Hotellerie
Tourismus

«Den Mut haben, sich zu positionieren»

Corinne Nusskern – 30. Januar 2020
Während im Ausland Erwachsenenhotels gang und gäbe sind, stösst das Thema in der Schweiz nicht immer auf Verständnis. Stephan JJ. Maeder, Direktor und Mit­besitzer des Hotel Carlton-Europe in Interlaken, wagte den Schritt vor einem Jahr. Hier seine Erfahrungen.

Ein Hauch von Nostalgie weht durch die Hallen des Vintagehotels Carlton-Europe in Interlaken BE. Viele Deko-Objekte mit Patina prägen das Flair, in einem Regal stehen alte Schallplatten, kleine Webkissen drücken sich in die Ecke eines Sofas der Jahrhundertwende, unter den Schuhen knarzt der Holzboden. Direktor Stephan JJ. Mae­der (53) jedoch ist ganz von heute und, was Geschäftsideen betrifft, innovativ unterwegs: 2019 hat er sein Dreisternehaus nach 18 Jahren normalen Betriebs als Erwachsenenhotel deklariert. «In Interlaken zu stehen ist schön. Nur, allein damit positioniert man sich nicht mehr», sagt er. 60 Hotels gibt es in Interlaken, 2018 generierten sie 791 924 Hotelübernachtungen (Quelle: qsc). «Wenn alle im selben Kuchen mitmischen, muss man sich etwas anderes überlegen.» Als die Vase zerbrach, fiel der Entscheid
Kurz dachte er, ein Kinderhotel zu etablieren. Die Nachfrage ist da, vor allem bei Familien aus dem arabischen Raum. Aber ein Kinderhotel passe nicht zum 120 Jah­re alten Jugendstilhaus und zu den 85 in­­dividuell mit antiken Möbeln und Fundstücken eingerichteten Zimmern. Vor allem die Zustellbetten waren dem Hotelier ein Dorn im Auge. Sie verschandelten den Raum optisch und gen­e­rierten Schäden an den Zimmerwänden. Zudem hat das Haus keine Klimaanlage. Als einst ein Kind eine Vase zerbrach, erklärte der Vater Maeder für schuldig, da er so viel Zeugs aufstelle. Maeder frag­te sich: «Will ich mich rechtfertigen müs­sen, wie ich dekorie­re?» So entschied er sich für ein Erwachsenenhotel. Maeder hat nichts gegen Kinder, im Gegenteil: «Ich habe selber zwei Kinder grossgezogen.»
Im Sommer 2017 kommunizierte er über sein Vorhaben. Anfang 2019 startete er mit seinem Team von 30 bis 40 Mitarbeitenden und 4 Lernenden mit der Nische Erwachsenenhotel. Auch junge Eltern checken ein
Interlaken ist kein klassischer Wintersportort, Gäste holt man in der kalten Zeit mit Kultur- oder Seminartourismus ab. Etwa 25 bis 30 Prozent fallen auf Seminar-, 70 bis 75 Prozent auf Feriengäste.
Maeders Gästeschar ist vielfältig. Es gibt viele Sportarten, die allein und nicht in der Familie absolviert werden – auch von Müttern und Vätern. Biken etwa. Auch für Seminare ist das Hotel ideal. «Zu­dem spricht das Kon­zept viele Singles, Honey­moo­ners, Hundehalter, Ge­schie­de­ne, Lesben und Homosexuelle an», erklärt Mae­der. Zu Beginn dachte er eher an kin­der­lose Paare. «Weit gefehlt!», sagt er lachend. «Oft checken junge Eltern ein, die sich ein kinderfreies Wochenende gönnen. Das habe ich unterschätzt.» Was sich gleich blieb: Die meis­­ten Gäste kommen für ein bis zwei Nächte, Araber eher fünf bis sieben Nächte und die Chinesen am liebsten nur eine halbe.
Maeder ist sehr verbunden mit dem Haus. Es war schon immer ein Hotel – mal fungierte es als Schulhotel, in den Kriegsjah­ren lebten Internierte hier. Zu Beginn gehörte Maeder nur das Europe (1898 erbaut), 2005 kaufte er das 1908 erbaute Carlton dazu und verband die beiden physisch. 2012 kam hinten der Neubau mit 14 Wohnungen dazu. Dort finden sich auch Seniorenwohnungen für Langzeitgäste. Alles unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes. Er liess viel von dem zurückbauen, was in den 60er- und 70er-Jahren verunstaltet wur­de. «Ich sage nur: rotes Eternitgeländer!» Maeder schaudert es. Er hat sie durch verschnörkelte Geländer ersetzt. Auch die origi­nalen Holzböden wurden freigelegt. Nachhaltigkeit ist Maeder wichtig. Im Bio-Badepool im Zen-Garten sowie im Wellnessbereich verzichtet er ganz auf Chemikalien, geheizt wird mit Fernwär­me. Er fährt auch ein Hybrid-Auto.
Die Restauration hat der Hotelier ver­­mietet. Mit dem Aussenbetrieb auf dem Trottoir wäre es schwierig, «Adults only» durchzusetzen. Zudem finden im Restaurant auch Hochzeiten oder Beerdigungen statt. «Man darf einem kleinen Enkel doch nicht den Zugang zum Leidmahl der verstorbenen Grossmutter verwehren», sagt Maeder. Auch im Bankett­wesen gilt «Adults only» nicht, sondern nur für den übernachtenden Gast und das Frühstück. Keine Ausnahmen
Nach einem Jahr Erwachsenenhotel zieht Maeder Bilanz. Er hat zwar weniger Logiernächte verbucht und keine Umsatzsteigerung erwirtschaftet, dies aber für das erste Jahr einkalkuliert. Die Zahlen sind schwarz. «Wenn die Leute sehen, der zieht das durch, werde ich bald Zuwachs haben. Das braucht Zeit, viel passiert über Mund­­propaganda», sagt Maeder. Trotz Publizierung der Neupositionie­rung passiert es, dass er Gäste abweisen muss, weil sie Kinder unter 16 Jahren dabei haben. Auf Buchungsplattformen wird klar auf «Adults only» hingewiesen. Bucht jemand dennoch, hat er nach der Meldung «Achtung, keine Kinder» vier Stunden Zeit zu an­nul­lieren.
«Einige versuchen es mit Argumenten wie ‹Der Preis ist so attraktiv, Sie können doch eine Ausnahme machen.›», erzählt Mäder. «Nein, wir ma­chen keine Ausnahmen. Trotz Bemühungen, ein anderes Zimmer zu finden, waren einige richtig hässig.» Einmal versuchten Eltern nach dem Einchecken gar ihre Kinder heimlich einzuschleusen. Ambitionierter Paradiesvogel
Im Ausland gibt es viele Adults-only-Hotels, einzelne Clubs bieten dieses Modell gar seit über 20 Jahren an. In der Schweiz sind Erwachsenenhotels noch nicht etabliert. Lärm war kein Kriterium für Maeder. «Die Schallisolation im 120-jährigen Haus ist nicht perfekt. Klar, würde man da ein schreiendes Kind im Nebenzimmer hören», sagt Maeder. Und fügt schmunzelnd an: «Aber eine Gruppe erwachsener Chinesen, die morgens um fünf Uhr auscheckt, hört man auch.»
Die positiven Reaktionen überwiegen ganz klar. «In unserer Branche hat man häufig Mühe, Farbe zu bekennen. Ich bin da eher ein Paradiesvogel», weiss Maeder. Es sei wichtig, offen zu bleiben, die Gäste wie auch ihre Bedürfnisse ändern sich. «Viele meiner Kollegen warten, bis die Tourismusorganisation vor Ort aktiv wird, oder sie übergeben komplett an einen Tour-Operator, der dann den Laden füllen soll», erklärt er.
Maeder plädiert dafür, dass jeder selber aktiv werden und die unternehmerische Pflicht wahrnehmen soll. Er selbst erfindet sich immer wieder neu. «Ich ha­be hier in Interlaken ein Haus im Auge», verrät er. «Sollte ich es jemals übernehmen können, dann würde ich es ganz klar als Kinderhotel positionieren.» __________________________________________ Tipps für die Umsetzung eines Erwachsenenhotels • Den Mut zu haben, sich auf etwas zu fokussieren und zu positionieren – egal in welchem Segment. Und dies konsequent durchziehen.
• Nicht alles abdecken wollen. Alle Bedürfnisse sind nie gleichzeitig zu befriedigen.
• Sich bewusst sein, dass ein Gast unterschiedlich unterwegs ist. Der gleiche Gast kann heute im Familienhotel und morgen im Erwachsenenhotel einchecken.
• Sich Zeit lassen. Es braucht in einem laufenden Betrieb einen Vorlauf. Bis die Infor- mation in allen Katalogen und Plattformen kommuniziert ist, braucht es ein gutes Jahr. Bei einer Neueröffnung ist dies etwas einfacher.
_________________________________________ ★ Stephan JJ. Maeder
Stephan JJ. Maeder (53) ist seit 2001 Direktor und Mitbesitzer des Vintagehotels Carlton-Europe in Inter­laken BE. Vor einem Jahr positionierte er das Haus als Erwach­senenhotel. Maeder absolvierte die Hotelfachschule in Lausanne und startete seine Karriere bei seinem Onkel René-François Maeder im Doldenhorn in Kandersteg. Weitere Stationen waren die Hauenstein Hotels in Sigriswil BE oder das Marriott Zürich sowie ein Ab­stecher in die Bankenwelt. Der Hotelier lebt in Gunten und Inter­- laken und ist Vater von zwei Kindern (22 und 21).
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