmen Sie im Zuge der äusserst positiven Entwicklung im MICE-Bereich bei der Stadthotellerie in Zürich wahr?
Die Stimmung könnte nicht besser sein. Man hatte nach der Pandemie damit gerechnet, dass der Städtetourismus sicher bis 2025 brauchen wird, um wieder in die Nähe des Niveaus von 2019 zu kommen. Heute wissen wir, dass das Niveau bereits 2024 erreicht und sogar übertroffen wurde. Und für 2025 sieht es auch sehr gut aus - trotz Ukrainekrieg und der Unsicherheit rund um die amerikanischen Gäste.
Der Ausblick auf den Sommer 2025 fällt damit positiv aus?
Ja. Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen aus der Hotellerie- und Tourismusbranche spreche, erhalte ich nur positives Feedback. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass 2025 unter anderem in Zürich mit der Frauenfussball-EM ein Grossanlass stattfindet, welcher viele Gäste in die Stadt locken wird.
Zurück zum MICE-Sektor: Wie sehen Sie die Zukunft des MICE-Tourismus in der Stadt Zürich?
Ich gehe davon aus, dass der MICE-Sektor in den kommenden Jahren weiter zulegen wird. Es gibt bereits jetzt Studien, welche zeigen, dass Anlässe mit zwischen 1 500 und 3 000 Teilnehmenden sehr beliebt sind und ein grosses Wachstumspotential haben. Hingehen sehe ich auch Herausforderungen für die Branche. Die sind in erster Linie politischer Natur. Denn die Stadt und der Kanton Zürich haben noch keine klare Strategie im MICE-Sektor. Das macht es für die Branche schwierig, einen Fokus zu legen. Dabei könnte der Standort Zürich langfristig vom MICE-Tourismus profitieren, beispielsweise indem sich aufgrund von Wissenstransfer an Konferenzen Firmen in Zürich niederlassen könnten. Hinzu kommt der Personalmangel, welcher in den letzten Jahren zwar vermindert werden konnte, allerdings die Branche nach wie vor beschäftigt. Gleichzeitig bleibt mit Blick auf die geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen - allen voran der Zollstreit zwischen den USA und China - eine gewisse Unsicherheit bestehen.
Welche Initiative kann die Branche selbst ergreifen, um den MICE-Tourismus in Zukunft zu fördern?
Einerseits ist es die politische Arbeit, welche die Branche aktuell mit der IG Gastfreundschaft aufbaut. Ziel ist es, enger mit der Politik zusammenzuarbeiten, um den MICE-Tourismus voranzubringen. Daneben muss die Branche ihre Möglichkeiten im MICE-Bereich noch stärker und offener nach aussen kommunizieren und bewerben. Gerade auch, weil die Wege zwischen den Kongressorten in der Stadt Zürich sehr kurz sind. Es braucht daher eine noch stärkere Zusammenarbeit und eine gemeinsame Strategie, damit auch grössere Events in die Stadt kommen.