Hotellerie

Abschied von einem Macher

Christine Bachmann – 21. März 2019
Die Gastronomie ist im Wandel und mit ihr die Belvoirpark Hotelfachschule, die Paul Nussbaumer als Direktor in den letzten 26 Jahren stark mitgeprägt hat.

Ende August verlässt der langjährige Direktor Paul Nussbaumer die Belvoirpark Hotelfachschule in Zürich. Seit 1973 für GastroSuisse tätig, amtete er seit März 1993 als Direktor der Hotelfachschule, die er stark prägte und erfolgreich in die Zukunft führte. 26 Jahre amteten Sie als Direktor der Belvoirpark Hotelfachschule. Was ist das für ein Gefühl, nach so langer Zeit Abschied zu nehmen? Paul Nussbaumer: Ein sehr gutes Gefühl, denn ich konnte hier mit der Belvoirpark Hotelfachschule etwas ganz Tolles aufbauen. Wenn man so etwas hinterlassen kann, dann macht das richtig Freude. Zudem ist es auch schön zu wissen, dass man künftig die Alltagssorgen hinter sich lassen kann. Und ja, langweilig wird es mir definitiv nicht, denn es warten noch diverse Projekte auf mich. Rückblickend, was waren die grössten Herausforderungen?
Neben den vielen wirtschaftlichen Hochs und Tiefs war und ist eine der grössten Herausforderungen der gesellschaftliche Wandel mit den veränderten Wertevorstellungen sowie einer Anspruchs-Inflation vonseiten der Gäste wie auch der Studierenden. Ein Vorteil für uns war und ist sicher, dass wir mit jungen Leuten zu tun haben, diese Entwicklungen dadurch hautnah miterleben und uns stets anpassen und adaptieren konnten. Denn junge Leute fordern und stellen einen vor neue Aufgaben, das bereichert und macht Spass. Und die Errungenschaften?
Da gibt es eine ganze Palette. Die Belvoirpark Hotelfachschule war beispielsweise eines der ersten Zürcher Unternehmen, die einen Gesundheitspreis gewonnen haben. Dann sind weitere Errungenschaften sicher die Akkreditierung als höhere Fachschule, der Rahmenlehrplan sowie die Eröffnung des Neubaus vor vier Jahren. Gerade letzteres war keine Selbstverständlichkeit, denn da wir in einem denkmalgeschützten Park gebaut haben, waren wir auf viel Goodwill angewiesen. Diesen haben wir am Ende bekommen, weil wir stets gut gearbeitet und Beziehungen gepflegt haben. Ich lebe nach dem Grundsatz: Beziehungen bestehen aus Geben und Nehmen. Aber am meisten stolz bin ich darauf, dass wir, seit ich hier bin, 70 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen konnten. Denn als ich hier begonnen habe, arbeiteten 30 Mitarbeitende im Belvoirpark, heute sind es 100. Aus einem kleinen Unternehmen ist somit ein grosses geworden – mit dem Restaurant erwirtschaften wir heute rund 7 Millionen im Jahr. Was reizt Sie bis heute an dieser Branche?
Die Vielseitigkeit, das Netzwerken, die Möglichkeit zur Entwicklung. In den 80er-Jahren dachten wir, die Gastronomie ist erfunden – dem war nicht so. Der Wegfall des Fähigkeitsausweises und des Wirte patents hat zu einer Öffnung geführt und die Gastronomie hat sich dadurch explosionsartig verändert, mit allen Vor- wie auch Nachteilen. Wir haben dadurch heute auf der einen Seite ein Restaurantsterben in den ländlichen Gegenden und auf der anderen ein enormes Wachstum in den Städten, wenngleich die Konkurrenz wächst. Wenn ich das aus der Sicht unserer Studierenden betrachte, bietet das eine wunderbare Breite, in der sie sich tummeln können. Wer heute noch immer das gestärkte Tischtuch und Riedelgläser mag, der findet das, genauso wie die unkomplizierte Gastronomie ohne Tischtücher und Chichi. Wenn wir beim Thema Perspektiven sind. Wie steht es um die gastgewerbliche Branche in der Schweiz?
Da gibt es 100 verschiedene Meinungen, wenn sie 100 Leute fragen. Ich bin überzeugt, dass sich die Gastronomie in ihrer Breite noch weiterentwickeln wird. Im Moment sind Pop-ups sehr in, überhaupt alles, das weg vom Traditionellen geht. Deshalb bin ich auch der Ansicht, dass das Restaurant Belvoirpark unbedingt erhalten werden muss. Denn gehörte es vor 30 Jahren noch zum gehobenen Standard, ist es heute eine Nische. Wie hat sich die Ausbildung in den letzten Jahrzehnten gewandelt?
Sehr, denn neben den «klassischen» Kenntnissen über die Hotellerie, Küche, den Service und die Betriebswirtschaft brauchen die heutigen Studierenden auch Kenntnisse über Führung, Psychologie, Kommunikation, IT-Technologie und Digitalisierung, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. Die Belastung hat zugenommen. Stichwort Belastbarkeit: Wie nehmen Sie den Nachwuchs im Gastgewerbe wahr? Inwiefern stimmt die oft geäusserte Kritik, dass die Jugend heute zu bequem für einen Beruf im Gastgewerbe sei?
Ich mag Verallgemeinerungen nicht. Das sind Klischees, die so nicht stimmen. Zu beobachten ist vielleicht, dass bestimmte Fähigkeiten bei unseren Studenten nicht mehr so ausgeprägt sind wie bei ihren Vorgängern. Nehmen wir Kopfrechnen, so simpel das ist. Wenn man gelernt hat zu tippen, dann hat man nun mal Mühe mit Kopfrechnen. Dennoch bewundere ich auch unsere jungen Leute. Denn es ist enorm, was sie meist schon mitmachen mussten in ihrer familiären, in ihrer Beziehungssituation, bevor sie zu uns stossen. Da hatten wir es früher einfacher. Wie kann man die gastgewerblichen Berufe für den Nachwuchs attraktiver machen?
Betonen, dass die Branche attraktiv ist. Denn im Gastgewerbe kann jeder enorm früh Karriere machen. Wo gibt es das sonst. Dennoch ist nicht zu leugnen, dass es nun mal lange Arbeitszeiten, Wochenenddienste gibt, und die können wir selbst mit Schichtenmodellen nicht beseitigen, denn irgendwann muss man mal am Abend arbeiten. Das war und ist eine herausfordernde Situation, durch die wir auch viele gute Leute an die Gemeinschaftsgastronomie oder Spital Hospitality verlieren. Lässt sich einschätzen, wie viel Prozent der Belvoirpark-Absolventen der Branche treu bleiben?
Im Bereich der «klassischen Gastronomie» verlieren wir fünf Jahre nach Abschluss rund 50 Prozent der Absolventen. Das ist viel, aber man kann gleichzeitig auch sagen, die restlichen 50 Prozent bleiben uns erhalten. Wenn die Jungen also mit 25 oder 26 Jahren die Schule verlassen, dann sind sie noch immerhin 8 Jahre in der Branche und das ist ziemlich komfortabel, wenn man die Leute so lange drin behält. Hat sich die Nachfrage für eine Ausbildung an der Belvoirpark Hotelfachschule über die Jahre geändert?
Nein, da haben wir eine ziemliche Konstanz. Auch was die Inund Auslandstudenten anbelangt, sind wir bei einem Anteil von 15 Prozent äussert stabil. Der Grund ist, dass wir bewusst auf Deutsch unterrichten. Was sich enorm verändert hat, ist der Frauenanteil, der ist in den letzten 15 Jahren enorm gestiegen. 50 Prozent unserer Studenten sind heute Frauen – und das ist auch toll. Gibt das einen anderen Groove?
Das Wort Groove hat man damals noch nicht gebraucht, aber zweifellos. Ich mag das sehr. Wir beschäftigen auch sehr viele Frauen und ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass Frauen bei uns gute Teilzeitjobs haben. Ich rate unseren weiblichen Absolventinnen auch, dass sie nach der Ausbildung dran bleiben, sich weiterbilden, damit sie später auch im Teilzeitbereich, falls sie sich neben der Karriere auch für eine Familie entscheiden, einen wertigen Führungsjob auf Teilzeitbasis haben können. In unserer Branche ist das ja möglich, das finde ich toll. Und wir haben in der Ausbildung auch viele sehr engagierte Frauen, die beeindruckend unterwegs sind, und so manchem männlichen Mitstudenten um die Ohren sausen. Wo sehen Sie noch ungenutztes Potenzial für die Branche, die Schule?
Im Bereich der Weiterbildung. Dieses Thema muss in unserem Haus noch viel wichtiger werden. Denn die grosse Frage künftig wird auch sein: Wie finanziert sich die Schule weiter? Zwar schreiben wir nun im vierten Jahr nach dem Neubau schwarze Zahlen, aber langfristig müssen wir die Finanzen im Auge behalten, denn die Schulgelder können wir nicht einfach erhöhen, die sind bereits hoch genug. Und wenn Subventionen wegfallen, dann müssen wir die fehlenden Gelder durch Mehrleistungen erwirtschaften. Und das können wir auch, denn wir haben das Haus bewusst so gebaut, dass wir auch Räume haben, in denen wir Schulungen für Dritte anbieten können. Und dann gibt es sicher noch Potenzial beim Thema Digitalisierung wie auch beim Thema E-Learning. Bei Letzterem stecken wir noch in den Kinderschuhen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Belvoirpark Hotelfachschule?
Ich wünsche mir, dass die DNA des Unternehmens nicht verändert wird. Dass man weiterhin den Mut hat, neben dem Schulbetrieb auch ein öffentliches Restaurant zu führen und damit den Tatbeweis zu erbringen, dass wir etwas von der Branche sowie vom Management verstehen. Und dass unsere Studenten nach wie vor an unseren Erfolgen partizipieren sowie aus unseren Fehlern lernen können. Es gibt nichts Intelligenteres als das. Das heisst, die Anzahl der Frauen in der Ausbildung nimmt zu, aber verbandspolitisch tut sich betreffend Frauen wenig bis nichts? Wo sind die Frauen?
Das stimmt, das nehme ich auch so wahr. Vielleicht fehlt es am Interesse, am Selbstbewusstsein, ich weiss es nicht. Aber ich fände es auf jeden Fall sinnvoll, wenn sich vermehrt Frauen auch verbandspolitisch engagieren würden. Jedoch ohne Quote, denn das ist für mich eine reine Zwängerei, das bringt nichts. Am Ende finde ich das gar despektierlich. Was es aber braucht: Eine aktive Förderung, um Frauen in solche Gremien zu bringen, und hier versuchen wir einen kleinen Beitrag zu leisten.