«GastroSuisse vertritt die Meinung der Branche und nicht von Casimir Platzer»

Reto E. Wild – 13. Januar 2022
Im grossen Interview mit dem GastroJournal verrät GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer seine Ziele für 2022, das Verhältnis des Verbands zu den Medien und zum ­Bundesrat sowie seine Wünsche für die Zukunft.

Casimir Platzer, sind Sie gut ins neue Jahr gestartet?
Casimir Platzer: Weihnachten und Neujahr sind für unseren Betrieb eine wichtige Zeit. Das Hotel war praktisch ausgebucht. Normalerweise feiern wir Silvester mit 180 Personen, Orchester und Tanz. Diese Feierlichkeiten sind nun erneut den Massnahmen gegen Corona zum Opfer gefallen, denn mit der Masken- und Sitzpflicht ist so eine Party nicht möglich.

Haben Sie überhaupt Zeit, Ihr Belle Epoque Hotel Victoria in Kandersteg zu führen? Vergangenes Jahr standen Sie fast permanent in den Medien, und wer auf Google Ihren Namen eingibt, erhält 62 500 Ergebnisse.
Ich habe als Präsident von GastroSuisse fast ein Vollzeitmandat. Auch vor Corona war ich oft unterwegs und nicht viel im Betrieb. Aber meine Frau Muriel unterstützt mich hier in Kandersteg, und seit Februar 2021 wirkt Aragon Christen als operativer Direktor.

Welche Ziele haben Sie sich in diesem schwierigen Umfeld als GastroSuisse-Präsident gesetzt?
Als Branche haben wir noch immer eine Ungleichbehandlung und ein grosses Manko bei Unterstützungsmassnahmen und Hilfeleistungen. Der Staat oder vielmehr das Eidgenössische Departement des Innern beschliesst eine Einschränkung und achtet vor allem auf den gesundheitlichen Aspekt und blendet die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen fast vollständig aus. In den letzten Wochen wurde immer wieder verlautet, dass es der Schweizer Wirtschaft nun fast so gut gehe wie vor Corona. Doch es gibt nach wie vor Branchen und viele Unternehmen, die noch immer massiv betroffen sind und die unterstützt werden müssen. In einer Woche soll auf Bundesebene eine erneute Härtefallverordnung verabschiedet werden. Viele Kantone werden aber nicht bereit sein, und die Auszahlung wird sich wie im Vorjahr verzögern. Es kann nicht sein, dass wir immer wieder für die gleichen Themen kämpfen müssen. Deshalb werden wir im März mit einer breiten Allianz Unterschriften für unsere Volksinitiative «Geregelte Entschädigungen im Pandemiefall» sammeln. Es braucht für die Betroffenen klare Spielregeln. Mit der Initiative wollen wir sicherstellen, dass die Diskussionen über die Entschädigungen im Parlament nicht versiegen.

Diese Initiative ist auf die Zukunft ausgerichtet. Was hat GastroSuisse bisher erreicht?
Wir haben viel erreicht und geleistet – nicht nur in Bezug auf die Pandemie. Wir haben alles darangesetzt, dass unsere Mitglieder von fortschrittlichen Verbandsangeboten profitieren. So haben wir etwa einen Online-Mitgliederbereich geschaffen, damit unsere Mitglieder jederzeit und auch von unterwegs auf ihre persönlichen Daten zugreifen können. Aber ja, die Krise hat uns erneut speziell gefordert. Immerhin erhielten die Betriebe im Februar/März 2021 wiederum Unterstützung, obschon diese wegen des föderalen Ansatzes unterschiedlich ausgefallen sind. Im Herbst 2021 haben wir uns mit Erfolg dafür eingesetzt, dass Kurzarbeitsentschädigungen im vereinfachten Verfahren verlängert werden können. Und unsere Kritik hat dazu geführt, dass die Branche das eine oder andere Mal früher öffnen durfte. Ohne den Druck von GastroSuisse wären die Betriebe viel länger im Lockdown geblieben.

Der Druck von GastroSuisse und dessen Kritik am Bundesrat kam aber nicht immer gut an.
GastroSuisse und somit auch die Präsidentenkonferenz kritisieren die Regierung nur dann, wenn die Entscheide unverständlich oder inkonsequent sind. Zum Beispiel durfte man letztes Jahr draussen bis April nur stehend konsumieren und dann plötzlich nur noch sitzend. Der Bund hat immer wieder in ein Mikromanagement eingegriffen, in eine Branche, die er zu wenig kannte. Man hätte im Austausch mit Branchenfachleuten auch andere Lösungen finden können. Doch dieser Austausch hat bis Frühling 2021 nur sehr sporadisch stattgefunden. Kurz: Wenn der Bundesrat Entscheide fällt, die für die Branche in der Praxis kaum umsetzbar sind und wir nicht angehört werden, dürfen wir sehr wohl kritisieren.

Die Medien haben Ihren Verband und Sie bei dieser Kritik aber nicht ganz so friedlich und einträchtig dargestellt.
Ja, es gab Medien, die gezielt versucht haben, einen Keil zwischen die Mitglieder und den Verband zu schlagen. Das ist ihnen aber nicht gelungen. Seit Ausbruch der Pandemie haben sich die Kantonalpräsidenten sehr oft ausgetauscht. Es gab solche, die wollten, dass wir in Bern demonstrieren, und andere, die ein Ende der Kritik an Behörden und dem Bundesrat forderten. Wichtig ist aber, dass die Kantonalpräsidenten in der Sache nach den Sitzungen letztlich praktisch immer einer Meinung waren. So vertritt GastroSuisse nicht die Meinung von Casimir Platzer, sondern jene der Branche in Absprache mit den Kantonalpräsidenten. Ich habe diese während der Pandemie auch mehrmals gefragt, ob wir eine grosse Zahl von Mitgliedern haben, die eine andere Ansicht als GastroSuisse vertreten. Sie bestätigten mir, dass dies nur im tiefen einstelligen Prozentbereich der Fall ist. Unsere Haltung gegenüber der Zertifikatspflicht war mit den Kantonalpräsidenten abgesprochen, und es gab Konsens. Doch die Medien haben danach versucht, mich als Polteri und Jammeri darzustellen.

Einen Jammeri hat man Sie schon früh in der Krise genannt. Mit dem Vorwurf, Sie hätten mit vorausgesagten Konkursen übertrieben.
Ende Oktober 2020 habe ich davor gewarnt, dass 100 000 Jobs in der Branche gefährdet sind. Mit diesem Hinweis konnten wir Schlimmeres verhindern. Aber über 50 000 Jobs sind seither in der Branche verschwunden. Ende Februar 2020 hatten 17 Prozent der Unternehmen für immer geschlossen. Die Zahlen haben wir nicht erfunden. Wenn ein Betrieb aufgibt, muss er nicht zwingend in Konkurs gehen. Es reicht, keine Perspektive mehr zu sehen. Ohne die Hilfszahlungen, die dann mehrheitlich im März 2020 ausbezahlt wurden, hätte alles noch viel schlimmer ausgesehen.

Es sind aber nicht nur viele Jobs verschwunden, die Pandemie hat auch den Fachkräftemangel akzentuiert.
Die Plan- und Perspektivlosigkeit durch die ständigen Verlängerungen der Schliessungen war für viele Mitarbeitende fast nicht tragbar. Sie mussten auf 20 Prozent ihres Einkommens verzichten und auf das Trinkgeld. Solche Aussichten führten dazu, dass viele einen anderen Job gesucht haben. Das hat die Situation verschärft, aber der Fachkräftemangel ist nicht nur ein Problem des Gastgewerbes, viele gewerbliche Berufe haben ähnliche Probleme. Es ist sogar ein globales Problem, das länderübergreifend ist.

Was ist zu tun?
Es wird nicht einfach sein, die abgesprungenen Mitarbeitenden für die Branche zurückzugewinnen. Der duale Bildungsweg ist gut. Aber es dauert einige Jahre, bis wir wieder mehr Fachkräfte zur Verfügung haben. Ich bin deshalb überzeugt, dass wir mit den weniger qualifizierten Mitarbeitenden weiterarbeiten müssen und diese zusätzlich weiterbilden, denn der Mangel an Hilfskräften ist viel kleiner. Klar, einen Gourmetkoch kann man nicht innerhalb von zwei Monaten herzaubern. Aber aus einer Hilfskraft kann ein qualifizierter Mitarbeiter werden. Denn die traditionellen Rekrutierungsländer wie Deutschland oder Österreich haben ebenfalls zu wenige Fachkräfte. Deshalb müssen wir das Problem in der Schweiz oder eben im eigenen Betrieb anpacken.

Wie stark kämpfen Sie mit dieser Herausforderung im Belle Epoque Hotel Victoria?
Wir starteten den Rekrutierungsprozess für die Wintersaison im September. Damals gingen wir davon aus, dass wir vor einer einigermassen normalen Saison stehen. Nun leiden wir unter neuen Einschränkungen und haben eher zu viele Mitarbeitende angestellt. Diese zu finden, war eine riesige Arbeit. Meine Frau und ich führen diesen Betrieb nun seit 32 Jahren, heute mit 30 Mitarbeitenden. Es war aber schon immer eine Herausforderung und vor allem auch eine Knochenarbeit, die richtigen Fachkräfte zu finden.

Der Frauenanteil in der Führungsetage in Ihrem Betrieb ist deutlich höher als im neunköpfigen Vorstand von Gastro Suisse. Dort sitzen nur zwei Frauen.
Andere Organisationen haben einen noch tieferen Frauenanteil, aber das soll keine Entschuldigung sein. Wir sind eine Branche mit sehr vielen Frauen, die voll im Betrieb engagiert sind. Wir haben auch überdurchschnittlich viele Frauen in Führungspositionen wie meine Frau: Wir könnten aber nicht gleichzeitig im Verband aktiv sein. Eine Quote für GastroSuisse festzulegen, wäre der falsche Ansatz. Wir brauchen kompetente Personen im Vorstand, egal ob Mann oder Frau.

Mit welchen Erwartungen nehmen Sie 2022 in Angriff?
Mit gemischten Gefühlen, weil uns diese Pandemie gelehrt hat, dass es immer wieder zu Rückschlägen kommt. Ich hoffe einfach, dass es nicht zu einem weiteren Lockdown kommt, denn das wäre für die Branche, aber auch für die Mitarbeitenden verheerend. Sicher ist aber: Wir müssen lernen, mit diesem Virus zu leben.

Die ständig ändernden Massnahmen bleiben eine Herausforderung für unsere Branche. Planbarkeit ist so fast nicht mehr möglich. Was raten Sie?
Guter Rat ist teuer. Seit März 2020 musste die Branche die Schutzkonzepte x-mal anpassen. Es gibt Betriebe, die in Plexiglaswände und Hygienemassnahmen investiert haben. Und danach ist es trotzdem zum Lockdown gekommen. Das ist manchmal schon zermürbend. Letztlich müssen wir uns effektiv den aktuellen Situationen und Vorgaben anpassen und das Beste daraus machen. Bei tieferen Umsätzen muss man sehr kostenbewusst agieren, aber das gilt eigentlich auch in einem normalen Geschäftsumfeld. Einige Betriebe können eben nicht mehr kostendeckend wirtschaften, da die Umsätze nur einen Teil der Fixkosten decken. Deshalb braucht es für einige Betriebe weiterhin Härtefallgelder.

 

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Casimir Platzer in seinem Restaurant Ritter: «Das Credo jedes Gastgebers ist, dass alle Gäste willkommen sind. Nun sind wir gezwungen, einen Teil von ihnen vom sozialen Leben auszuschliessen.» (Foto: Linda Pollari)

Kann damit ein Mitgliederschwund abgewendet werden?
Unser Verband hatte schon immer Fluktuationen um 20 Prozent. Dank den Unterstützungsmassnahmen und der Kurzarbeitsentschädigung konnte das Schlimmste verhindert werden. Es gibt Betriebe, die gut gearbeitet haben – tendenziell eher in den Bergen, in den Seengebieten und im Tessin. Aber es gibt auch Betriebe, die mittlerweile die Reserven aufgebraucht haben und massive Umsatzverluste aufweisen. Wenn sich die Situation nicht bald bessert und die Härtefallzahlungen nicht wieder aufgenommen werden, dann werden einige Restaurants, Bars oder Cafés verschwinden – auch Betriebe, die ihre Hausaufgaben immer gemacht haben und in einem normalen Umfeld gut funktionieren.

Wie viele werden das sein?
Das ist sehr schwierig einzuschätzen. Gemäss unserer Mitgliederumfrage vom Oktober 2021 leidet rund ein Drittel unter einem Umsatzrückgang zwischen 30 und 50 Prozent. 3G und 2G sowie die Angst und Verunsicherung in der Bevölkerung haben die Situation weiter verschärft. Für viele Betriebe ist das so wichtige Weihnachtsgeschäft ausgefallen. Nun wird entscheidend sein, ob die Betriebe die Härtefallzahlungen wie im letzten Winter erhalten werden.

Sie haben sich wegen 2G und 3G auch über eine Spaltung der Gesellschaft gesorgt. Wie wirkt sich diese Entwicklung auf die Branche aus?
Das Credo jedes Gastgebers ist, dass alle Gäste willkommen sind. Nun sind wir gezwungen, einen wichtigen Teil der Bevölkerung vom sozialen und gesellschaftlichen Leben auszuschliessen. Ob das eine Massnahme ist, die es in dieser Form wirklich braucht? Die Restaurants und Bars hatten gut funktionierende Schutzkonzepte mit Maskenpflicht und Distanzregeln. Ich hoffe, dass wir bald von diesem Ausschluss wegkommen. Er passt nicht zu unserem Land.

Mit solchen und ähnlichen Aussagen werden Sie immer wieder persönlich und manchmal unter der Gürtellinie angegriffen. Wie gehen Sie damit um?
Wer in einer solchen Position ist, muss damit umgehen können. Das gilt auch für Politiker und Parlamentarier, die in der Öffentlichkeit stehen. Wenn ich mich über etwas ärgere, ist das für eine kurze Zeit. Das Leben geht weiter. Die Boulevardpresse funktioniert halt so. Ich habe das Glück, dass ich immer gut schlafe. Und abends nehme ich ein Booster-Bier oder ein feines Glas Wein.